Nationales Referendum in Italien

«Unterschreibt für den Frieden – Beendet das Leiden»

Georg Koch (Bild zvg)

von Georg Koch, Redaktionsmitglied «Schweizer Standpunkt»

(6. Juni 2023) Anstatt mit weiteren Waffenlieferungen in die Ukraine immer grösseres Leiden zu verursachen, sollen die Gelder in Italien in die dringliche Verbesserung des inländischen Gesundheitswesens fliessen.

Wie in anderen Ländern Europas ist auch die Bevölkerung Italiens laut Umfragen eindeutig für die Beendigung der Waffenlieferungen in die Ukraine und für ernsthafte diplomatische Bemühungen um Frieden und Sicherheit für alle Völker und Staaten.

Während etwa in Deutschland die Wahlberechtigten lediglich das Mittel einer Petition haben, um Forderungen an die Regierung zu stellen (die Petition von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht gegen weitere Waffenlieferungen und für Diplomatie wird nach nur drei Monaten bereits von über 800 000 Bürgern unterstützt), können die Wahlberechtigten in Italien mit einem Referendum eine rechtsgültige nationale Volksabstimmung verlangen.

Die beiden Komitees «Ripudia la guerra» [Lehnt den Krieg ab] um den römischen Naturwissenschaftler Prof. Enzo Pennetta und die Bewegung «Generazioni future» [Zukünftige Generationen] um den Turiner Juristen und Völkerrechtler Ugo Mattei haben sich dieses Jahr im März in Rom zu einer gemeinsamen Referendumskampagne zusammengeschlossen.

Referendumskampagne: Unterschreibt für den Frieden Beendet das
Leiden

Gemeinsam mit zahlreichen namhaften Persönlichkeiten aus Politik, Kirche und Gesellschaft gelang es ihnen in kürzester Zeit, eine Referendumsfrage zu erarbeiten, ein Referendumskomitee zusammenzustellen und in allen Regionen und vielen Provinzen Italiens Verantwortliche zu gewinnen.

Ziel des Referendumskomitees ist es, «dem italienischen Volk, dem nach der Verfassung die Souveränität zusteht, die Möglichkeit zu geben, seinen Willen durchzusetzen».

An über 8000 Gemeinden wurden Referendumsdokumente zur Sammlung von Unterschriften versendet. Die stimmberechtigten Bürger haben seit Mitte Mai entweder bei einer Unterschriftensammlung im öffentlichen Raum, bei ihrer Gemeinde oder auf elektronischem Weg die Möglichkeit, mit ihrer Unterschrift eine Volksabstimmung zu verlangen.

Professor Ugo Mattei teilte vor kurzem auf seiner Facebookseite mit:

«Seit fast einem Monat werden ohne jegliche Medienunterstützung Unterschriften für drei Referenden gesammelt. Zwei davon wollen Waffenlieferungen in die Ukraine sowie in andere Kriege und Konflikte verhindern. Das dritte Referendum wendet sich gegen die Abschaffung des nationalen Gesundheitsdienstes. Dies sind wichtige Ziele, die von der gesamten pazifistischen Bewegung und denjenigen geteilt werden, die sich nicht an der Kriegshetze des Westens beteiligen wollen.

Die Referendumsinitiative, die mehr Investitionen in die Gesundheit der italienischen Bevölkerung und weniger in Waffen und Kriegsunterstützung fordert, wird von einem Bürgschaftskomitee unterstützt. Dieses setzt sich zusammen aus Juristen (Mattei, Somma, Poggi, De Sena, Cappellini, Borghi, Calamo Specchia) Richtern (Leo, Sceusa), Philosophen (Agamben, Cacciari), Historikern und Politikwissenschaftlern (Preterossi, Bradanini, Cardini, Dinucci, Viale), Persönlichkeiten aus der katholischen Welt (Zanotelli, Cesena, Minoni), Journalisten und Persönlichkeiten aus der Unterhaltungsbranche (Ovadia, Freccero, Leoni, Vauro Senesi).

Es handelt sich um eine breite Front, die die grosse Besorgnis im Land gegen die Erhöhung der Militärausgaben und die gleichzeitige Verschlechterung der öffentlichen Gesundheit, die sich während der Pandemie dramatisch manifestiert hat, zum Ausdruck bringen soll.»

Das in Art. 75 der italienischen Verfassung vorgesehene Referendum ist ein Instrument der unmittelbaren Volksbefragung, mit dem sich die stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger Gehör verschaffen können, indem sie über die vollständige oder teilweise Aufhebung eines Gesetzes oder eines Rechtsakts mit Gesetzeskraft, wie zum Beispiel eines Gesetzesdekrets oder eines Gesetzesbeschlusses, entscheiden. Für die Zulässigkeit dieses Vorgangs ist es erforderlich, dass 500 000 Wähler innerhalb von drei Monaten oder aber fünf Regionalräte einen entsprechenden Antrag stellen.

