Wie Jawaharlal Nehru die Entstehung eines «neutralen» Österreichs ermöglichte

von Sanjana Suchdev, New Delhi

(24. August 2024) Premierminister Narendra Modi traf am 11. Juli in Österreich ein und ist damit der erste indische Premierminister seit Indira Gandhi im Jahr 1983, der das Land in Mitteleuropa besucht.

Jawaharlal Nehru war der Anführer der
Bewegung der Blockfreien Staaten.
(Photo wikipedia)

Vor dem Besuch von Premierminister Narendra Modi in Österreich1 erinnerte der Kongress am Dienstag (9. Juli) an die «Schlüsselrolle», die Jawaharlal Nehru, der erste Premierminister Indiens, bei der «Entstehung eines souveränen und neutralen Österreichs» spielte.Jairam Ramesh, der für die Kommunikation zuständige Generalsekretär des Kongresses, sagte, dass die Republik Österreich erst am 26. Oktober 1955 vollständig gegründet wurde, und dass eine Person, die entscheidend dazu beigetragen hat, dass dies Wirklichkeit wurde, der Mann war, «den Herr Modi so gerne hasst und diffamiert».2

Ramesh sprach über die Schriften des bekannten österreichischen Akademikers Dr. Hans Köchler, in denen die Rolle Nehrus beim Wiederaufbau Österreichs «nach einem Jahrzehnt der Besatzung durch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs» behandelt wird.

Was war die Verbindung zwischen Jawaharlal Nehru und Österreich?

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Österreich in vier Zonen aufgeteilt und von den alliierten Siegermächten – den Vereinigten Staaten, der ehemaligen Sowjetunion, dem Vereinigten Königreich und Frankreich – besetzt.

Österreich wollte jedoch ein souveränes Land sein. Durch seine Neutralität hoffte Österreich, die Beziehungen zu den Ländern des West- und des Ostblocks zu fördern und eine einzigartige Rolle in der internationalen Diplomatie zu spielen.

Aufgrund seiner Lage – genau zwischen dem kapitalistischen Westeuropa und dem kommunistischen Osteuropa – war es jedoch anfällig dafür, zu einem Brennpunkt des Kalten Krieges zu werden. Sowohl die Sowjets als auch der Westen hatten die Absicht, Österreich unter ihre Kontrolle zu bringen.

An dieser Stelle kommt Nehru ins Spiel. Köchler schrieb in «Austria, Neutrality and Non-Alignment» (2021) darüber, wie im August 1952 der politische Direktor des österreichischen Aussenministeriums nach Neu-Delhi kam, um Nehru zu treffen, der ihm versicherte, dass Indien bereit sei, die Sowjets über die österreichischen Bestrebungen zu befragen. In jenem Jahr gehörte Indien zu den wenigen Ländern, die den Appell Österreichs an die Generalversammlung der Vereinten Nationen für das Ende der alliierten Besatzung und die Wiederherstellung der Souveränität unterstützten.

Am 2. Juni 1953 nahmen der österreichische Aussenminister Karl Gruber und Nehru an der Krönung von Elisabeth II. teil und trafen sich laut Medienberichten am nächsten Morgen in London. Bei einem zweiten Treffen am 20. Juni bat Gruber Nehru um Hilfe bei den festgefahrenen Verhandlungen über den Vertrag zwischen Österreich und den vier Alliierten, wie Köchler schrieb. Er soll dabei die Bereitschaft seiner Regierung signalisiert haben, «Garantien gegen eine österreichische Beteiligung an Militärbündnissen» zu geben, ein wichtiger Aspekt der Neutralität, den Gruber auch später immer wieder betonte.

In seinem Buch «The Political Settlement After the Second World War» (1972) schrieb der britische Historiker Sir John Wheeler-Bennett, dass Nehrus Rolle als «diplomatischer Vermittler» «einen völlig neuen Faktor in die österreichischen Vertragsverhandlungen» einbrachte.

Köchler zitierte einen Bericht der österreichischen Tageszeitung Neues Österreich vom 21. Juni 1953, in dem es hiess: «Premierminister Nehru […] ist ohne Zweifel die einzige Persönlichkeit in der internationalen Politik, deren ‹gute Dienste› Österreich bei seinen Bemühungen um die Verwirklichung des Staatsvertrags wirksam unterstützen können.»

