So kann Integration von Migrantenkindern gelingen

Integration funktioniert nicht automatisch oder über behördliche Massnahmen.
Verbindliche angeleitete Schritte in die Gesellschaft und ihre Lebenswelt sind
sinnvoll. (Bild keystone)

von Marita Brune-Koch

(4. April 2023) Nahezu täglich kann man in allen Medien von grossen Problemen in den Schulen lesen und hören, von Leistungsrückgang bei den Schülern (vor allem in Deutschland), von Gewalt gegen Mitschüler und Mitschülerinnen, Lehrer und Lehrerinnen sowie von gravierendem Lehrermangel.

Auf der Suche nach der Ursache für alle diese Probleme taucht immer wieder die Tatsache auf, dass ein grosser Teil der Schüler ausländischer Herkunft ist, dass viele die Sprache nicht sprechen und auch deshalb kaum integriert werden können. Vor kurzem schreckten Jugendkrawalle vor allem aus Deutschland, bei dem Jugendliche Polizeibeamte und Feuerwehrleute angriffen und zum Teil schwer verletzten, die Öffentlichkeit auf. Offensichtlich waren die Täter überwiegend Jugendliche arabischer Herkunft.

Logischerweise wird dann diskutiert, woran alle diese Probleme liegen und was man dann dagegen tun könne. Meist wird mehr Geld gefordert für Förderkurse, Integrationsmassnahmen, Sprachkurse etc. Auch in der Schweiz laufen wir Gefahr, dass die Integration nicht mehr so problemlos verläuft wie bisher.

Auch hier wird sehr viel angeboten für die Menschen, die in unser Land gekommen sind. Doch Praktiker in Schulen und Kindergärten wissen auch: Die Angebote werden oft gerade von denen, die sie am dringendsten benötigen, nicht angenommen. Beatrice Reimann,1 eine erfahrene Kindergärtnerin, hat deshalb die Sache selber in die Hand genommen.

Ein Quartierkindergarten mit 19 Kindern, davon haben 70% einen Migrationshintergrund. Die meisten sprechen nur wenig Deutsch oder Schweizerdeutsch. In der Regel haben die Eltern dieser Kinder nur wenig Schuldbildung und kennen unser Schulsystem kaum. Wenn die Kindergärtnerin die Kinder jeweils am Montag fragt, was sie am Wochenende gemacht haben, bekommt sie zur Antwort, dass sie zu Hause waren und Fernsehen geschaut oder draussen gespielt haben.

Familien bleiben unter sich

Ihre Eltern können es sich in der Regel nicht leisten, mit ihren Kindern in den Zoo zu gehen, eine Bergwanderung zu machen oder ein Museum zu besuchen. Es sind auch diese Kinder, die in keinem Sportverein mitmachen oder sich auch sonst nicht an Aktivitäten ausserhalb des Kindergartens beteiligen.

Den Mädchen und Jungen fehlen somit wichtige Erfahrungen und vielfältige Erlebnisse. Dadurch können sie auch kaum neue Kontakte mit Kindern ausserhalb der Familie und der Kindergartenklasse knüpfen, sie haben wenig Gelegenheit, die für sie fremde Sprache einzuüben, sich in unserer Kultur, in unsere Art des Lebens einzufinden. Ausserhalb des Kindergartens bleiben sie für sich in ihren Familien, in der heimischen Sprache des Mutterlandes der Eltern und dem dazugehörigen Kulturkreis. – So kann Integration funktionieren.

Freizeitangebote werden kaum wahrgenommen

Es gibt aber auch in dieser Gemeinde vielfältige Freizeitangebote für Kinder dieses Alters. Beatrice Reimann, die Kindergärtnerin, hat beobachtet, dass die Eltern diese Angebote nicht wahrnehmen. Sie melden ihre Kinder in keinem Verein an, ermöglichen ihnen selten die Teilnahme an sportlichen und sozialen Ereignissen und Aktivitäten in der Gemeinde. Auch dann nicht, wenn die Angebote kostenlos und für die Kinder leicht zu erreichen sind.