Sobald die Zahl von mindestens 500 000 Unterschriften erreicht ist, prüft das Verfassungsgericht die Zulässigkeit der von den Bürgern eingereichten Anträge. Es prüft insbesondere, ob ein Thema aufgegriffen wird, für das die Verfassung ein nationales Referendum ausdrücklich ausschliesst – wie zum Beispiel Steuerfragen, Gesetze über Amnestie oder Begnadigung oder die Ratifizierung internationaler Verträge.

Wenn die Zulässigkeitsprüfung des Verfassungsgerichts erfolgreich verläuft, wird das Referendum im eigentlichen Sinne ausgerufen, und die Staatsorgane sind verpflichtet, eine – vorzugsweise zwei – eintägige Volksabstimmung zu organisieren, bei der die gesamte stimmberechtigte Bevölkerung aufgefordert wird, ihre Meinung zum vorgeschlagenen Thema zu äussern.

Das Referendum gilt als angenommen, wenn die Mehrheit der Wahlberechtigten – das heisst 50+1 Prozent aller im italienischen Wählerverzeichnis eingetragenen Personen – an der Abstimmung teilnimmt und wenn die Mehrheit der Abstimmenden damit einverstanden ist. Die Politik muss sich nach diesem Resultat richten. Seit der Einführung des Referendumsrechts sind bereits mehrere Volksabstimmungen erfolgreich durchgeführt worden – etwa 2011 gegen die Privatisierung der Wasserversorgung.

Aktuell werden den Wahlberechtigten zwei zusammenhängende Fragen als Referendumsfragen gestellt:

  • «Wollen Sie die Aufhebung von Art. 1 (Nationale Gesundheitsplanung und Festlegung einheitlicher Versorgungsstufen), Abs. 13 des Gesetzesdekrets 502/1992 (Neuordnung der Disziplin im Gesundheitsbereich gemäss Art. 1 des Gesetzes Nr. 421 vom 23. Oktober 1992 [Amtsblatt Nr. 305 vom 30. Dezember 1992 – Ordentliche Beilage Nr. 137]), beschränkt auf die Worte und private Einrichtungen, die vom Nationalen Gesundheitsdienst zugelassen sind?»

Die Initianten beklagen, dass sich das öffentliche Gesundheitswesen in benachteiligten Gebieten – vor allem in Süditalien – zunehmend verschlechtert hat: «Der Zugang zur Gesundheitsversorgung, der für alle Bürger und Bürgerinnen unabhängig von ihrem Einkommen kostenlos und effizient gewährleistet sein sollte, ist für diejenigen, die sich die Kosten der privaten oder halbprivaten (vertraglich vereinbarten) Versorgung nicht leisten können, schwierig geworden.»

In den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen kommt es in der Folge zu immer längeren Wartezeiten, die sich zum Teil erheblich auf die jeweiligen Gesundheitsprobleme auswirken. Das Komitee ist gemäss der italienischen Verfassung überzeugt: «Als Bürger haben wir das Recht zu verlangen, dass sich Staat und Politik vor allem für die Gewährleistung unserer verfassungsmässigen Rechte einsetzen. Wir haben ein Recht darauf, dass Mittel für eine wohnortnahe Medizin und Intensivpflege bereitgestellt werden, auch wenn diese Bereiche dem privaten Sektor wenig einbringen.»

Gleichzeitig mit dieser negativen Entwicklung müssen die Steuerzahler feststellen, dass Italien – trotz hoher Staatsverschuldung – der Ukraine Waffen und Hilfsgelder im Wert von mehreren Milliarden Euro liefern. Daher stellt das Referendum den Bürgern folgende zweite Frage:

  • «Wollen Sie die Aufhebung von Art. 1 des Gesetzes Nr. 185 vom 2. Dezember 2022 (Dringende Bestimmungen zur Verlängerung der Genehmigung für den Transfer von militärischen Mitteln, Materialien und Ausrüstungen zugunsten der Regierungsbehörden der Ukraine), umgewandelt in Gesetz Nr. 8 vom 27. Januar 2023: ‹Wird die Genehmigung für den Transfer von militärischen Mitteln, Materialien und Ausrüstungen zugunsten der Regierungsbehörden der Ukraine, die in Artikel 2bis des Gesetzesdekrets Nr. 14 vom 25. Februar 2022, umgewandelt mit Änderungen durch das Gesetz Nr. 28 vom 5. April 2022, genannt wird, bis zum 31. Dezember 2023 verlängert, vorbehaltlich der Ansprache der Kammern, unter den darin festgelegten Bedingungen und Konditionen?›»

