Frankreich

«Helfen wir einander zu leben, nicht zu sterben»

(14. März 2023) (sv) Die französische Vereinigung «Lindern, aber nicht töten» richtet angesichts des Bürgerkonvents, der seit dem 9. Dezember 2022 in Frankreich zu Fragen des Lebensendes tagt (siehe Kasten), einen Appell an die ganze Gesellschaft.

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Appell «Gemeinsam für die Schwächsten!»

Während ein partizipativer Prozess eingeleitet wird, der Frankreich dazu veranlassen könnte, den assistierten Suizid oder die Euthanasie zu legalisieren, appellieren wir, die Schwächsten, zusammen mit denjenigen, die uns umgeben und unterstützen, an den Präsidenten der Republik und die Parlamentarier.

Inkontinente, leidende, gelähmte, verwirrte Menschen, Träger von Behinderungen oder invalidisierenden Krankheiten, Opfer von Unfallfolgen, Schädel-Hirn-Traumata, psychisch Kranke – wir fühlen uns durch diese Debatte noch mehr geschwächt!

Viele «Gesunde», die uns nicht einmal kennen, erklären uns für unglücklich und meinen, sie würden lieber nicht mehr leben, als mit unseren Behinderungen zu leben. Aber was wissen sie schon? Was wissen sie über den Weg, den wir zurückgelegt haben, um unserer Situation zuzustimmen? Was wissen sie von den lebenswichtigen Ressourcen, die unsere Schicksalsschläge ans Licht gebracht oder gestärkt haben?

Manche halten uns für unnütz, teuer oder sogar lebensunwert. Sie applaudieren denjenigen, die aus Verzweiflung ins Ausland gehen, um sich das Leben zu nehmen, als ob wir das Gleiche tun sollten. Das ist es, was uns am meisten schmerzt.

Müssten wir den Mut zum Leben aufgeben? Müssten unsere Betreuer und Angehörigen ihre Bemühungen aufgeben, sie, die uns helfen, unsere Schwierigkeiten zu lindern und zu überwinden? Wir alle brauchen einen Blick, der uns wertschätzt und uns zum Leben ermutigt, keine Überlegungen zu einem angeblichen «Recht, auf einen selbstbestimmten Tod».

Ob wir gesund oder krank sind, wir sind alle zu 100% lebendig. Was sagen wir zu den schwächsten Gliedern dieser menschlichen Kette, die unsere Gesellschaft bildet? Ist es nicht gerade ihre Zerbrechlichkeit, die uns dazu auffordert, sie zu schützen? Denn es ist das schwächste Glied einer Kette, das ihre Stärke bestimmt.

Information der französischen Vereinigung «Lindern, aber nicht töten»:

«Der Bürgerkonvent zum Thema Lebensende, geleitet vom Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrat beginnt am Freitag, 9. Dezember 2022.

Doch worum geht es dabei?

185 ausgeloste Bürgerinnen und Bürger werden bis März gemeinsam tagen, um über die derzeitigen Bedingungen für die Begleitung von Menschen am Lebensende in Frankreich nachzudenken.
Die Mitglieder des Konvents werden sich auf eine vom EWSA bereitgestellte Dokumentationsgrundlage stützen. Sie werden entscheiden, wen sie konsultieren und wie sie abschliessen wollen.

Eine Diskussion in drei Phasen

  • 9. Dezember–Januar 2023: Aneignung des Themas und Begegnungen zwischen den Bürgern
  • Januar–Februar 2023: Beratungen und Anhörungen von Persönlichkeiten und Organisationen
  • Februar–März 2023: Abschluss der Diskussionen.

Die Herausforderung

Beantwortung der Frage: «Ist der Rahmen für die Begleitung am Lebensende den verschiedenen angetroffenen Situationen angemessen, oder sollten eventuelle Änderungen eingeführt werden?»

Achtung Gefahr!

Diese Debatte schwächt die Schwächsten, die vor Euthanasie und assistiertem Suizid geschützt werden müssen.»
Quelle: https://www.soulagermaispastuer.org/appel/#appel

Die «Schwächsten» brauchen besonders viel Solidarität, aber – seien wir ehrlich – die «Tüchtigen» auch! Wer kann in einer Welt, in der wir uns aufeinander verlassen müssen, um uns zu ernähren, zu kleiden, zu wärmen, zu pflegen und in Sicherheit zu leben, von sich behaupten, völlig «autonom» zu sein? Wir alle brauchen einander, um zu leben: Die Präsenz der Schwächsten im Herzen der Gesellschaft erinnert uns alle daran. Sie kann auch denjenigen, die eines Tages die Welt der «Gesunden» verlassen werden, helfen, die Lebenslust bis zum Ende zu bewahren.

(Bild Thibaut Despierres Wikipedia)

Die Geschichte von Philippe Pozzo di Borgo, dem Sprecher der Vereinigung «Lindern, aber nicht töten», steht am Ursprung des Films «Ziemlich beste Freunde» [«Intouchables»]. Selbst Tetraplegiker seit 30 Jahren, setzt er sich mit Vehemenz für die Schwächsten der Gesellschaft ein.

Mit der Kraft unserer Zerbrechlichkeit bitten wir Sie für das Wohl unserer Gesellschaft:

  • Treiben Sie niemanden in die Verzweiflung, in die Selbstausgrenzung, in den Selbstmord oder in die Euthanasie.
  • Schützen Sie uns vor einer angeblichen Freiheit zu sterben, die manche Menschen dazu drängen würde, uns zu verlassen.
  • Bekräftigen Sie das Recht eines jeden Menschen, Hilfe beim Leben und niemals beim Sterben zu erhalten.

Dann wird die Gesellschaft, die wir gemeinsam aufbauen, menschlicher sein.

Philippe Pozzo di Borgo, Sprecher von «Lindern, aber nicht töten» [«Soulager mais pas tuer»]

Quelle: https://www.soulagermaispastuer.org/appel/#appel

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

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