Wie Kriegspropaganda funktioniert
Wie man eine Demokratie «kriegsbereit» macht (Teil 2)
von Robert Seidel*
(8. August 2025) In der Politik gibt es ein verbreitetes Mittel, um einer sachlichen Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen: das Gegenüber als «merkwürdig» zu bezeichnen oder gar zum «Unmenschen» zu erklären. Demjenigen «darf» man dann so einiges zumuten, ohne auf die Sache selbst eingehen zu müssen. Um Kriege zu rechtfertigen, geht man viel weiter. Kaum jemand würde sonst die barbarischen Kriegshandlungen ausführen, die erwartet werden. Erst recht nicht, wenn man dabei schlussendlich selbst zu Schaden kommt, vielleicht auch die Ehefrau, der Sohn, die Tochter …

Einstellungen und Meinungen werden vor einem Krieg massiv manipuliert (vgl. Teil 1).1 So auch jetzt. Mit Hilfe von Massenmedien, «Sozialen Medien» und Methoden aus der Werbepsychologie ist ein umfangreiches Repertoire entwickelt worden, um Demokratien – quasi unbemerkt –, mental «kriegsbereit» zu machen. Eine Kriegsbereitschaft, die psychologisch betrachtet, einer emotionalen Verrohung gleichkommt.Gefühle und Falschmeldungen –
«Gehöre ich zu den Guten?»
Wie erzeugt PR «Kriegsbereitschaft»? Dazu einige grundlegende Aspekte. «Propaganda» – positiv gewendet «Public Relations» (PR) – missbraucht die sozial angelegten Dispositionen des Menschen. Da ist unter anderem der starke Wunsch dazuzugehören, es «richtig» und «gut» zu tun, beliebt und anerkannt zu sein. Dies ist verbunden mit der Angst, nicht mehr dazuzugehören oder ausgegrenzt zu werden. Diese Wünsche und Ängste werden gezielt von aussen manipuliert.
Ein Beispiel: Wenn das Verhalten einer Person negativ bewertet wird, tritt bei den Beobachtern häufig die unbewusste Reaktion auf, sich innerlich vom Kritisierten zu distanzieren, oder darauf zu achten, die negativ bewerteten Eigenschaften selbst nicht zu zeigen. Dies, um vermeintlich nicht selbst zum «Opfer» zu werden und weiterhin zur Mehrheit zu gehören. Dieses Verhalten läuft unbewusst in Bruchteilen von Sekunden ab. Eine bewusste Reflexion findet kaum statt. – Manche haben dennoch das Bewusstsein und die Courage, sich an die Seite eines vermeintlich «Stigmatisierten» zu stellen.
Selbst kleine optische Signale reichen aus, um diese unbewussten Reaktionen auszulösen: zum Beispiel ein anerkennendes Lächeln oder ein verächtliches Verdrehen der Augen. Das kann von «Autoritäten», Stars, Politikern, Prominenten oder auch Bekannten kommen – und schon gilt jemand als «gut» oder «schlecht». Einstellungen oder Verhaltensweisen werden so bewertet und dadurch vorgegeben. Sie können auch künstlich erzeugt und verbreitet werden (Werbepsychologie).
Manipulationen – «Spins»
Auf der sprachlichen Ebene wird schon immer manipuliert. In den 1980er Jahren tauchte im US-amerikanischen Politikbereich der Begriff «Spin Doctor» auf. Er bezeichnet Experten im PR-Bereich von Politik und Wirtschaft. Das englische Wort «spin» bedeutet «drehen». Ein negativer Sachverhalt soll der Öffentlichkeit positiv verkauft werden oder umgekehrt.
Inzwischen gehört es zum Allgemeingut, dass negative Sachverhalte positiv verkauft werden. Das kann man in der Politik, Verwaltung, Wirtschaft oder sogar im Vereinsleben beobachten. Anstatt einen Zustand zu benennen, z.B. als «ungenau gemacht», «negatives Ergebnis» oder «katastrophale Folgen», heisst es dann häufig «herausfordernd» oder «fast erreicht». Diese Art der Beschreibung kann letztendlich einen entgegengesetzten Eindruck hervorrufen oder sogar zu einer anderen Beurteilung eines Sachverhaltes führen.