Professor Mattei erläutert die Notwendigkeit, Waffenlieferungen in die Ukraine zu stoppen, in einem Interview mit dem Online-Portal Abruzzo-Web folgendermassen:

«Wir müssen es vermeiden, Waffen zu schicken. Waffen sind dazu da, Menschen zu töten. Und den ukrainischen Widerstand aufzufordern, mit unseren Waffen weiter Krieg zu führen, ist eklatanter Unsinn. Es gibt westliche geopolitische Strategien, die ihre eigene Logik haben, nämlich die der vollständigen Unterwerfung unter die Militär- und Industrieapparate. In diesem Szenario sind die Ukrainer ebenso Opfer von Putin wie von der Aggression des Westens.

Unser Referendum ist jedoch kein Referendum zur Parteinahme. Unser Referendum ist ein Referendum für Abrüstung. […] Im Jahr 2023 ist es nicht akzeptabel, Probleme mit dem Einsatz von Waffen zu lösen. Der Punkt ist folgender: Wir müssen versuchen, deutlich zu machen, dass die Idee, Frieden zu schaffen, indem man Waffen auf einen Kriegsschauplatz verlegt, eine wahnwitzige Illusion ist, die Wahrheit ist das genaue Gegenteil. Frieden schafft man mit Abrüstung, nicht mit Waffenlieferungen. […]

Wir werden in den nächsten zwei Jahren 14 Milliarden Euro ausgeben, um den Interessen der USA und der Nato zu dienen, mit dem Ziel, den Haushalt für Militärausgaben aufzustocken, während wir 4 Milliarden Euro bei der Gesundheitsversorgung kürzen und das, obwohl das Gesundheitswesen bereits in Schwierigkeiten steckt. Gesamthaft gesehen, ist dies selbstmörderisch für Europa, das von der Atlantikachse, den grossen multinationalen Unternehmen usw. völlig fremdbestimmt ist.»

Interview mit Frau Nicola Sanna,
Regionalvertreterin des Referendums für Sardinien

Schweizer Standpunkt: Ist es richtig, dass das Referendum zur Ablehnung des Krieges ein so genanntes «abrogatives Referendum» ist, bei dem innerhalb von drei Monaten 500 000 Unterschriften gesammelt werden müssen, um über die Waffenlieferungen abzustimmen?

Nikola Sanna: Das ist richtig. Der Sinn dieses Referendums ist ebenso einfach wie entscheidend: Es soll der italienischen Regierung, dem Parlament und der «internationalen Gemeinschaft» signalisieren, dass Italien kein kriegführendes Land sein will, kein endloses Gemetzel anheizen will und dass das getan werden soll, was bisher nicht einmal erwähnt wurde, nämlich ein ernsthafter Versuch, die Kontrahenten an einen Verhandlungstisch zu bringen.

Reagieren die betroffenen Bürger positiv auf diese Möglichkeit der Mitbestimmung?

Wir haben eine gute Resonanz bei denen, die von dieser Aktion zur Unterschriftensammlung für das Referendum Kenntnis haben. Das grösste Problem ist jedoch, dass die Mainstream-Medien dieses Referendum boykottieren.

In einem Zeitungsartikel wird über eine Umfrage über die Waffenlieferungen Italiens an die Ukraine berichtet. 52 Prozent wollen keine Waffenlieferungen und 68 Prozent sind gegen die Nato-Intervention,1 was bedeutet, dass mindestens 60 Prozent der Italiener keine Waffen in die Ukraine liefern wollen.

Wie sind die bisherigen Erfahrungen mit der Unterschriftensammlung?

Die Leute können sich nun gegen Waffenlieferungen, Sanktionen und die Verletzung von Artikel 11 der italienischen Verfassung bezüglich des Krieges wehren. Sie haben drei Möglichkeiten ihre Unterschrift abzugeben:

  • Online (zum ersten Mal in Italien),
  • an den von Freiwilligen eingerichteten Ständen,
  • in ihrer Wohngemeinde.

Die Formulare für die Unterschriftensammlung wurden an alle Gemeinden Italiens verschickt, so dass unsere Aufforderungen etwa 8000 Gemeinden erreicht haben. Die Anzahl der Stände hängt von der Anzahl Personen ab, die sich zur Verfügung stellen, um sie aufzustellen und zu betreuen. Alle Kräfte, die wir ausfindig machen konnten, sind sporadisch an dieser Aktion beteiligt. Und wir zählen darauf, dass noch viel mehr Menschen mithelfen, anstatt zu kritisieren oder einfach nur in den sozialen Medien zu reden oder zu schreiben. Die Zahl der Stände hängt auch von der Verfügbarkeit von Unterschriftsbeglaubigern (Anwälte, Stadträte usw.) ab.

