Assange ist frei — aber der Kampf um die Meinungsfreiheit hat erst begonnen
Der WikiLeaks-Gründer musste sich der «Verschwörung» schuldig bekennen. Dadurch ist die Pressefreiheit bedroht wie nie zuvor.
von Michael Straumann,* Schweiz
(20. September 2024) Die Welt hielt den Atem an, als Julian Assange nach 1901 Tagen Isolationshaft endlich in die Freiheit entlassen wurde. Aber zu welchem Preis? Fast zwei Monate sind seit seiner Freilassung vergangen, und bereits ist der qualitätsjournalistische Medienbetrieb zur Tagesordnung übergegangen. Der Fall Assange muss unser tägliches Mahnmal sein. Es bedarf einer minutiösen Aufarbeitung. Hierbei handelt es sich nicht minder um einen Jahrhundertskandal des Journalismus und eine Bankrotterklärung des Westens, der sich gerne als «Wertegemeinschaft» geriert.
Im Buch «1984»1 musste der Protagonist Winston Smith gegen Ende der Handlung seine Schuldigkeit gegenüber dem «Grossen Bruder» bekennen. Ähnlich wie Julian Assange bekannte er sich nach langer Folter schliesslich zur Spionage gegenüber dem Staat.
Ein Ende mit Schrecken?
Die Freilassung von Assange ist eine gute Nachricht für alle Journalisten, Bürgerrechtler und Aktivisten, die sich für seine Freiheit Tag ein, Tag aus eingesetzt haben. Die schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetroffen: Der australische Journalist wurde nicht an die USA ausgeliefert, wo 175 Jahre Haft auf ihn gewartet hätten. Ebenfalls haben sich die Sorgen, dass er aufgrund des desolaten Gesundheitszustands früher oder später im Hochsicherheitstrakt in Belmarsh sterben würde, nicht bewahrheitet.
Es war ein sehr bewegender Moment, als Julian Assange am Flughafen von Canberra eintraf, um seine Ehefrau Stella und seinen Vater John Shipton aufs Innigste zu umarmen. Ende gut, alles gut, könnte man meinen. Mitnichten! Zwei Wermutstropfen lassen die Freude für Assange und seine Familie abdämpfen.
Zum einen ist es beschämend, dass er (so lange) unter unrechtmässiger Folterhaft sitzen musste. Erinnert sei an Nils Melzer, den ehemaligen UNO-Sonderberichterstatter für Folter, der im November 2019 darauf hinwies,2 dass Assange psychologisch gefoltert wird. Er und sein medizinisches Team besuchten ihn im Mai 2019 in seiner Zelle und stellten bei ihm Symptome fest, die alle «typisch für längere psychologische Folter» sind.
Der öffentliche Aufschrei über Assanges bereits damals miserablen Zustand hielt sich in Grenzen. Westliche Politiker und Mainstream-Journalisten reagierten darauf vorwiegend mit Schulterzucken. Lediglich «alternative» Medien und einzelkämpferische Oppositionspolitiker beleuchteten und kritisierten den willkürlichen Umgang mit dem WikiLeaks-Gründer. Erst zu einem späteren Zeitpunkt schaltete sich die australische Regierung ein, um auf die britische Regierung für die Freilassung von Assange einzuwirken. Grossspurig forderte3 die heutige deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin im September 2021 «die sofortige Freilassung» von ihm. Als die Grünen in Deutschland in Regierungsverantwortung kamen, wurde es plötzlich still um die Causa Assange.
Das Unbehagen über seine Folterhaft nahm in den etablierten Medien zwar in den letzten drei Jahren etwas zu. Die Medienberichte, die seine Haftbedingungen kritisch beleuchteten, sind allerdings nicht mehr als blosse Feigenblätter zu bewerten. Es bleibt zu hoffen, dass sich Assange, so gut es geht, von seinen traumatischen Erfahrungen erholen wird und nicht als psychisches Wrack die restliche Zeit seines Lebens verbringen muss.
Zum anderen musste sich Assange auf einen Deal mit der US-Regierung einigen. Er sah sich gezwungen, sich in einem Anklagepunkt schuldig zu bekennen, nämlich der «Verschwörung zur Beschaffung und Weitergabe von Informationen, die die nationale Verteidigung der USA» betreffen. Robert Kennedy Jr. liegt richtig, wenn er sagt,4 dass es dem US-Sicherheitsapparat gelungen ist, «den Journalismus zu kriminalisieren und seine Gerichtsbarkeit auf Nicht-[US-]Bürger auszudehnen».
Fakt ist, dass mit dieser Willkürhaft im Westen ein Präzedenzfall geschaffen wurde. Jeder Journalist muss von nun an mit Repression rechnen, wenn er Verbrechen von Regierungen aufdeckt und gegen die Staatsräson verstösst. In diesem Kontext ist auch das vorläufig aufgehobene Verbot des «Compact»-Magazins, das vom deutschen Innenministerium unter Nancy Faeser erlassen wurde, zu verstehen. Die westlichen Regierungen haben Blut geleckt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die am diesjährigen WEF-Treffen eine noch engere internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung von «Fehlinformation» und «Desinformation» forderte,5 darf sich freuen.
* Michael Straumann, Jahrgang 1998, studiert Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich und arbeitet als redaktioneller Praktikant für die Zeitschrift «Schweizer Monat». Er ist der Herausgeber von «StrauMedia». |
Quelle: https://www.straumedia.ch/p/assange-ist-frei-aber-der-kampf-um, 23. Juli 2024
1 https://de.wikipedia.org/wiki/1984_(Roman)