Warum der deutsche Staat versagt

Keine Aufklärung des Nord-Stream-Anschlags

von Robert Seidel

(25. April 2023) Wie ein Elefant steht die Frage im Raum, wie es kommen kann, dass führende deutsche Politiker und Richter es hinnehmen, dass die Halsschlagader der deutschen Energieversorgung, die Nord-Stream-Pipelines, sabotiert wurden, aber die Täter nicht verfolgt werden.

Seit der Veröffentlichung des US-amerikanischen Investigativ-Journalisten Seymour Hersh liegt die Urheberschaft für den spektakulären Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline auf der Hand. Die Planung für diesen terroristischen Akt fand mit offensichtlicher Billigung des US-Präsidenten Joe Biden noch vor dem Ukraine-Krieg statt. Gemeinsam mit norwegischen, dänischen und schwedischen Organisationen, also deutschen «Bündnispartnern», wurde wahrscheinlich die Sprengung der Pipeline in einer Geheimoperation durchgeführt.1

Mehrere Milliarden Euro Schaden

Die deutsche Bundesregierung hat ihre Verantwortung bisher nicht wahrgenommen. Auch von der deutschen Staatsanwaltschaft hört man äusserst wenig. Die Ergebnisse einer international erfolgenden Untersuchung stehen schon seit Monaten unter Geheimhaltung und dürfen nicht eingesehen werden …. Eine Mitarbeit russischer Experten wurde ausgeschlossen.

Mehrere Milliarden Euro an Investitionen in die Pipelines und in die anschliessende Infrastruktur wurden vorsätzlich zerstört. Die Zukunft des Industriestandorts Deutschland, aber auch die Europas sind dadurch ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen.

Der Amtseid des deutschen Bundeskanzlers und seiner Minister, «Schaden vom deutschen Volke abzuwenden»,2 scheint nicht zu gelten. Scheinbar untätig wird Deutschland von einer offenbar unfähigen Regierung ins Verderben begleitet.

Warum ist die Regierung unfähig?

Was sind die Ursachen für dieses katastrophale Staatsversagen, das die gesamte Bevölkerung in Geiselhaft nimmt? Warum reagiert die deutsche Bundesregierung so schwach? Warum üben die Abgeordneten im Bundestag nicht den entsprechenden Druck auf die Regierung aus? Warum schweigen die Medien? Ist Deutschland zur Bananenrepublik verkommen? Wie konnte es dazu kommen, dass eine führende Wirtschaftsnation, wie Deutschland, von Personen geführt wird, die ihrer Verantwortung in so krassem Ausmass nicht gerecht werden?

Was Deutschland in den vergangenen Monaten erlebt hat und erlebt, führt ins wirtschaftliche und damit ins menschliche Elend. Nicht nur eine verantwortungslose Energiepolitik, die zum wirtschaftlichen Niedergang und zur Massenarmut führt, eine Zuwanderungspolitik, die die sozialen Spannungen und Konfliktpotentiale ohne Ende herbeiführt, sondern auch eine Aussenpolitik, die dieses Land –, das selbst zwei Weltkriege zu verantworten hat –, schnurstracks in einen dritten führt. Was läuft schief?

Der Parteienstaat

Der Frage, wie es kommen kann, dass in einer Regierung Personen an den Hebeln der Macht sind, die offensichtlich ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, ist der Parteienforscher Hans-Herbert von Arnim über Jahrzehnte intensiv nachgegangen. Ihn interessiert die Frage, aus welchen Gründen sich das politische Establishment in Deutschland von seinen Wählern entfernt und Endscheidungen trifft, die sich gegen die ursprüngliche Wählerschaft richtet.3

Von Arnim stellt fest, dass die etablierten Parteien im Laufe der Jahrzehnte zunehmend ihren Einfluss auf den Staatsapparat ausgedehnt hatten, insbesondere auf einflussreiche Ämter. Das geschieht auch über die «verfeindeten» Parteigrenzen hinweg (Diätenerhöhung, Parteienfinanzierung, Postenbesetzung in Justiz, Verwaltung etc.).3

Die Partei, die Partei …

Die Führung einer Partei platziert Kandidaten auf ihrer Wahlliste so, dass diese einen sicheren Platz im Parlament erhalten. So ist die Auswahl von vorne herein auf die von der Parteispitze ausgesuchten Kandidaten begrenzt. Im Parlament finden sich Abgeordnete wieder, die mehr oder weniger von den Parteispitzen ausgewählt wurden. Es findet eine Selektion von oben und nicht vom Volk her statt. Auf den Kandidaten angewendet heisst das dann: Man passt sich den Parteimächtigen an, um einen aussichtsreichen Listenplatz für die Wahl zu erhalten und bemüht sich anschliessend diesen Platz nicht zu verlieren. Zunehmend wurden auch hohe staatliche Ämter von Parteipolitikern besetzt. Der Staat wurde zur Beute der Parteien.3

