In der Ukraine tragen die USA zum barbarischen Erbe der Streubomben bei

Salam pflückte 2015 mit ihrer Familie Oliven in der Nähe ihres Dorfes in Syrien.
Sie fand ein seltsames Stück Metall. Die Explosion des Blindgängers tötete ihren
Bruder und riss ihr linkes Bein ab. (Bild © S.Khlaifat/Handicap International)

US-Streumunition hat bereits Zivilisten verstümmelt und getötet in Ländern wie Laos, Vietnam, Kambodscha, Afghanistan und Irak

von Abdul Rahman,* Indien

(8. August 2023) (Red. CH-S) Die Lieferung von Streumunition aus den USA an die Ukraine ist eine humanitäre Katastrophe. Diese Waffen gehen zulasten der Zivilbevölkerung. Im folgenden Beitrag von Abdul Rahman werden die Umstände der US-Lieferung von Streumunition an die Ukraine genauer ausgeleuchtet.

Kurz zur aktuellen Schweizer Aussenpolitik: Micheline Calmy-Rey setzte sich als Schweizer Bundesrätin international sehr engagiert für die Ächtung von Streumunition ein. Heute haben 118 Staaten das «Oslo-Übereinkommen von 2008» ratifiziert, so auch die Schweiz. Die Schweizer Steuerzahler bezahlen das «Genfer Zentrum für humanitäre Minenräumung» («Geneva International Center for Humanitarian Demining», GICHD) und bleiben damit der humanitären Tradition der Schweiz treu.

Obwohl Bundesrat Ignazio Cassis vor dem Einzug in den Sicherheitsrat gesagt hatte, «Wenn wir im Sicherheitsrat dabei sind, haben wir zusätzliche Handlungs- und Einflussmöglichkeiten für unsere Anliegen»,1 schwieg die Schweizer Vertretung bisher. Die ehemalige Bundesrätin Calmy-Rey kommentiert dieses ohrenbetäubende Schweigen: «Ich erwarte von meinem Land, der Wiege des Roten Kreuzes, das die Achtung der Menschenrechte und des menschlichen Lebens in den Mittelpunkt seiner Aussenpolitik gestellt hat, dass es eine kritische und klare Position zur Entsendung solcher Waffen auf das ukrainische Schlachtfeld einnimmt.»2

* * *

Der traurige Spruch der «NATO, die bis zum letzten Ukrainer gegen Russland kämpft», hat sich wieder einmal als zutreffend erwiesen, als US-Präsident Joe Biden Anfang des Monats Juli die «schwierige» Entscheidung traf, Streumunition an die Ukraine zu liefern, um deren Kampf gegen die Russen zu erleichtern.

Die Lieferung von Streumunition ist Teil eines neuen Militärhilfepakets im Wert von 800 Millionen Dollar für die Ukraine,3 das am Vorabend des NATO-Gipfels im litauischen Vilnius beschlossen wurde, an dem auch der ukrainische Präsident Volodymyr Zelensky teilnahm.

Die Gefährlichkeit von Streumunition, insbesondere für die Zivilbevölkerung, ist allgemein bekannt. Fast 120 Länder4 haben 2008 eine Konvention gegen ihre Herstellung und Verwendung unterzeichnet.

Im vorliegenden Fall ist die Entscheidung für die Ukrainer aus zwei Gründen noch gefährlicher: Erstens liefert sie den Russen eine perfekte Rechtfertigung für einen Vergeltungsschlag mit weitaus überlegeneren Kräften, und zweitens befinden sich die Schlachtfelder, auf denen die Munition eingesetzt werden soll, hauptsächlich innerhalb der Ukraine.