Ich möchte Sie auch daran erinnern, dass digitale Technologien, die für einen guten Zweck eingesetzt werden, nicht «wie die Pest» gemieden werden sollten, und daher kann auch die Online-Sammlung eine entscheidende Rolle spielen.

Sie kann es vielen Menschen, die nicht in der Lage sind, ihre Wohnung zu verlassen, ermöglichen, zu diesem Referendum beizutragen. Der kleine finanzielle Beitrag für die Online-Unterschrift bezieht sich auf die Nutzung der privaten Plattform und dem von der Verwaltungsgesellschaft angebotenen Service. Dabei belaufen sich die Kosten etwa auf den Preis eines Kaffees.

Wird das Referendum von den Medien unterstützt?

Fast alle Medien, die von der Finanzwelt und den multinationalen Konzernen beherrscht werden, machen Kriegspropaganda. Die Regierung und das Parlament folgen ihnen.

Die Mehrheit der italienischen Bevölkerung ist nach wie vor gegen Krieg und Waffenlieferungen, trotz der Propaganda von Fernsehen, Zeitungen und Mainstream-Medien, die in die entgegengesetzte Richtung drängen. Die Regierung und das Parlament erkennen diese Mehrheitsmeinung des italienischen Volkes nicht an. Dieser Mehrheitsmeinung wollen wir eine Stimme geben.

Wie ist die Haltung der Politiker zum Referendum?

Das Referendum wird nicht von einer politischen Partei vorgeschlagen, sondern von zwei Komitees, «Ripudia la Guerra» und «Generazioni future», dann schliessen sich einige politische Parteien wie die Democrazia Sovrana e Popolare (DSP) dieser Initiative an.

Wenn ein Referendum über ein so weit gefasstes Thema abgehalten wird, braucht man nicht ins Detail zu gehen, es können Katholiken, Rechte und Linke mitmachen – eine breite Mischung von allen. Sicherlich sollten Leute wie Conte, Di Battista, Travaglio, Orsini und Santoro, die sich immer gegen Waffenlieferungen ausgesprochen haben, das Referendum unterstützen.

Das Referendum ist eine politische Tatsache, die ein Schlupfloch in einem früheren Gesetz nutzen kann, um ein politisches Thema ins Gespräch zu bringen. Es heisst, dass 60 Prozent der italienischen Bürger keinen Krieg wollen, jedoch 99 Prozent der Journalisten ihn offensichtlich wollen. Wir werden sehen, was das Land wirklich denkt, die Frage ist rein politisch. Die Mehrheit der Politiker ist jedoch pro-Nato und akzeptiert daher jede anglo-amerikanische Entscheidung, auch wenn die Bürger die Folgen tragen müssen.

Was würden Sie den Lesern in der Schweiz gerne mitteilen?

Es gibt zwei Länder, die sich im Krieg befinden, Russland und die Ukraine. Italien ist Teil eines politischen Bündnisses, der Europäischen Union – man kann dies mögen oder nicht, wir sind Teil davon. Wir sind auch Teil eines Militärbündnisses, der Nato – man kann dies mögen oder nicht.

Russland und die Ukraine befinden sich im Krieg. Aber sie sind weder Teil der Nato noch der Europäischen Union, warum sollen wir Waffen schicken? Manch einer wird argumentieren, dass es einen Aggressor und einen Angegriffenen gibt. Nun ja... warum schicken wir dann keine Waffen an die Palästinenser oder in den Jemen? Das ist alles eine politische Frage.

Bis wann genau kann gesammelt werden?

Bis Mitte Juli, genau bis zum 17. Juli.

Frau Sanna, wir wünschen Ihnen viel Erfolg.

* Zum Referendumskomitee zählen namhafte Persönlichkeiten wie der Geograf und Geopolitiker Manlio Dinucci, der Politikwissenschaftler Prof. Alberto Bradanini, die Juristin Prof. Marina Calamo Specchia, der Historiker Prof. Franco Cardini, die Journalistin, Schriftstellerin und Menschenrechtsaktivistin Marinella Correggia, der Professor für Internationale Menschenrechte Pasquale De Sena, der Jurist Prof. Sergio Foà, der bekannte Journalist Carlo Freccero, der Poet und Philosoph Prof. Marco Guzzi, die bekannte Autorin Germana Leoni, der bekannte Politikwissenschaftler und Künstler Moni Ovadia, die Juristin Prof. Anna Maria Poggi, der Professor für Philosophie und Politik Geminello Preterossi, der bekannte Journalist und Friedensreporter Vauro Senesi und der Missionar und Friedensaktivist Padre Alex Zanotelli.

1     https://www.open.online/2023/01/28/italia-armi-ucraina-sondaggio-nato/

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