Eine echte politische Opposition kennt der Parteienstaat nicht. Gegner –, neue und kleine Parteien –, werden knallhart ausgebremst, bis hin zur Überwachung durch den Verfassungsschutz, der von geeigneten Gewährsleuten geführt wird.3

Der grosse Bruder

Wie können sich unter diesen Umständen Parteien wie Die Grünen trotzdem entwickeln? Sie waren zu Beginn doch in offener Opposition zum Parteienstaat? – War es in ihrer Gründungsphase gelungen, soziale und ökologische Forderungen aus der 68er Bewegung zu bündeln (Pazifismus, Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit usw.) und als neue politische Kraft Druck auszuüben, so stehen sie heute ganz offensichtlich für das krasse Gegenteil ein: Sie führen aktiv Krieg, sie lassen die Bevölkerung verarmen und Umweltschutz findet nur nach Opportunität statt.

Die Wende der Grünen …

Symbolhaft steht für die Wende der Grünen die Reise von Joschka Fischer (Die Grünen) gemeinsam mit Gerhard Schröder (SPD) zum Amtsantritt der neuen rot-grünen Koalition im Herbst 1998 nach Washington. Direkt nach diesem Besuch war der Krieg im Kosovo mit aktiver deutscher Beteiligung möglich –, von dem Gerhard Schröder später sagte, dass er völkerrechtswidrig war. Der Widerstand gegen den Krieg wäre unter einer CDU-Regierung ungleich grösser gewesen …

… Sprungbrett zur Karriere

Der Schulterschluss mit der knallharten US-Aussenministerin Madeleine Albright ermöglichte wiederum den kometenhaften Aufstieg des J. Fischer auf dem internationalen politischen Parkett als «Elder Stateman». So taktieren auch die Grünen, wie man es jenseits des Atlantiks von ihnen erwartet.

Kaderschmieden und …

Durch die Wahl einer völlig unqualifizierten Annalena Baerbock zur deutschen Aussenministerin wurde der Einfluss internationaler Kaderschmieden auf das deutsche politische Personal zum Thema. Ähnlich wie die Karriere einer von der Leyen oder eines Cem Özdemir führte ihr Weg auf geradezu wundersame Weise nach «oben». Kaum ein einflussreicher Politiker in Deutschland, der nicht bei den Young Leaders vorgesprochen oder geschult wurde.4

«Atlantikbrücke» als Hundeleine

Eine etwas andere Einrichtung als die Young Leaders ist die «Atlantikbrücke». Wer in Deutschland politisch etwas werden will, muss sich hier sehen lassen. Es gibt noch weitere ähnliche Einrichtungen. Die Ausrichtung und die Abhängigkeiten sind vorgegeben. Die Meinung der Wähler und ihr Wohlergehen spielen angesichts der transatlantischen Vorgaben keine grosse Rolle mehr.5

… ausspioniert und kontrolliert …

Ausserdem: Wer in Deutschland politisch und wirtschaftlich Entscheidungen fällt, wird beobachtet. Es gibt keine grössere relevante Entscheidung, die nicht jenseits des Atlantiks registriert und beeinflusst wird. Geradezu bezeichnend für den Kontrollzustand war 2013 die Äusserung der damaligen Bundeskanzlerin, Angela Merkel, nachdem bekannt wurde, dass ihr persönliches Handy von Washington abgehört wurde: «Ausspähen unter Freunden geht gar nicht». – Das war’s. – Konsequenzen hatte das Verhalten für den grossen Bruder keine.

Dass gesamte Ausmass der Massenspionage beschreibt der Gründer des österreichischen Amtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, Gert R. Polli, «Deutschland zwischen den Fronten. Wie Europa zum Spielball von Politik und Geheimdiensten wird».6 Nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft wird und wurde systematisch ausgespäht.

… oder «umgedreht»

Vergessen wir zum Schluss nicht die jüngere deutsche Vergangenheit, zum Beispiel die «Rosewood-Files» aus den Archiven der Stasi, die Dateien über Zuträger des Ministeriums für Staatssicherheit MfS der DDR. Sie gelangten nach der Wende nach Langley ins CIA-Hauptquartier. Wer bis 1989 im Westen für Ostberlin spioniert hatte und vielleicht in einem einflussreichen politischen Amt war, wurde jetzt «umgedreht».

Ganz abgesehen von den üblichen Möglichkeiten auswärtiger «Dienste», Erpressungen durchzuführen. Nicht nur in Agententhrillern kommt das vor («Honigfalle», angebliche Vorteilsnahme, fingierte Pornografiedateien usw. …).

«Schaden vom deutschen Volke abzuwenden»

Wer in der deutschen Politik Karriere machen will, kann dies nur unter sehr engen Vorgaben. Wer als Repräsentant des Volkes im Bundes- oder Landtag, als hoher Richter oder Beamter in «entscheidenden» Fragen nicht folgt, landet im besten Fall auf dem Abstellgleis. Nicht den «Schaden vom deutschen Volke abzuwenden» ist das Motto, sondern Entscheidungen auch gegen das Volk zu treffen. – Die vielen integren Persönlichkeiten, die in jeder Partei und in jedem Amt zu finden sind, seien an dieser Stelle explizit ausgenommen und gewürdigt!