Helen Caldicott (Bild wikipedia)

Helen Caldicott: Streubomben sind die abscheulichste Waffe

«Streubomben sind, abgesehen von DU [abgereichertes Uran], Waffen, die Krebs, genetische Defekte und Missbildungen bei der Bevölkerung verursachen», sagte Dr. Helen Caldicott, Gründerin der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten «Physicians for Social Responsibility», gegenüber Sputnik.
Die Waffen seien ausdrücklich so konzipiert, dass sie wahllos Menschenleben und schreckliche Verletzungen in einem grossen Gebiet verursachen, unabhängig davon, wer oder was das Ziel ist, erklärte Caldicott. Die Bomblets seien gelb gefärbt und hätten die Form einer Getränkedose, was sie für Kinder attraktiv mache, fügte sie hinzu.
Quelle: https://t.me/geopolitics_live/2205, 18. Juli 2023

Langfristige Auswirkungen

Eine Streumunition ist eine Bombe,5 die mehrere Submunitionen enthält. Sie werden von einem Flugzeug abgeworfen oder vom Boden aus abgefeuert und explodieren in der Luft, um Dutzende, manchmal Hunderte von Submunitionen freizusetzen, die sich über eine Fläche von mehreren Fussballfeldern verteilen, ohne zwischen militärischen und zivilen Gebieten zu unterscheiden.

Die Submunitionen explodieren beim Aufprall auf dem Boden. Ein grosser Teil von ihnen explodiert jedoch aufgrund der Art und Weise, wie sie fallen, nicht und wird zu einer Gefahr ähnlich wie Landminen, die manchmal erst Tage oder Jahre nach ihrer ursprünglichen Freisetzung explodieren.

Angesichts der hohen Blindgängerquote – zwischen 2 und 40 Prozent – ist es sehr wahrscheinlich, dass derjenige, der den Krieg gewinnt, eine Herkulesaufgabe bei der Beseitigung der nicht explodierten Munition zu bewältigen hat, um eine grosse Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung durch versehentliche Explosionen zu verhindern.

Dies lässt sich am Beispiel von Laos und Kambodscha nachvollziehen. In Laos wurden von den USA fast 20 Millionen Tonnen Bomben abgeworfen6 – davon 2 Millionen Tonnen Streumunition, von denen rund 30 Prozent nicht explodiert sind.

Seit 1975 starben in Laos mindestens 20 000 Menschen, die Hälfte davon Kinder, durch Explosionen, die durch nicht explodierte, von den USA abgeworfene Bomben verursacht wurden, oder sie wurden verletzt. Die Räumung nicht explodierter Streubomben ist problematischer, da es relativ schwierig ist, sie zu lokalisieren.

Eine weitere Kehrtwende

Die Entscheidung, Streumunition zu liefern, ist eine weitere Kehrtwende in der Ukraine-Politik der Biden-Regierung, die noch vor wenigen Monaten Zweifel äusserte und den Einsatz von Streumunition als zu gefährlich bezeichnete.

Dies ist mittlerweile ein gängiges Verhaltensmuster der Biden-Administration: Erst lehnt sie eine bestimmte Waffe mit dem Hinweis auf eine mögliche gefährliche Eskalation mit Russland ab, um sie dann doch zu liefern oder ihre Verbündeten, die über das gleiche Waffensystem verfügen, zu bitten, dies zu tun.

Die USA und andere NATO-Mitglieder sind bei der Lieferung von Patriot-Raketenabwehrsystemen, HIMARS-Raketenwerfern, Kampfpanzern und Kampfflugzeugen an die Ukraine nach diesem Muster vorgegangen.

Am 13. Juli hat das US-Repräsentantenhaus einen Antrag auf ein Verbot der Lieferung von Streubomben an die Ukraine abgelehnt.7

Auf die Frage von Journalisten, warum die Entscheidung zur Lieferung von Streubomben erst jetzt getroffen wurde, sagte Biden beiläufig, dass der Ukraine die konventionelle Munition ausgegangen sei. Dies geschah inmitten der so genannten ukrainischen Gegenoffensive, die von der NATO und den westlichen Medien hochgejubelt wurde.

Die USA sind bei weitem der grösste Nutzer von Streumunition in der Welt. Sie haben diese Waffen wahllos in Vietnam, Laos, Kambodscha, Afghanistan und im Irak eingesetzt. Israel, ein enger Verbündeter der USA, hat 2006 im Libanon Streubomben eingesetzt.

