«An die Küste gehören Fischer»

Die Fischer wehren sich zu Recht.

Ein Berufsstand soll zum Aufgeben gezwungen werden

Von Marita Brune-Koch und Georg Koch

(6. September 2021) Freest ist eines der letzten idyllischen Fischerdörfer an der deutschen Ostseeküste, nahe der Insel Usedom. Im Hafen schaukeln Fischerkähne. Netze, Seile und andere Utensilien für die Fischerei vervollständigen das Bild. Alles scheint in Ordnung zu sein. Doch die Idylle trügt. Die Fischer können mit ihrem Beruf ihre Existenz nicht mehr bestreiten. Die EU macht ihnen mit ihren Vorschriften den Garaus.

An den zum Hafen gehörenden Hütten hängen Schilder: «EU-Fischereipolitik erteilt Berufsverbot» steht da, oder: «Rettet die Fischerei in M-V» (Mecklenburg-Vorpommern, deutsches Bundesland an der Ostseeküste). Ein weiteres bringt uns noch mehr zum Nachdenken: «Der Kurs von EU und Forschung führt uns Fischer zum Untergang».

Wir wollen wissen, was genau los ist und fragen Herrn Bohnekamp,1 einen Berufs-Fischer aus Freest. Seit über 30 Jahren verdient er hier für sich und seine Familie den Lebensunterhalt. Von ihm erfahren wir, dass die EU die Fangquoten für die verschiedenen Fischsorten so weit heruntergesetzt hat, dass ein Fischer davon nicht mehr leben kann. Viele Fischer hätten schon aufgegeben, sich in die Pension und Frühpension verabschiedet.

Vor uns liegt ein recht grosser Fischerkahn, auf den weist Herr Bohnekamp: «Mit seinen 8 Metern Länge ist er der grösste hier, davon gab es früher 100, dieser ist der Letzte von der Grösse. Nachwuchs gibt es fast nicht mehr.» Sein Lehrling sitzt neben ihm, während wir mit Herrn Bohnekamp sprechen. Er sei der Einzige weit und breit, der den Beruf noch erlerne. Sein Lehrmeister rät ihm davon ab, der Beruf habe keine Zukunft. Der junge Mann will aber vorläufig dabeibleiben.

Freest, einer der letzten idyllischen Fischereihäfen an der
Ostsee (alle Bilder gk)

Gewollter Niedergang der Fischerei in deutschen Gewässern

Wir fragen nach dem Grund für die Quotenkürzung. Herr Bohnekamp sagt, es würde von Überfischung geredet. Die Fangquote für Norwegen, ein nicht-EU-Land, sei jedoch massiv erhöht worden. Den Grund dafür weiss er nicht. Ausserdem sagt er, es sei immer schon so gewesen, dass es Jahre mit sehr vielen Heringen und solche mit sehr wenigen gegeben habe. Diese Schwankungen seien natürlich. Weiter erzählt er uns, dass es verboten sei, mit Schleppnetzen den Grund abzufischen. Das führe dazu, dass die Algen am Meeresgrund nicht mehr aufgemischt würden, in der Folge gäbe es weniger Würmer, und so hätten die Flundern zu wenig zu fressen. Die, die sie heute noch fangen, seien halbverhungert. Früher seien sie viel fleischiger gewesen.

Zum Niedergang der Fischerei trägt neben den niedrigen Fangquoten auch ein extrem tiefer Preis bei: 50 Cent bekommt der Fischer heute für ein Kilo Heringe. Dafür, so der erfahrene Fischer, lohnt sich die Arbeit kaum.

Die Folgen sind wie immer in solchen Fällen: der Niedergang des einen Berufszweigs zieht in einer Kettenwirkung viele andere mit sich. Verarbeitende Industrie gäbe es hier kaum mehr, nur noch in Polen. Dabei verfügt das Dorf über eine komplette Infrastruktur zur Verarbeitung und Verpackung und zum Verkauf des Fisches, so unter anderem über eine grosse Eishalle, die den Fisch direkt nach dem Fang frisch hält.

Alles ist perfekt organisiert und eingerichtet, genossenschaftlich geführt für alle Fischer hier. Jetzt lohne die Verarbeitung nicht mehr, die würde jetzt in Polen gemacht. Wenn der Motor des Fischkutters kaputt ginge, fände man kaum noch einen Mechaniker, der den reparieren könne, auch die hätten aufgegeben. Selbst Heizungsmonteure findet man kaum noch, auch nicht für die Wohnhäuser. So zieht eins das andere nach sich.