Es kann nicht verwundern, dass in Politik und Justiz Entscheidungen gefällt werden, die gegen das Gewissen und das Wissen des Einzelnen verstossen. Zieht er oder sie Konsequenzen? Was kann die Konsequenz sein? Zurücktreten? Demissionieren? Auf die Pensionsansprüche verzichten? Ein mediale Schmutzkampagne in Kauf nehmen? «Freunde» enttäuschen? – Hier sind Persönlichkeit und Charakter des Einzelnen gefordert.

«Das hörende Herz» und die «grosse Räuberbande»

Am Ende steht der einzelne Mensch, der sich vor seinem Gewissen verantworten muss. Diese persönliche Erfahrung wurde in Deutschland in den Jahren 1933 bis 1945 besonders intensiv erlebt.

Im September 2011 hatte Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI. die Mitglieder des deutschen Bundestages und der deutschen Regierung auf das Problem einer «guten» Regierung hingewiesen. Er zitierte den Wunsch des jungen König Salomon: «Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er sein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht» (1 Kön 3,9). Salomon habe sich nicht Erfolg, Reichtum, ein langes Leben oder die Vernichtung seiner Feinde gewünscht, stattdessen ein guter König zu sein. Aber heute stellt sich mehr denn je die Frage, ob die Mehrzahl der deutschen Volksvertreter überhaupt noch dieses menschliche Anliegen verfolgt, dem Allgemeinwohl zu dienen? Um die Konsequenzen aufzuzeigen, zitierte Ratzinger Augustinus: «Nimm das Recht weg – was ist der Staat dann noch anderes als eine grosse Räuberbande».7

Direktdemokratische Elemente …

Von Arnim redet den Regierenden nicht ins Gewissen, er schlägt aber als Konsequenz aus dem Versagen des Parteienstaates vor, mehr direktdemokratische Elemente einzuführen.8 Sachentscheidungen sollten von den Bürgerinnen und den Bürgern selbst entschieden werden. Sie sind schliesslich die Betroffenen. Und – es ist offensichtlich, dass das heutige politische Personal nicht über den vielbeschworenen Sachverstand und die dazu nötige Integrität verfügt, um «besser» zu regieren. Ganz im Gegenteil. Viel schlechter kann Deutschland kaum regiert werden.

… gegen politische Willkür

Viele katastrophale Fehlentscheidungen wären spätestens an der Urne gescheitert. Alleine die Tatsache, dass eine Entscheidung zuerst von einer Mehrheit der Bürgerschaft angenommen werden muss, verjagt so manches fixe politische Hirngespinst im Vorhinein. Entscheidungen müssen plausibel gemacht werden, wenn sie eine Mehrheit finden sollen. Alleine die Möglichkeit, direkt Einfluss zu nehmen, entfaltet ihre Wirkung im Staat. Der Druck in einer direkteren demokratischen Verfassung ist hoch genug, dass die politischen Aufgaben vermehrt im Sinne der Wählerschaft gelöst werden. Willkür, wie zum Beispiel politische Anweisungen an Strafverfolgungsbehörden, würden nicht einfach geschluckt.

1 Seymour Hersh. Wie die USA gemeinsam mit Norwegen die Nord-Stream-Pipelines zerstörten. https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-international/wie-die-usa-gemeinsam-mit-norwegen-die-nord-stream-pipelines-zerstoerten.html und https://seymourhersh.substack.com/p/the-nord-stream-ghost-ship?utm_source=substack&utm_medium=email, 5. April 2023
Die nachgeschobene Fake-Meldung von angeblichen ukrainischen Saboteuren erwies sich schnell als ein weiteres Ablenkungsmanöver. Vgl. Scott Ritter.
Die Nord-Stream-Andromeda-Vertuschung. https://www.schweizer-standpunkt.ch/news-detailansicht-de-international/die-nord-stream-andromeda-vertuschung.html

2 Der Amtseid für den deutschen Bundeskanzler, die Regierung und den Präsidenten lautet: «Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.» Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden (Art. 56 Satz 2 GG).

3 Hans-Herbert von Arnim. Die Hebel der Macht und wer sie bedient. Parteienherrschaft statt Volkssouveränität. München 2017

4 C. E. Nyder (Autorenkollektiv). Young Global Leaders. Die Saat des Klaus Schwab. Rottenburg 2022

5 Friederike Beck. Das Guttenberg Dossier. Das Wirken transatlantischer Netzwerke und ihre Einflussnahme auf deutsche Eliten. Ingelheim 2011

6 Gert R. Polli. Deutschland zwischen den Fronten. Wie Europa zum Spielball von Politik und Geheimdiensten wird. München 2017

7 Papst Benedikt XVI. Ansprache vor dem deutschen Bundestag, 22.9.2011, www.youtube.com > watch?v=dArmbkjY_GI

8 Hans-Herbert von Arnim. a.a.O, S. 303 ff

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