Bidens Taiwan-Fauxpas hat keinen Schaden angerichtet

M. K. Bhadrakumar
(Bild zvg)

von M. K. Bhadrakumar*

(5. November 2021) Wahrscheinlich hat US-Präsident Joe Biden am vergangenen Donnerstag in einer CNN-town-hall-Sendung einen weiteren diplomatischen Fauxpas begangen, als er sagte, Washington habe sich verpflichtet, Taiwan zu verteidigen, falls es von China angegriffen würde.

Doch wie bei Bidens Fauxpas üblich, geschah auch dieser nicht ganz ohne Absicht. Biden war sogar sehr nachdrücklich. In der Tat gibt es in den USA eine anhaltende Debatte zu diesem Thema, und Biden griff sie auf.

Hafen von Qingdao, China. Das Handelsvolumen zwischen den USA
und China erreicht neue Höchstmarken, trotz kriegerischer Signale
der USA an Peking. (Bild keystone/Chinatopix via AP)

Dennoch versuchte das Weisse Haus bereits am nächsten Tag, Bidens Äusserungen zurückzunehmen, indem es erklärte, er habe «weder eine Änderung der Politik angekündigt noch haben wir unsere Politik geändert. Wir richten uns nach dem ‹Taiwan Relations Act›». Der «Taiwan Relations Act» von 1979 verpflichtet die USA, Taiwan mit Waffen zur Selbstverteidigung zu versorgen, aber nicht, amerikanische Truppen zur Verteidigung Taiwans zu entsenden.

Auch am Freitag signalisierten Verteidigungsminister Lloyd Austin und der Sprecher des Aussenministeriums Ned Price Peking, dass sich der Status quo nicht geändert habe – und Taipeh wurde davor gewarnt eine Unabhängigkeitserklärung zu veröffentlichen.

Interessanterweise brachten Senator Edward J. Markey, Vorsitzender des Unterausschusses Ostasien des Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen, und Senator Dan Sullivan am Freitag selbst einen überparteilichen Gesetzesvorschlag ein mit dem Titel Taiwan Actions Supporting Security by Undertaking Regular Engagements ACT (Taiwan ASSURE), der «in Stabilitätsmassnahmen investiert, um das Konfliktrisiko in der Strasse von Taiwan zu senken, indem er Dialoge unterstützt, um Missverständnisse abzubauen und Transparenz zu fördern».

Senator Markey, der erfahrene Gesetzgeber aus Massachusetts, ist eng mit Biden und dem ehemaligen Aussenminister John Kerry verbunden und hat in Absprache mit dem Weissen Haus Schadensbegrenzung betrieben. Er sagte,

«Wir müssen Wege finden, um die Spannungen in der Strasse von Taiwan zu verringern und Fehlkalkulationen zu vermeiden. Diese Gesetzgebung wird in Massnahmen zur Krisenstabilität investieren, die ein wesentlicher Bestandteil der regionalen Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten sind, mit dem Ziel, einen bewaffneten Konflikt zu vermeiden. Im Einklang mit unseren Verpflichtungen im Rahmen des ‹Taiwan Relations Act› müssen die Vereinigten Staaten weiterhin Taiwans sinnvolle Beteiligung an der internationalen Gemeinschaft unterstützen und dem Land helfen, sich gegen die Zwangsmassnahmen der Taiwanstrasse zu wehren, während sie gleichzeitig klare Massnahmen ergreifen, um Konflikte in der Region zu vermeiden.»1 Es ist klar, dass auf der verantwortlichen Ebene der US-Führung das ständige Trommeln der US-Falken und Neokonservativen, die die Beziehungen zwischen den USA und China auf die leichte Schulter nehmen wollen, kein Gehör findet. Sowohl in der Regierung Biden als auch im Kongress ist man sich darüber im Klaren, dass die nationale Sicherheit der USA hier nicht auf dem Spiel steht und es reiner Wahnsinn wäre, das Schicksal der Menschheit aufs Spiel zu setzen. Biden hat mehr aussenpolitische Erfahrung als jeder andere US-Präsident in der modernen Geschichte seit Eisenhower.

Peking reagierte heftig auf Bidens Bemerkung, aber um die Sache richtig zu stellen. Könnte es sein, dass Biden vom 20-jährigen Energieabkommen der letzten Woche zwischen dem US-Exporteur Venture Global LNG und dem staatlichen chinesischen Ölgiganten Sinopec über die Lieferung von insgesamt 4 Millionen Tonnen Flüssigerdgas (LNG) pro Jahr und ein zweites Abkommen mit dem Handelsarm von Sinopec über die Lieferung von einer weiteren Million Tonnen LNG für drei Jahre noch keine Kenntnis hatte?

