Neues aus Qinghai und Xizang (Tibet)

von Guy Mettan,* Genf

(22. November 2024) Wenn Sie das nächste Mal nach Lhasa reisen, sollten Sie unbedingt das Museum für moderne Kunst besuchen. Steigen Sie die oft engen und steilen Treppen des Weissen und Roten Palastes des Potala hinauf, zünden Sie eine Kerze aus Yak-Butter vor einem der Tausenden von bemalten Buddhas des Jokhang an. Sie sind für Lhasa das, was Versailles und Notre-Dame für Paris sind.

Guy Mettan
(Bild zvg)

Aber übersehen Sie nicht den Meilenstein des ganz neuen Kunstmuseums, das im Dezember 2023 in der ehemaligen Zementfabrik von Lhasa eröffnet wurde, die von Designern und Architekten der Shanghaier Tongji-Universität meisterhaft umgebaut und restauriert wurde. Hier werden Sie eine radikal neue Facette der autonomen Provinz Tibet, oder besser gesagt Xizang, wie sie offiziell heisst, kennenlernen.

Industriegeschichte und kulturelle Moderne

Ich wage diese Empfehlung, weil ich weiss, dass Sie weder von der Aussenansicht noch vom Inhalt enttäuscht sein werden, da beide so reich und überraschend an visuellen Innovationen sind. Die Mischung aus Industriegeschichte und kulturelle Moderne ist hier sehr gelungen. Dabei nehme ich bewusst das Risiko auf mich, verspottet und als «nützlicher Idiot des Pekinger Regimes» bezeichnet zu werden, da sich das Klischee der von den Chinesen «überfallen und unterdrückten» Tibetern bei uns so hartnäckig hält. Dieses Risiko nehme ich in Kauf, da ich mich darauf beschränke, das zu erzählen, was ich gesehen habe und was sich früher oder später in unser aller Bewusstsein durchsetzen wird.

Lhasa. Weisser und Roter Potala-Palast, 130 Meter über der Stadt
gelegen. (Alle Bilder gm)

Streifzug durch zwei Provinzen

Zwei Wochen lang durchstreifte ich also die Provinz Qinghai und die Umgebung ihrer Hauptstadt Xining sowie die Provinz Xizang vom Lhasa-Tal bis zur Präfektur Nyingchi in Begleitung eines leitenden Mitarbeiters einer katalanischen Kulturstiftung, eines kanadischen Fotografen und einer kanadischen Designerin, eines Arztes aus Xian und lokaler Kommunikationsbeauftragter.

Die beiden Provinzen sind sich sehr ähnlich. Sie sind bergig, halbwüstenartig, haben ein sehr raues Klima und werden von etwa zehn Millionen Menschen auf einem Gebiet bewohnt, das viermal so gross ist wie Frankreich. Zusammen bilden sie das Herz des Hochlandes und des tibetischen Buddhismus.

Entgegen dem Stereotyp, dass es sich um ein Gebiet handelt, das allein dem Dalai Lama untersteht, beherbergen sie buddhistische Sekten verschiedener Richtungen und zahlreiche religiöse und ethnische Minderheiten wie Muslime, Christen, Taoisten, Han, Hui, Tu, Salar und Mongolen. Mit einer Höhe von 2600 bis 8000 Meter bildet die Region das Wasserschloss Asiens und dient als Quelle für die grossen Flüsse, die die chinesischen Ebenen bewässern, insbesondere den Gelben Fluss und den Jangtse.

Mönche beim Studium.

Der Einfachheit halber sei daran erinnert, dass der tibetische Buddhismus vom Tantrismus abstammt und in vier Hauptschulen unterteilt ist:

  • Gelug, die jüngste Schule, auch Gelbmützen-Schule genannt, auf die sich sowohl der XIV. Dalai Lama, der 1959 nach Indien floh, als auch der XI. Panchen Lama, der zwischen Peking und Shigatse lebt, berufen;
  • Nyingma, die älteste Schule, die Rotmützen-Schule, die der ursprünglichen tibetischen Religion am nächsten steht und die sechs grosse Klöster umfasst;
  • Kagyü, die Weisse Sekte, aufgrund der weissen Streifen, die die Gewänder der Mönche schmücken, und
  • Sakya, die kleinste Schule, die als bunt (grau-weiss) bezeichnet wird.

Jede dieser Schulen hat ihre eigenen Traditionen, ihre Doktrin und ihre Praktiken, die mehr oder weniger streng sind und sich nicht immer gut miteinander vertragen. Den verschiedenen Obedienzen gehören etwa 46 000 Mönche an.

So viel zum allgemeinen Kontext.

