Organspende: Die Bürger sollen entscheiden können

Chronologie zu Volksinitiative und indirektem Gegenvorschlag

Erstellt durch «Schweizer Standpunkt»

• 8. Oktober 2004: Das «Bundesgesetz über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen» (Transplantationsgesetz) tritt in Kraft. Art 8, Abs. 1–3, hält fest, dass Organe, Gewebe oder Zellen einer verstorbenen Person nur entnommen werden dürfen, wenn sie vor ihrem Tod einer Entnahme zugestimmt hat und der Tod festgestellt worden ist. Bei fehlender Willensäusserung der verstorbenen Person können die nächsten Angehörigen im Sinn und gemäss mutmasslichem Willen der Verstorbenen die Einwilligung für eine Entnahme geben = erweiterte Zustimmungslösung.

• 22. März 2019: Die Jeune Chambre Internationale (JCI) aus dem Kanton Waadt reicht ihre eidgenössische Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» bei der Bundeskanzlei ein. Die Initiative will einen Systemwechsel: Hat sich die verstorbene Person zu Lebzeiten nicht gegen die Organspende ausgesprochen, ist eine Organentnahme zulässig, die Angehörigen können einer Entnahme nicht widersprechen = enge Widerspruchslösung. Wer keine Organe spenden möchte, soll dies neu festhalten müssen.

• 13. September 2019: Der Bundesrat gibt einen indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative in die Vernehmlassung. Er fügt der engen Widerspruchslösung hinzu, dass die Angehörigen einer Organentnahme widersprechen können = erweiterte Widerspruchslösung.

• 25. November 2020: Der Bundesrat überweist seine Botschaft zum revidierten Transplantationsgesetz mit der erweiterten Widerspruchslösung an das Parlament.

• 5. Mai 2021: Der Nationalrat stimmt dem indirekten Gegenvorschlag mit grosser Mehrheit zu.

• 20. September 2021: Der Ständerat stimmt dem indirekten Gegenvorschlag ebenfalls zu.

• 7. Oktober 2021: Das Initiativkomitee zieht die Initiative «bedingt» zurück, d.h. dass der Rückzug erst wirksam wird, wenn der indirekte Gegenvorschlag in Kraft tritt.

• 12. Oktober 2021: Ein Komitee ergreift das Referendum zur Widerspruchslösung: «NEIN zur Organspende ohne explizite Zustimmung». Die Sammelfrist für die notwendigen 50 000 Unterschriften endet am 20. Januar 2022. Siehe https://organspende-nur-mit-zustimmung.ch

von Christian Gurtner, Redaktor der Zeitschrift «saldo»*

(30. November 2021) Organspender müssen heute explizit ihr Einverständnis geben. Künftig soll schon Schweigen als Zustimmung gelten. So wollen es Bundesrat und Parlament. Nun hat sich ein Referendumskomitee formiert: Die Stimmbürger sollen das letzte Wort haben.

Heute dürfen einem Menschen nur Organe entnommen werden, wenn er zu Lebzeiten zugestimmt hat oder seine Angehörigen ihr Einverständnis geben. Doch Anfang Oktober änderte das Parlament das Transplantationsgesetz. Künftig sollen Ärzte Organe entnehmen dürfen, sofern sich jemand nicht mit einer Eintragung in ein Register ausdrücklich dagegen aussprach oder seine nächsten Angehörigen die Entnahme untersagen.

Die Gesetzesänderung geht auf die Initiative einer kleinen Lobby zurück. Eine Gruppe von Westschweizer Jungunternehmern sammelte vor vier Jahren Unterschriften für eine Volksinitiative. Die radikale Forderung der Jeune Chambre Internationale von Montreux VD: Für die Organentnahme soll es keine Zustimmung mehr brauchen. Es soll reichen, wenn Verstorbene nicht rechtzeitig zuvor ausdrücklich widersprochen haben.

Die Stiftung Swisstransplant unterstützte die Volksinitiative von Anfang an. Sie bestätigt, dass sie dem Initiativkomitee 60 000 Franken bezahlte. Diese Mittel setzten die Jungunter-nehmer unter anderem für zwei Firmen ein, die gegen Geld Unterschriften sammelten. Die Initiative kam zustande. Sie wurde im März 2019 mit 113 000 Unterschriften eingereicht.