So kann ein kriegerischer Akt einerseits als «völkerrechtswidriger Aggressionskrieg» oder andrerseits als «gezielte präemptive Operation» beschrieben werden. Beide Bezeichnungen rufen verschieden belegte Assoziationen hervor. Diese Umgewichtung wird auch als «Wording» bezeichnet.
Wird dann ein gesamter Sachverhalt, wie zum Beispiel die Zerstörung der familiengeführten Landwirtschaftsbetriebe in der EU als «ökologische Umweltpolitik» umgedeutet, dann spricht man von «Framing».
Wird schliesslich ein grösserer Gesamtzusammenhang im kollektiven Bewusstsein verankert und ist immer wieder abrufbar, dann wird dies als «Narrativ» oder «Erzählung» bezeichnet.
Die Mehrheit hat immer recht
Eine andere Manipulationstechnik ist es, den Eindruck zu erwecken, eine Mehrheit sei einer bestimmten Meinung. Damit kann unbewusst eine Änderung in einer bestimmten Einstellung herbeigeführt werden –, denn jeder möchte dazugehören. Durch die ständige Wiederholung einer bestimmten Position wird eine «Mehrheit» suggeriert. Offizielle Verlautbarungen, Massenmedien, soziale Medien oder öffentliche Veranstaltungen erzeugen diesen Eindruck, völlig unabhängig von der Realität.
Einstellungen werden gezielt nicht nur über Nachrichten und Meldungen gestreut, sondern auch über Romane, Illustrierte, TV-Serien, Spielfilme (z.B. Hollywood, Netflix) oder auf Unterhaltungsveranstaltungen verbreitet. Eine wiederholt gleichlautende Botschaft verfestigt sich zu einer inneren «Gewissheit» (z.B. «Putin ist gut/böse» oder «kurze Hosen sind modern/veraltet»). Auch Verhaltensweisen werden beeinflusst («souverän»/«unmöglich»). Besonders wirksam sind optische Eindrücke. Bilder oder Filme wirken direkt auf das Unbewusste.
Der Anpassungsdruck (Konformitätsdruck), eine bestimmte Einstellung oder Meinung mit der vermeintlichen Mehrheit teilen zu müssen, verhindert eine bewusste, kritische Auseinandersetzung zusätzlich. In Kombination mit weiteren PR-Techniken können sich daraus sogar massenpsychologische Phänomene entwickeln, wie «spontan» hervorgerufene Massenhysterien (Berliner Sportpalast-Veranstaltung, Februar 1944) oder «spontane» Protestzüge (Zerstörung von CDU-Parteibüros, Januar 2025).
Nachrichten – Fälschungen, Lügen, Manipulationen
Im Nachrichtenbereich gilt es als geradezu klassisch, durch Auslassungen und Lügen Zusammenhänge zu verdrehen oder ins Gegenteil zu verkehren. Nachrichten – neudeutsch «News» – sind das beliebteste Objekt für Manipulationen. Umso verheerender ist es, dass fast jeder Medienkonsument sich darauf verlässt, dass «seine» Nachrichten «objektiv» und «wahr» seien. Umso wichtiger bleibt es, Nachrichten zu misstrauen und sie zu überprüfen. Inzwischen ist dies durch eine Vielzahl kleinerer Medien möglich.
Die deutschen Nachrichtenexperten und Insider, Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer, haben es sich seit Jahrzehnten zur Aufgabe gemacht, unter anderem die Manipulationen des deutschen Nachrichten-Flaggschiffs «Tagesschau» zu verfolgen. Sie haben mit den Manipulationen in den Sendungen Bücher gefüllt, doch in das Bewusstsein der Öffentlichkeit konnten sie nicht dringen.
Albrecht Müller, ein politisches Urgestein der SPD, hat es sich mit der Gründung der «Nachdenkseiten» (www.nachdenkseiten.de) zur Aufgabe gemacht, Ungereimtheiten und Falschaussagen aus dem politischen Bereich und in den Medien aufzudecken. Auch ihm und seinem Team geht die Arbeit nicht mehr aus – im Gegenteil.
Wie manipulativ eine «objektive» Reportage sein kann, hat Emilie Böhm («Kriegsberichterstattung: Die Simulation von Ausgewogenheit», 23. Juni 2025) beispielhaft anhand der ARD-«Tagesschau» vom 14. Juni 2025 analysiert. Nach dem gegenseitigen Raketenbeschuss Israels und des Iran kamen in der Reportage Betroffene beider Seiten zu Wort – scheinbar ausgewogen. Durch Kameraführung und Moderation wird der Zuschauer dann sehr subtil in seiner Meinung manipuliert. Ein Lehrbeispiel für Manipulation.