Spektakuläre Besuche

In Xining umfasste unser Programm den Besuch des Ta'er-Klosterkomplexes, einem der ältesten und grössten des Landes, mit Dutzenden von Gebäuden und fast 10 000 Mönchen; des biologischen Reservats des Qinghai-Salzsees, einem der grössten und höchstgelegenen (3000 m ü. M.) in Kontinentalasien; des Dorfes Deji, in dem etwa 250 Familien aus den entlegensten Gebieten der Provinz leben; die Stadt Tongren, ein historisches Handels- und Kulturzentrum; die berühmte Regong-Kunstschule in Longshu (traditionelle Thangka-Malerei, Fresken und Patchwork), und die ethnische Sekundarschule in Golog, ein kostenloses Internat mit 800 Schülern aus den verschiedenen ethnischen Minderheiten der Region.

Der spektakulärste Besuch war jedoch zweifellos der Energiekomplex der Präfektur Hainan. Dort wurden 20 Milliarden Dollar investiert, um die grösste Solarfarm der Welt zu errichten (600 km2 Photovoltaikmodule – mehr als die doppelte Fläche des Kantons Genf), gekoppelt mit Türmen für konzentrierte Solarenergie und riesigen Windparks auf einer Fläche, die grösser ist als der Kanton Waadt (4000 km2), und das Ganze gekoppelt mit Wasserkraftstaudämmen am Gelben Fluss. Mit 1200 Gigawatt installierter Solar- und Windkraftleistung (vgl. «Le Temps» vom 14. Dezember) ist China bei weitem der weltweit grösste Produzent dieser erneuerbaren Energieformen geworden.In Xizang (Autonome Provinz Tibet) war das Programm ähnlich konzentriert: Der Potala-Palast mit seinen mit Yak-Milch gebleichten Wänden, der Jokhang-Tempel, eine wichtige Pilgerstätte, das Museum für moderne Kunst und die Jieguan-Galerie für zeitgenössische Kunst mit Werken im Wert von mehreren Millionen Dollar, das Zentrum für tibetische Medizin, die Universität, die Akademie des tibetischen Buddhismus (ein riesiger theologischer Campus mit 700 Mönchen und 100 Nonnen aus verschiedenen Schulen) und sogar eine Fabrik für antihaftbeschichtete Hightech-Töpfe und Pfannen auf Titanbasis!

Das Ende der Reise war den Naturschönheiten der Präfektur Nyingchi (für die Tibeter «Thron der Sonne» und für die Touristen «die Schweiz des Tibets») gewidmet, die über eine brandneue Autobahn bis auf 5000 m Höhe erreicht werden kann. Die Stadt mit 500 000 Einwohnern liegt inmitten bewaldeter Täler mit Seen und hohen Gipfeln wie dem spektakulären Namcha Barwa-Massiv, das 7782 Meter hoch ist und, neben dem Berg Kailash, als heiligster Berg Tibets gilt.

Was lernt man von dieser Reise? Zunächst einmal einen überraschenden Eindruck von Modernität und wirtschaftlicher Entwicklung. So verschlafen, staubig und leicht deprimierend mir die Stadt und die Umgebung von Lhasa bei meinem ersten Besuch im Jahr 2003 erschien, so aktiv, lebendig und energiegeladen erschien sie mir heute. Autobahnen, Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken (Linie Peking-Xian-Lhasa und Linie Chengdu-Nyingchi), tadellose Flughäfen, aber auch vollständig restaurierte Wohnhäuser, Kulturerbe-Gebäude und Altstädte, asphaltierte Strassen und Elektroautopark, Hochspannungsleitungen, touristische Infrastruktur, Schulen, Gymnasien, Krankenhäuser, kleine und grosse Unternehmen.

Wachstum durch eine originelle Massnahme

Seit der Entscheidung im Jahr 2012, die östlichen Provinzen zu entwickeln, wurden Hunderte Milliarden Dollar in den Ausbau der Infrastruktur investiert. Dies ist deutlich sichtbar. Tibet entwickelt sich zu einem beliebten Reiseziel für chinesische und asiatische Touristen.

Das Wachstum dort beträgt seit einigen Jahren mehr als 10 Prozent pro Jahr. Um dieses Ergebnis zu erreichen, hat Peking das Land in grossem Stil mit einer recht originellen Massnahme mobilisiert, die darin besteht, nicht nur die finanziellen, sondern auch die unternehmerischen und sozialen Ressourcen der reichen Küstenprovinzen zu mobilisieren.

So wird die Energieerzeugung von Konsortien aus Zentral- oder Westchina entwickelt und die reichen Provinzen Shanghai oder Kanton bauen Strassen, Schulen, Krankenhäuser oder eröffnen Fabriken, indem sie nicht nur die materiellen Mittel, sondern auch die menschlichen und technischen Ressourcen bereitstellen, indem sie Führungskräfte, Lehrer, Manager und Beamte zu Praktika entsenden, um die lokalen Arbeitskräfte auszubilden.