Wir fragen, ob es nicht Abgeordnete in Brüssel gäbe, oder eine Lobby, die sich für ihre Interessen einsetzen würde. Nein, sagt er. Die, die sich dort früher für die Fischerei eingesetzt hätten, seien inzwischen alle gestorben, neue gäbe es nicht mehr.

Herr Bohnekamp fühlt sich von der Brüsseler Bürokratie völlig verraten, ist überzeugt, dass man dort ohne jede Sachkenntnis und Einblick in die Zusammenhänge weitreichende Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg trifft. «An die Küste gehören Fischer», sagt er, aber das sieht man in der EU wohl nicht so.

Wir überprüfen offizielle Dokumente zur Entwicklung der Fangquoten und finden Herrn Bohnekamps Angaben, soweit sie die jüngsten Entwicklungen betreffen, bestätigt. Der EU-Rat hat die Fangquoten für wichtige Fischarten, die für die deutsche Fischerei insbesondere an der Ostseeküste relevant sind, massiv gesenkt.2

Besser für ihre Fischer sorgen konnte hingegen das Nicht-EU-Land Norwegen: während in der ganzen EU der Heringsfischfang auf rund 103 000 Tonnen begrenzt wurde, handelte Norwegen mit der EU und England aus, dass ihre Fischer dieses Jahr 187 000 Tonnen Heringe in der Nordsee fischen dürfen. Herr Bohnekamp weiss das und ist entsprechend erzürnt über die Bestimmungen für die Ostsee und Deutschland.

Kormorane und Robben fressen den Rest

Nicht nur die niedrigen Fangquoten tragen dazu bei, dass die Fischer nicht mehr genug Fang machen können. Dazu kommen auch die Kormorane. «100'000 Kormorane fressen täglich 80 Tonnen Fisch und tausende Robben den Rest! Tradition Fischerei ist Geschichte» steht auf einem der Schilder im Hafen. Dieses Problem macht in ganz Deutschland den Fischern zu schaffen, wir kennen es zum Beispiel von der Mecklenburgischen Seenplatte und vom Bodensee.

Ein Kollege von Herr Bohnekamp, der zum Gespräch dazu kommt, bestätigt: «Der Kormoran steht unter Naturschutz. Vogel des Jahres.» Er lacht bitter. Es stimmt, 2010 war der Kormoran Vogel des Jahres. Wir haben an Waldseen in Mecklenburg-Vorpommern Bäume gesehen, die mitten im Sommer völlig kahl waren, auf allen Ästen hockten Kormorane wie die Geier. Sie zerstören mit ihren massenhaften Ausscheidungen die Vegetation.

Herr Bohnekamp spricht treffend von Geisterwäldern. Wenn man die offiziellen Landesstatistiken des Landes Mecklenburg-Vorpommern anschaut, gibt es seit ca. 1994 konstant über 50 000 Kormoran-Brutpaare, seine Existenz scheint also nicht mehr bedroht zu sein. Aufgrund der EU-Vogelschutz-Richtlinie darf der Kormoran lediglich im Umfeld von Fischteichen gejagt werden, um ihn dort zu vergrämen. Offensichtlich reicht diese Erlaubnis nicht aus, um Fischbestand und Natur zu schützen.3

«… und den Rest fressen die Robben». Auch diese grössten Meeressäugetiere der Ost- und Nordsee waren einst vom Aussterben bedroht, wurden unter Naturschutz gestellt und sind heute Touristenlieblinge. Auch wir haben schon an Expeditionen zu den Sandbänken teilgenommen, auf denen die interessanten Tiere siedeln. Aber inzwischen sind die Populationen enorm angewachsen, von Bedrohung kann keine Rede mehr sein. Nun helfen die Robben mit, eine menschliche Spezies in ihrer Existenz zu bedrohen: Die Fischer. Das Institut für Fisch und Umwelt hat nach Ministeriumsangaben in einer mehrjährigen Studie den durch Robben verursachten Schaden in der Heringsfischerei auf etwa sechs Prozent der Fangmenge beziffert.

Zerstörung der wirtschaftlichen Struktur einer Region – wozu?