In der Herbstsession gelang der Transplantationslobby im Parlament ein Coup. National- und Ständerat lehnten zwar die Initiative ab, änderten aber das bestehende Transplantationsgesetz im Sinn der Initianten («K-Tipp» 16/2021). So konnte eine Volksabstimmung über die neue Widerspruchsregelung verhindert werden. Denn Initiativen müssen vors Volk – Gesetze hingegen nur dann, wenn jemand innert drei Monaten 50 000 Unterschriften sammelt.

Ein Referendumskomitee hat sich formiert: Die Stimmbürger
sollen das letzte Wort haben. (Bild KEYSTONE/Leandre Duggan)

«Lobbyisten wollten eine Volksabstimmung verhindern»

Der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli stellt gegenüber saldo fest: «Das Volk wurde umdribbelt.» Claudio Kuster von der Stiftung für direkte Demokratie kritisiert das Vorgehen ebenfalls: «Die Lobbyisten wollten nicht, dass es zu einer Volksabstimmung kommt.» Die Initiative wurde nach dem Parlamentsentscheid denn auch innert weniger Tage zurückgezogen.

Ob das Kalkül der Lobbyisten aufgeht, ist offen. Eine Gruppe von Ärzten, Pflegefachleuten, Juristen und Ethikern hat das Referendum gegen die neue Regelung ergriffen. Die Sammelfrist läuft bis im Januar 2022.

Swisstransplant schreibt saldo, man sei von den Initianten erst 2017 kontaktiert worden, als der Initiativtext bereits vorlag. Beim Parlamentsentscheid gegen eine Volksabstimmung sei Swisstransplant «nicht involviert» gewesen.

Der damalige Stiftungsratspräsident Pierre-Yves Maillard sagte 2019 in der «Schweizerischen Ärztezeitung»: «Die öffentliche Diskussion im Rahmen einer Volksabstimmung ist wesentlich.» Heute sagt er gegenüber saldo: Das Volk könne auch beim indirekten Gegenvorschlag des Parlaments mitbestimmen, falls das Referendum zustande kommt. Ohne Referendum würde es aber schneller gehen: «Es besteht Zeitdruck, weil jedes Jahr Personen sterben, die auf Organe warten.»

* Die Zeitschrift saldo ist ein Schweizer Konsumentenmagazin, das 20-mal jährlich in Deutsch erscheint. Sie befasst sich insbesondere mit Konsumentenschutz sowie Konsumentenfragen unter anderem zu Multimedia, Reisen oder Gesundheit. Dazu kommen auch Produktetests aus verschiedenen Bereichen.
Ruth Baumann-Hölzle.
(Bild www.dialog-ethik.ch)

«Kein Schutz der körperlichen Unversehrtheit»

von Ruth Baumann-Hölzle, Institutsleiterin bei der «Stiftung Dialog Ethik»

Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle ist Mitglied des Komitees, das gegen die Änderung des Transplantationsgesetzes das Referendum ergriffen hat.

saldo: Wer seine Organe nicht spenden will, muss dies gemäss neuem Gesetz in einem Register dokumentieren. Wo liegt das Problem?

Ruth Baumann-Hölzle: Heute schützt der Staat meine körperliche Unversehrtheit in jedem Fall. Künftig muss ich dieses Recht einfordern. Wenn ich ein Haus habe, ist jedem klar, dass es nicht ohne meine Zustimmung ausgeräumt werden darf. Beim Körper soll das nach dem neuen Gesetz nicht mehr gelten.

Viele denken: Wenn ich tot bin, ist mir egal, was mit meinem Körper geschieht. Stimmt das nicht?

Die Organspende betrifft die Menschen schon, wenn sie noch leben. Sterbende müssen vor dem Tod für die Entnahme vorbereitet werden. Weil die Organe frisch sein müssen, entnehmen Ärzte die Organe schon fünf Minuten nach dem Hirntod. Ich frage mich, wie das mit dem Anspruch auf Totenruhe vereinbar ist.

Ärzte dürfen auch Kindern Organe entnehmen – ab dem Alter von 4 Wochen. Wer entscheidet bei einer solchen Entnahme?

Es entscheiden die Eltern – in einer sehr belastenden Situation. Wer als Erwachsener keine nächsten Angehörigen hat, hat künftig keinen Schutz mehr, sofern er sich nicht zu Lebzeiten im Organspende-Register gegen eine Entnahme von Organen aussprach.

Quelle: Zeitschrift «saldo», Heft 18/2021, Seiten 12/13. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Hier kann der Unterschriftenbogen heruntergeladen werden: https://organspende-nur-mit-zustimmung.ch/unterschreiben/

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