In seinen Memoiren aus dem Jahr 1976 schrieb Gruber über Nehrus Rolle bei der Aushandlung des Vertrags.

Im Mai 1955 wurde die sogenannte «Bürgenstock-Initiative» zum Grundstein für den erfolgreichen Abschluss des Vertrags. Bruno Kreisky, damals Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten und später Aussenminister und Ministerpräsident Österreichs, erklärte damals in Band 1 seines Buches «Reden»:

«So ist der Name Nehru für immer mit der Geschichte unserer Neutralität verbunden (Thus, the name of Nehru will forever be connected with the history of our neutrality).»

Im Juni 1955 stattete Premierminister Nehru Österreich einen Staatsbesuch ab, etwa einen Monat nachdem das Land durch den Abschluss des Staatsvertrags seine volle Unabhängigkeit erlangt hatte. Nehrus Besuch war der erste Staatsbesuch eines ausländischen Staatsoberhaupts im gerade unabhängig gewordenen Österreich.

Hat Österreich seinen neutralen Status beibehalten?

Obwohl Österreich durch die in seiner Verfassung verankerte Neutralität, insbesondere durch Artikel 9a, der besagt, dass Österreich keinem Militärbündnis beitritt und keine ausländischen Militärstützpunkte auf seinem Staatsgebiet zulässt, streng gebunden ist, sind seit dem Ende des Kalten Krieges im Jahr 1991 eine Unvereinbarkeit mit dem genannten Status und eine Ausrichtung auf den Westen zu beobachten.

Im Jahr 1995 trat Österreich der Europäischen Union und der Nato-Initiative «Partnerschaft für den Frieden» (PfP) bei.

Nach dem 11. September 2001 hat sich die Zusammenarbeit Österreichs mit den von westlichen Ländern geführten Initiativen zur Terrorismusbekämpfung und Sicherheit vertieft. Im Jahr 2001 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das das Verteidigungsministerium ermächtigt, den Transit und die vorübergehende Präsenz ausländischer Streitkräfte auf österreichischem Hoheitsgebiet zu genehmigen – eine Bestimmung, die häufig von Nato-Streitkräften genutzt wurde. Darüber hinaus hat es in Österreich in den letzten Jahren grosse politische Veränderungen gegeben, die zu einer Annäherung an westlich orientierte Politiker und Parteien geführt haben.

Im Jahr 2010 änderte das Parlament das Neutralitätsgesetz von 1955 und fügte einen Artikel in die Verfassung ein, der eine aktive Beteiligung an militärischen Operationen im Rahmen der EU-Mitgliedschaft Österreichs ermöglicht.

Österreich ist jedoch eines von drei Ländern in der EU, die noch immer offiziell neutral sind, neben Irland und Malta.

Köchler kommentierte die «ständige Erosion der Neutralität des Landes zugunsten einer westlich orientierten Realpolitik» wie folgt:

«Es ist daher nicht verwunderlich, dass die österreichische Beamtenschaft seit dem Ende der Ära Kreisky fast vollständig geschwiegen hat, als es um die historische Rolle von Premierminister Nehru als Vermittler und Mediator bei den Verhandlungen mit der Sowjetunion über den Abschluss des Staatsvertrags ging.»

Quelle: https://indianexpress.com/article/explained/explained-history/how-nehru-facilitated-the-emergence-of-a-neutral-austria-9444516/, 11. Juli 2024

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://indianexpress.com/article/india/pm-modi-austria-visit-live-updates-9443681/

2 (Red. CH-S) Zur Position von Modi in der Polemik um die Rolle Nehrus gibt es u.a. einen Artikel im «New Indian Express», 5. Februar 2024, in dem auf eine Rede von Modi im Parlament bezuggenommen wird:
https://www.newindianexpress.com/nation/2024/Feb/05/pm-modi-quotes-speeches-by-nehru-indira-says-congress-leaders-had-no-faith-in-indians.
Ähnlich auch: «The New Economic Times», 6. Februar 2024:
https://economictimes.indiatimes.com/news/india/pm-modi-speaks-on-nehru-and-indiras-views-on-indians-what-nehru-and-indira-really-said-in-their-speeches/articleshow/107434888.cms?from=mdr.

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