Wenn man einbezieht, welche Auswirkungen das Quasi-Berufsverbot aus Brüssel für die Fischer und die Zerstörung der gesamten Hintergrundwirtschaft, der Familien und Dörfer nach sich zieht, sind die Ausführungen der zuständigen Agrarministerin Julia Klöckner blanker Hohn: «Unter unserer Präsidentschaft haben sich die Kommission, das Europäische Parlament und der Rat darauf verständigt, die endgültige Stilllegung von Fischereifahrzeugen in der Ostsee zu fördern. Das ist wichtig, um die gravierenden Auswirkungen für die betroffenen Fischer abzupuffern und ihnen wirtschaftlich eine Perspektive zu bieten.» Das heisst, Fischern wird eine Abfindung geboten, damit sie die Fischerei endgültig aufgeben. Sie bekommen ein Almosen für das Abstellgleis.

Meeresbiologe Thilo Maack von der Umweltorganisation Greenpeace unterstützt dieses Vorgehen. Es sei «richtig, Fischern Übergangsgelder zu zahlen. Doch müsse kontrolliert werden, dass es tatsächlich zum Fangstopp komme.»4 Kein Wunder, dass die Fischer neben der EU auch Greenpeace für ihren Niedergang verantwortlich machen. Es ist fraglich, ob wirklich nur die Sorge einer Überfischung der Meere treibende Kraft dieser Verbote ist. Immerhin gibt es zunehmend Organisationen wie die Tierschutzorganisation PETA, die sich die Abschaffung jeglichen Fischkonsums und jeglichen Fischfangs auf die Fahnen geschrieben haben. Veganer haben eine immer grössere Lobby!

Regionale Lösungen für regionale Probleme suchen

Die EU bestimmt von Brüssel aus, was wie im ganzen EU-Reich gemacht werden soll, von Portugal bis Rumänien, von der Ost- und Nordsee bis zum Mittelmeer. Die Bauern haben von jeher für die Erhaltung und Verbesserung ihres Bodens Sorgen getragen, sie wussten und wissen auch am besten, wie das in ihrer Region mit ihren Umwelt- und Bodenbedingungen am besten geht. Es ist anzunehmen, dass dieses Vorsorgeprinzip und die Kenntnisse ihrer Umwelt und ihrer Bedingungen auch für die Fischer gelten. Herr Bohnekamp jedenfalls erklärte uns, bei den Heringen sei es immer schon so gewesen, dass es mal gute Jahre mit Heringsschwärmen in rauen Mengen gegeben habe und schlechte Jahre, wo die Heringe fast ausblieben. Mit Überfischung habe das nichts zu tun. Wir hatten den Eindruck, er wisse, wovon er spricht. 30 Jahre Erfahrung und die seiner Vorfahren hinterlassen Wissen und fundierte Kenntnisse.

Wäre es nicht angebracht, dass die Pflege der Fischgründe ebenso wie die der Böden den regional ansässigen Fachleuten überlassen bleibt oder sie zumindest stark miteinbezogen werden? Jedenfalls hat die Schweiz gut daran getan, das Rahmenabkommen mit der EU abzulehnen. Sonst würde Brüssel über kurz oder lang noch mehr in die Schweizer Landwirtschaft hineinregieren, als wie es heute bereits der Fall ist.

Natur- und Artenschutz mit Augenmass betreiben

Es scheint zweifelhaft, ob «Natur- und Artenschutz» immer und um jeden Preis sinnvoll ist. Das Beispiel «Erhalt der Kormorane» gibt doch zu denken. Indem sie geschützt werden, vermehren sie sich stark und richten grossen Schaden an zum Beispiel in Wäldern und Seen, die man doch angeblich schützen will. Sie haben eben ausser dem Menschen in unseren Breiten keinen natürlichen Feind. Ähnliche Beispiele gibt es zuhauf. Auf einer Insel vor Tasmanien zum Beispiel wurde der Beutelteufel unter Schutz gestellt. Der Beutelteufel ist ein Raubtier. Er vernichtete auf der Insel die Kolonie von 3000 Zwergpinguinen und dezimierte die Population von Kurzschwanz-Sturmtauchern. Ornithologen sprechen von einer Katastrophe.5

1 Der Name wurde verändert. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.

2 Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/204-agrarrat-luxemburg-fischerei.html

3 Quelle: https://www.wir-sind-mueritzer.de/allgemein/kormorane-verwandeln-baeume-am-warnker-see/

4 Süddeutsche Zeitung vom 23.09.2020

5 «Treu ihrer Natur: Gefährdete Beutelteufel vernichten Pinguinkolonie auf Kleininsel vor Tasmanien». de.rt.com vom 23. Juni 2021

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