«Wir müssen aus diesem Scheitern etwas Neues machen, eine Lektion fürs Leben finden»

«Jeder Krieg macht unsere Welt schlechter als sie vorher war.»
(Bild Vatican Media)

Ansprache seiner Heiligkeit Papst Franziskus für die Delegation des «Instituto Europeo de Estudios Internacionales de Salamanca» (Spanien) 26. Januar 2023

Eure Eminenz,
Liebe Brüder und Schwestern,

(21. Februar 2023) Ich danke Ihnen für Ihr Kommen; es ist mir eine Freude, Sie wieder in diesem Haus zu begrüssen und mit Ihnen die Früchte der Forschung über die aktuelle politische und soziale Situation zu teilen. Rom ist seit Jahrtausenden ein Sammelbecken von Kulturen und Völkern. Alle sind hierhergekommen und haben sich in einem Schmelztiegel zusammengefunden. Als Erbe dieser universellen Berufung hat der Stuhl Petri immer ein offenes Ohr für die Probleme aller Völker gehabt, für ihre Bemühungen und Schwierigkeiten, ein besseres Leben zu erreichen. Er hat sich dafür eingesetzt, dass sie den Frieden erlangen, den Jesus seinen Jüngern versprochen hat (vgl. Joh 14,26-27).

Dieser Friede übersteigt nicht nur das, was wir mit rein menschlichen Mitteln erreichen können, sondern verlangt von uns auch, dass er sich nicht einfach auf Machtverhältnisse oder das Unterdrücken der gerechten Forderungen der weniger Begünstigten stützt. Dennoch ist der Friede unter den Menschen ein wesentliches Gut, für das wir uns mit Eifer und Inbrunst einsetzen und Gott anflehen müssen. Diese Haltung der Befriedung wird zum Frieden führen. Aber diese Haltung ist so menschlich: Es ist immer schwierig, Frieden zu stiften, denn unsere erste Reaktion ist, einen Stein zu nehmen und ihn auf den anderen zu werfen, ihm den Krieg zu erklären. Und dann erst zu verhandeln. Nein, Befriedung ist viel einfacher, denn sie erspart zwei Schritte.

Leider erinnert die derzeitige Situation an etwas aus Fratelli tutti: « Jeder Krieg macht unsere Welt schlechter als sie vorher war. Der Krieg ist ein Versagen der Politik, ein Versagen der Menschlichkeit, eine beschämende Kapitulation, eine vernichtende Niederlage vor den Mächten des Bösen» (Nr. 261).

Wenn wir bedenken, dass es in diesem letzten Jahrhundert drei Weltkriege gab, 1914 bis 1918, 1939 bis 1945 und den jetzigen, der ein Weltkrieg ist, wie ist das zu verstehen? Denken Sie daran, dass die Waffenproduktion der wichtigste Haushaltsposten ist, und denken Sie daran, dass ein Jahr ohne die Produktion von Waffen das Problem des Hungers in der Welt lösen würde. Wir haben also bereits eine kriegerische Tendenz zur Zerstörung, und wenn man bedenkt, dass die Waffentechnologie heute so weit ist, dass mit einer einzigen Bombe eine ganze Stadt wie diese hier zerstört werden kann, worauf warten wir dann noch? Wir sind auf diesem Weg… es scheint, dass dies nicht verstanden wird. Deshalb muss der Kampf für die Verständigung der Menschen und den Frieden unermüdlich sein – wir können es uns nicht leisten, eine Pause einzulegen.

Krieg ist schrecklich. Aber wir dürfen nicht aufgeben: Aus der Asche, die wir heute sehen, kann etwas Neues entstehen, aus diesem Scheitern können wir eine Lektion fürs Leben ziehen. Es ist notwendig, über frühere Kriege zu lesen. Als ich 2014 anlässlich der Hundertjahrfeier nach Redipuglia1 fuhr, sah ich diese Gräber und war aufgewühlt. Ich weinte wie ein Baby. Jeden 2. November gehe ich auf einen Friedhof, um zu gedenken. Einmal war ich in Anzio,2 auf dem amerikanischen Friedhof. In Anzio gab es eine der Landungen, und ich sah das Alter der Soldaten: 20, 21, 19, 22. Da war ich ganz aufgewühlt. Wir haben nicht gelernt.

Vor kurzem – ich weiss nicht, wann, vor einem Jahr oder so – wurde der siebzigste Jahrestag der Landung in der Normandie begangen. Verschiedene Regierungschefs versammelten sich, um diesem Ereignis zu gedenken, das den Anfang vom Ende des Nationalsozialismus oder vielmehr der Befreiung Europas darstellte. Aber niemand erinnerte sich daran, dass dreissigtausend junge Männer an den Stränden der Normandie zurückgeblieben waren, dreissigtausend! «Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, dass Sie die Mutter eines Helden sind, der sein Leben für das Vaterland gegeben hat», und eine Medaille. Das ist die Tragödie des Krieges, wann wird man das verstehen?

Auf meiner Reise durch Rumänien und die Slowakei, als ich die Länder durchquerte, gab es Menschen, die mich grüssten, Jungen, Mädchen, junge Ehepaare, junge Männer, junge Frauen, aber ab einem bestimmten Alter gab es nur Frauen, es gab fast keine älteren Männer: Krieg! Das alles ist sehr hart. Ich denke, wir müssen reagieren: Krieg ist schrecklich. Und wir müssen aus diesem Scheitern etwas Neues machen, eine Lektion fürs Leben finden. Und was wie eine Niederlage oder ein Grund zur Schande aussieht, kann wie der Skandal des Kreuzes in einen Sieg verwandelt werden. Und wie? Wenn wir durch unser Gebet und unsere Arbeit in der Lage sind, Lösungen anzubieten, den Willen zu vereinen, zu bezeugen, dass die Liebe, die Brüderlichkeit und der wahre Humanismus, der aus dem Glauben geboren wird, werden wir Hass, Ablehnung und Brutalität besiegen. Bitte!

Und dies ist eine Herausforderung, der Sie sich gestellt haben, und ich danke Ihnen für diesen Wunsch, aus Ihrer Wissenschaft heraus gültige Elemente beizusteuern, die allen helfen können, auf diesem Weg der Brüderlichkeit, auf dem Weg des Friedens, der menschlichen Einheit voranzukommen. Gott segne Sie. Ich danke Ihnen für das, was Sie tun. Lasst uns ohne Entmutigung voranschreiten. Ich danke Ihnen.

Quelle: Bulletin des Presseamtes des Heiligen Stuhls.
https://www.vatican.va/content/francesco/en/speeches/2023/january/documents/20230126-delegazione-spagnola.html, 26. Januar 2023

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 Redipuglia: Italienische Gedenkstätte für die Opfer des Ersten Weltkrieges. Sie birgt die Gebeine von 100 000 Gefallenen.

2 Anzio: Am 22. Januar 1944 führten die USA und Grossbritannien in der Umgebung von Anzio in Italien am Tyrrhenischen Meer eine amphibische Landungsoperation (Operation Shingle) durch. Sie bildete den Beginn der mörderischen Schlacht um Monte Cassino.

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