Wende in Sachen Inklusion: «One size does not fit all»
Separative Massnahmen können sinnvoll sein
von Michael Felten*
(8. August 2025) Die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich (HfH) hat eine bemerkenswerte Wende in Sachen Inklusion vollzogen. So formuliert sie neuerdings in einem ihrer Leitsätze zur Inklusion: «Ziel ist das gemeinsame Lernen aller Kinder und Jugendlichen. Wenn dem besonderen Förderbedarf im inklusiven Setting nicht entsprochen werden kann, können separative oder teil-separative Massnahmen sinnvoll sein.»1

(Bild zvg)
Rektorin Prof. Dr. Barbara Fäh erläutert dies so: «Sonderschulen werden wir weiterhin brauchen, denn sie verfügen über Fachwissen im Umgang mit spezifischen Beeinträchtigungen. Separative Massnahmen sind auch Teil des Bildungssystem und deshalb auf die Ziele Teilhabe und Autonomie ausgerichtet. Wenn wir das Schulsystem als Ganzes denken, dann ergänzen sich die verschiedenen Formate. Und warum nicht einmal umdenken: Wann ist die Integration in die Regelschule temporär sinnvoll?»
Damit hat die Debatte um Vor- und Nachteile inklusiver und separativer Schulformen eine neue Erdung erfahren. In Basel bzw. Zürich wurde die Beschulung von Kindern mit besonderem Förderbedarf in Kleinklassen bzw. Schulinseln ja bereits wieder ermöglicht; andere Kantone werden dem folgen. Auch in Deutschland kehren Bundesländer nach und nach zu (zumindest phasenweise) getrenntem Lernen von bestimmten Förderschülern zurück: Schleswig-Holstein spricht von «temporären Lerngruppen» und «Campuslösungen», Baden-Württemberg von «Förderklassen».

Dies entspricht durchaus der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK, 2006), wonach Sonder- und Förderschulen oder -klassen keineswegs abzuschaffen seien – im Gegenteil: «Bei allen Massnahmen, die Kinder mit Behinderungen betreffen, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.» (Art. 7.2) Und: «Besondere Massnahmen, die zur Beschleunigung oder Herbeiführung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen erforderlich sind, gelten nicht als Diskriminierung im Sinne dieses Übereinkommens.» (Art. 5.4)
Nachdem die HfH über Jahre trotz externer Kritik in einem Positionspapier behauptet hatte, die inklusive Beschulung sei einer separativen prinzipiell überlegen und vorzuziehen, belegt ein neuer Fachartikel von Mitarbeitern der HfH die Perspektive des «dual-track-approach» (Otto Speck). Ihr Fazit: «Empirisch zeigt sich aktuell kein grundsätzlicher Vorteil inklusiver gegenüber separativer Schulformen.» Ob im Einzelfall inklusive oder separative Beschulung anzuraten sei, müsse je nach Behinderungsart beantwortet werden. «Entscheidend scheint weniger die Frage nach schulischer Inklusion oder Separation zu sein, sondern was im Klassenzimmer geschieht.» Die Empfehlung der Wissenschaftler: «Die Priorität sollte auf der Verbesserung der pädagogischen Qualität liegen, anstatt über die Schulform ideologisch zu streiten.»2
Dieser Perspektive hat die HfH nun – auch nach Hinweis meinerseits – durch ihre neu formulierten Leitsätze Rechnung getragen. Als Kurzformel könnte man sich merken: So viel Integration wie sinnvoll, so viel Separation wie notwendig.
* Michael Felten, Jg. 1951, hat 35 Jahre Mathematik und Kunst unterrichtet. Er ist Autor von Sachbüchern und Unterrichtsmaterialien, arbeitet als freier Lehrerweiterbildner und hat den Human Award 2014 der Uni Köln erhalten. www.eltern-lehrer-fragen.de. |