Der «Meinungsteppich»
Mit Hilfe von psychologischen Manipulationen, Auslassung, Spins oder Lügen wird medial eine «Meinung» zu einem komplexen Sachverhalt erzeugt. In der Gesamtheit entsteht ein «Meinungs- und Stimmungsteppich», auf dem dann der einzelne «Konsument» jede Nachricht von sich aus «richtig zuordnet». Insgesamt ergibt sich eine «Erzählung», auch als «Narrativ» bezeichnet. Eine kritische Auseinandersetzung findet nicht mehr statt. Inzwischen ist es beispielsweise so, dass eine einzige positive Aussage über den russischen Präsidenten Wladimir Putin in einem beliebigen Text oder einer beliebigen Sendung dazu führt, dass alle weiteren Aussagen in dem Beitrag entwertet werden, so wahr und richtig diese auch sein mögen. Nun ist die Zensurschere im Kopf der Bürgerin und des Bürgers selbst installiert worden.
Mit dem verstärkten Einsatz von KI eröffnen sich viel raffiniertere Möglichkeiten, «Informationen» passgenau für jede grössere «Erzählung» zu manipulieren. Leider muss mit der aktuellen, immensen Aufstockung der Militärbudgets damit gerechnet werden, dass die Bevölkerung in den kommenden Wochen von offizieller Seite und den Mainstreammedien noch massiver mit tatsächlichen «Fake News» konfrontiert wird (Cognitive Warfare).
Das Meinungsspektrum erweitern
Voraussetzung zur Aufrechthaltung eines Meinungsteppichs ist die Kontrolle über den Mainstream, das heisst über die meinungsbestimmenden Medien. Gerade deshalb werden grössere «abweichende» Medien mit allen (auch unerlaubten) Mitteln bekämpft (vgl. Teil 1).1 Denn häufig geäusserte und vom Mainstream abweichende Positionen würden das Meinungsspektrum erweitern und zu einer offeneren und sachlicheren Auseinandersetzung führen. Das wird aktiv verhindert. Der enge «Meinungskorridor» soll aufrechterhalten werden. Dennoch existiert ein bunter Teppich an vielfältigen, staatsunabhängigen Medien verschiedenster Grösse und Ausrichtung.
Die Meinungsäusserungsfreiheit – ein Grundpfeiler jeder freiheitlichen Demokratie – gilt inzwischen in vielen Staaten des «Westens» als Störfaktor. Umso wichtiger bleiben staatsunabhängige Medien!
* Robert Seidel arbeitet als unabhängiger Autor für den «Schweizer Standpunkt». |
Propaganda (Auswahl)
Edward L. Bernays. Propaganda. (Ersterscheinung 1928, im Buchhandel erhältlich).
Jörg Becker / Mira Beham. Operation Balkan. Werbung für Krieg und Tod. 2006
Emilie Böhm. Kriegsberichterstattung: Die Simulation von Ausgewogenheit. https://overton-magazin.de/top-story/kriegsberichterstattung-die-simulation-von-ausgewogenheit/, 23. Juni 2025
Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer, Maren Müller. Zwischen Feindbild und Wetterbericht. Tagesschau & Co. – Auftrag und Realität. 2019.
Renate Dillmann. Medien. Macht. Meinung. Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit. 2025.
Andreas Elter. Die Kriegsverkäufer. 2005.
Hannes Hofbauer. Feindbild Russland. 2016
Uwe Krüger. Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen. 2016.
Ders. Meinungsmacht. 2013
Johannes Menath. Moderne Propaganda. 80 Methoden der Meinungslenkung. 2022
Albrecht Müller. Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst. Wie man Manipulation durchschaut. 2022
Romain Rolland. Clerambault. Geschichte eines freien Gewissens im Krieg. Paris 1920
Jonas Tögel. Kognitive Kriegsführung. 2023
ders. Alles «Desinformation»? Wie der Staat in die Meinungs- und Pressefreiheit eingreift. In «Berliner Zeitung», 22. Februar 2025
Jens Wernicke (Hg.). Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung. Westend. 2017