Eine Form des Mentorings, die den Vorteil hat, dass beide Seiten Verantwortung für die Entwicklung des Landes übernehmen. Die westliche Propaganda hat darin eine Form der Bevormundung der Tibeter gesehen. Das muss noch bewiesen werden, denn die Ergebnisse sind spektakulär: In weniger als zehn Jahren wurden die grosse Armut und das Analphabetentum beseitigt. Man darf nicht vergessen, dass bis in die 1950er Jahre 90% der tibetischen Bevölkerung in Leibeigenschaft lebten und weder lesen noch schreiben konnten.

Lhasa. Museum der modernen Kunst, integriert in die umgebaute und
restaurierte ehemalige Zementfabrik der Stadt.

Kultur und Buddhismus in Tibet scheinen nicht bedroht

Eine weitere Feststellung ist, dass mir die tibetische Kultur und der tibetische Buddhismus nicht als bedroht vorkam, ganz im Gegenteil. Noch vor 20 Jahren konnte man an den Wänden einiger Tempel die Verwüstungen sehen, die die Roten Garden während der Kulturrevolution angerichtet hatten, während gierige Mönche Bündel von Banknoten zwischen ihren Fingern hielten, die ihnen von Pilgern anvertraut worden waren, die den Tempel auf dem Bauch liegend im Schlamm betraten.

Heute ist das nicht mehr der Fall. Die Opfergaben werden in unauffälligen Spendenbehältern deponiert. Die mit Gemälden und Buddha-Statuen, Boddhisattvas und anderen Maitreyas gefüllten Hallen wurden restauriert und beleuchtet. Mönche in roten Roben sind zahlreich auf den Strassen, in den Tempeln und in den Klosterschulen zu sehen. Viele Klöster wurden renoviert und mit Heizungen, Zufahrtsstrassen und Internetanschlüssen ausgestattet.

Der Potala und die tibetische Kultur gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe, ebenso die tibetische Medizin. Die tibetische Sprache wird in den Schulen gelehrt und erscheint auf öffentlichen Denkmälern und in offiziellen Dokumenten neben dem gewöhnlichen Chinesisch.

Zahlreiche Museen und Bibliotheken bewahren, sammeln, transkribieren, kommentieren und digitalisieren die heiligen Texte des tibetischen Buddhismus und stellen sie den Mönchen und der breiten Öffentlichkeit im Internet zur Verfügung – in einer beispiellosen Anstrengung, Dokumente zu archivieren und zu bewahren, die manchmal in den Archiven der Klöster in Vergessenheit geraten waren. Mehr als 200 Wissenschaftler widmen sich dieser Arbeit, sei es in der Xizang-Universität oder am Forschungszentrum für Tibetologie in Peking.

Blick auf die Namcha Barwa-Spitze (7782 m. ü. M.).

Auf der Website der Regierung kann man sogar ein offizielles Dokument finden, in dem die Religions- und Kultfreiheit in Tibet gepriesen wird. Allerdings wird man in den Tempeln eher das Porträt des Panchen Lama finden als das des Dalai Lama, der seit seiner Flucht nach Dharamshala verhasst ist und unter dem dringenden Verdacht steht, Widerstandsbewegungen und die Unruhen von 2008 in Lhasa unterstützt zu haben. Für einen Europäer ist es vielleicht ein Paradoxon, aber in Lhasa und Xining erschienen mir die tibetische Tradition und Religion viel lebendiger als die christliche Tradition und Religionsausübung in Europa.

Die Kampagne zur Modernisierung und Integration des historischen Tibets in das moderne China wurde unter dem Motto «Tibet is our home, China is our homeland» durchgeführt: Tibet ist unser Zuhause, China ist unser Vaterland. Es ist nicht abwegig zu glauben, dass die Wette gewonnen wird. Mit dem Abkommen über gemeinsame Grenzkontrollen, das kurz vor dem BRICS-Gipfel in Kasan im Oktober mit Indien geschlossen wurde, schwand die letzte Hoffnung des Westens, Tibet von China zu trennen.

* Guy Mettan (1956) ist Politologe, freischaffender Journalist und Buchautor. Seine journalistische Karriere begann er 1980 bei der «Tribune de Genève» und war von 1992 bis 1998 deren Direktor und Chefredaktor. Von 1997 bis 2020 war er Direktor des «Club Suisse de la Presse» in Genf. Guy Mettan ist seit 20 Jahren Mitglied des Genfer Kantonsparlaments.

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

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