Bezeichnenderweise erfolgte der Einsatz von Streubomben im Irak und in Afghanistan Jahre, nachdem die negativen Auswirkungen ihres Einsatzes in Laos und Kambodscha deutlich geworden waren und die Welt bereits über eine Konvention zu ihrem Verbot diskutierte.

Zivile Opfer

Es gibt bereits Berichte über den weit verbreiteten Einsatz von Streubomben8 gegen Russen durch die Ukraine im derzeitigen Krieg. Berichten zufolge hat die Ukraine in der Anfangsphase des Widerstands im Donbass 2014 auch Streubomben gegen ihre eigenen Bürger eingesetzt.9

Nach einem Aufschrei in den Medien erklärte die Ukraine jedoch,10 dass sie die von den USA erhaltenen Bomben nicht in Russland einsetzen werde, was bedeutet, dass sie in den von Russland kontrollierten Regionen der Ukraine zum Einsatz kommen werden.

Die Ukraine verfügt ohnehin nur über begrenzte oder gar keine Kapazitäten,11 um die Bomben tief in russischen Gebieten abzuwerfen.

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu erklärte zwar, dass Russland angesichts der Bedrohung für die Zivilbevölkerung bisher bewusst auf den Einsatz von Streumunition in der Ukraine verzichtet hat, behauptete jedoch kürzlich,12 dass, «wenn die USA Streumunition an die Ukraine liefern, die russischen Streitkräfte gezwungen sein werden, als Vergeltungsmassnahme ähnliche Zerstörungsmittel gegen die ukrainischen Streitkräfte einzusetzen.» (Human Rights Watch berichtete im Mai,13 dass Russland bereits Streubomben eingesetzt habe, ebenso wie die Ukraine).

Die Zivilisten im Donbass oder auf der Krim werden dank der Biden-Administration vermutlich über Generationen hinweg mit den Auswirkungen des aktuellen Krieges konfrontiert sein.

* Abdul Rahman arbeitet derzeit als Autor bei Peoples Dispatch. Bevor er 2019 zu Peoples Dispatch kam, unterrichtete er fast acht Jahre lang Politikwissenschaft und internationale Beziehungen an verschiedenen Universitäten in Indien, unter anderem an der Universität von Delhi und am Tata Institute of Social Sciences. Er hat an der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi über westasiatische Politik promoviert.

Quelle: https://peoplesdispatch.org/2023/07/14/us-cluster-munitions-supply-to-ukraine-will-harm-civilians-the-most, 18. Juli 2023

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 Hubert Mooser in: Weltwoche Nr. 28 vom 13. Juli 2023

2 Calmy-Rey zitiert in: Marcel Odermatt. Das Erwachen der Tauben, Weltwoche Nr. 29 vom 20. Juli 2023

3 https://apnews.com/article/ukraine-cluster-munitions-biden-russia-war-f364924503dfd14b8851b056852831fb

4 https://treaties.unoda.org/t/cluster_munitions

5 http://www.stopclustermunitions.org/en-gb/cluster-bombs/what-is-a-cluster-bomb.aspx

6 https://asia.nikkei.com/Economy/Laos-struggles-with-unexploded-bombs-50-years-after-Paris-Accords

7 https://thegrayzone.com/2023/07/14/amendment-to-block-cluster-bomb-ukraine/

8 https://www.hrw.org/news/2023/07/06/ukraine-civilian-deaths-cluster-munitions

9 https://www.hrw.org/news/2014/10/20/ukraine-widespread-use-cluster-munitions

10 https://www.reuters.com/world/europe/ukraine-vows-use-cluster-bombs-de-occupy-only-defence-minister-2023-07-08/

11 https://news.cgtn.com/news/2022-03-07/Russia-says-Ukraine-s-air-force-is-practically-destroyed-18cJCO5p5Ys/index.html

12 https://tass.com/world/1645471

13 https://www.hrw.org/news/2023/05/29/cluster-munition-use-russia-ukraine-war

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