Also hat Frau Reimann die Sache selbst in die Hand genommen. Sie erstellte eine Liste mit kostenlosen oder günstigen Freizeitangeboten für Kindergartenkinder in der Schulgemeinde. Es sind dies Vorlesenachmittage in der Stadtbibliothek, Teilnahme in Pfadi und Cevi, ein Kinder- und Jugendchor, der an speziellen Anlässen Konzerte gibt, ein Stadtlauf, an dem auch kleine Kinder teilnehmen können, Bastelnachmittage, die ein Elternkreis organisiert oder Kinderturnen. Eine reichhaltige und vielseitige Liste.

Entscheidend: Das persönliche Gespräch

Frau Reimann drückt den Eltern die Liste aber nicht einfach in die Hand, gibt sie auch nicht den Kindern nach Hause mit. Sie weiss aus Erfahrung, dass solche schriftlichen Mitteilungen meistens schubladisiert werden, bestenfalls. Nein, sie sucht den persönlichen Kontakt mit den Eltern. Jedes Elternpaar lädt sie zu einem Gespräch ein. Sie erklärt ihnen, wie wichtig es ist, dass ihre Kinder sich integrieren, indem sie an solchen Aktivitäten teilnehmen. Dass sie so unsere Sprache einüben und sich heimisch fühlen würden in der Gemeinde, wenn sie mit anderen Kindern schöne Freizeiterlebnisse machen. Auf diese Weise würde ihnen auch unsere Sprache geläufig. Das alles, so erklärt Frau Reimann, ist Grundbedingung für einen guten Schulstart und Schulerfolg. Das ist den meisten Eltern von Kindern, die in unser Land eingewandert sind, sehr wichtig. Auch wenn sie selbst die Sprache vielleicht nicht gut beherrschen, sich in unserer Kultur und unseren Gepflogenheiten noch nicht so sicher fühlen, so wünschen sie sich das doch unbedingt für ihre Kinder: Schulerfolg für einen guten Start ins Leben!

Das weiss Frau Reimann aus ihrer beruflichen Erfahrung. Auf dieser Grundlage bespricht sie gemeinsam mit den Eltern die verschiedenen Angebote. Im Gespräch erfasst sie, wo es noch an Verständnis hapert, wo sie noch einmal anders erklären muss. Sie kann auf die einzelnen Eltern eingehen, Missverständnisse ausräumen und Mut machen, Angebote anzunehmen. Die Kindergärtnerin hilft den Eltern konkret bei der Anmeldung ihrer Kinder für die verschiedenen Aktivitäten. Die Eltern gehen gern auf diese Gespräche ein, sie fühlen sich geschätzt, weil sie das Anliegen von Frau Reimann, ihren Kindern einen guten Start zu ermöglichen, spüren.

Die meisten Eltern nehmen das Angebot an

Nach einigen Tagen fragt die Kindergärtnerin nach, ob es mit der Anmeldung geklappt hat. Der Erfolg gibt ihr Recht: die meisten Eltern melden ihr Kind bei einer der Aktivitäten an. Frau Reimann spricht mit den Kindern darüber, was sie im Chor, bei der Cevi oder im Sportverein erleben und ob es ihnen gefällt. Die Mädchen und Jungen sind in der Regel sehr begeistert und stolz, dass auch sie erzählen können, was sie ausserhalb des Kindergartens alles machen.

Ihren Unterricht gestaltet Frau Reimann so, dass die Integration in die Gemeinde und in unsere Lebenswelt vertieft wird. Sie wählt realistische Themen wie «Feuerwehr», «Bauernhof», «Hühner», die verschiedenen Jahreszeiten oder «Zoo». Sie baut Aktivitäten wie Besuche bei der Feuerwehr in der Gemeinde, einen Ausflug in den Zoo, die Herstellung von Apfelsaft auf dem Bauernhof, Schlittschuhlaufen oder Exkursionen in den Wald, das Backen von Muffins für die ganze Familie oder das Ausbrüten von Hühnereiern im Brutkasten. So ermöglicht sie den Kindern viele praktische und lebensnahe Erlebnisse und führt sie auf spannende Weise in unsere Kultur ein.

Und das alles ohne teure Informationskampagnen, Hochglanzbroschüren und Information-Tools. Das Gespräch von Mensch zu Mensch ist nicht nur kostenlos, sondern vor allem das wirksamste Mittel, um Menschen zur Zusammenarbeit zu gewinnen. Man sollte den Pädagogen dafür Zeit geben.

1 Pseudonym. Name ist der Redaktion bekannt.

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