In der vergangenen Woche wurde ausserdem berichtet, dass der chinesische Erdgasversorger ENN Natural Gas Co einen 13-Jahres-Vertrag über den Kauf von LNG vom US-Lieferanten Cheniere Energy Inc. ab Juli 2022 unterzeichnet hat. Dies ist das erste Mal seit drei Jahren, dass grössere LNG-Geschäfte zwischen chinesischen und amerikanischen Unternehmen abgeschlossen wurden.

Die Global Times schrieb, dass die Verträge «China und die USA dazu bringen könnten, eine Rückkehr zu normalen bilateralen Beziehungen anzustreben». Aufgrund logistischer Probleme und anderer Faktoren sind die USA derzeit kaum in der Lage, die steigende Nachfrage Chinas nach Erdgas zu decken. Prognosen zufolge wird China in diesem Jahr Japan als weltweit grössten Abnehmer von LNG überholen. Die Energiekooperation mit China ist für den US-Erdgasexport auf lange Sicht von entscheidender Bedeutung. Auf dem asiatischen Markt schiessen die Energiepreise in die Höhe.

Das Handelsvolumen zwischen China und den USA ist von Januar bis September in Dollar gerechnet um 35,4% gegenüber dem Vorjahr gestiegen (die US-Exporte nach China nahmen in diesem Zeitraum um 43,5% zu), und es wird erwartet, dass es das Niveau von 630 Milliarden US-Dollar von 2018 (vor dem Handelskrieg) übersteigen und 700 Milliarden erreichen wird.

Ein derartiges Wachstum zeugt von der Verflechtung der beiden grössten Volkswirtschaften der Welt und unterstreicht, dass China und die USA ihre Wirtschafts- und Handelsbeziehungen vertiefen und seit Bidens Amtsantritt wieder auf einen normalen Kurs zurückkehren. Der chinesische Vizeaussenminister Le Yucheng sagte am Dienstag in einem Interview mit der Newsagentur CGTN, dass China und die USA «eine untrennbare Gemeinschaft mit gemeinsamen Interessen» seien.

Dennoch bleibt die grosse Frage in der Luft hängen: Warum klang Biden kriegerisch? Dafür gibt es drei – möglicherweise sogar vier – Gründe. Erstens lässt die Regierung Biden nach Afghanistan die Muskeln spielen, sei es in Bezug auf die Ukraine und das Schwarze Meer oder die NATO-Erweiterung. Zweitens sind die USA verärgert darüber, dass ihnen der Weg, wie nie zuvor versperrt wird, während andere einfach weitermachen. Sehen Sie sich die Chuzpe Nordkoreas an.

Es sieht zum Beispiel so aus, als stünde das Wiener Nuklearabkommen mit dem Iran (JCPOA) kurz vor dem Zusammenbruch, und alles, was bleibt, ist «die Wahrnehmung von Bewegung in den Verhandlungen», wie Trita Paris, die bekannte amerikanische Iran-Expertin, geschrieben hat, während ein «Übergang zu mehr Zwang im Rahmen eines undefinierten Plan B» mit grossen Gefahren verbunden ist.2

Ironischerweise erschien sogar während Bidens Rede die Nachricht, dass eine gemeinsame chinesisch-russische Marineflottille die «Freiheit der Schifffahrt» demonstrierte, indem sie Japan umkreiste und in Richtung des US-Marine-Stützpunkts in Yokosuka segelte, dem Hauptquartier der Siebten US-Flotte, von dem aus die USA provokative Manöver in der Strasse von Taiwan und im Südchinesischen Meer unternommen haben.

Dies ist eine spöttische Botschaft an die USA und Japan, da sich viele wichtige Militäreinrichtungen auf der Ostseite Japans befinden. In einer Erklärung des russischen Verteidigungsministeriums hiess es: «Die Aufgaben der gemeinsamen Patrouille bestanden darin, die Staatsflaggen Russlands und Chinas zu zeigen, den Frieden und die Stabilität in der asiatisch-pazifischen Region aufrechtzuerhalten und auch die Einrichtungen der maritimen Wirtschaftstätigkeit beider Länder zu schützen. Während der Patrouille passierte die Gruppe von Kriegsschiffen zum ersten Mal die Tsugaru-Strasse (zum westlichen Pazifik).»3

Drittens weiss Biden sehr wohl, dass China nicht die Absicht hat, Taiwan mit militärischen Mitteln zu annektieren, und dass sein Auftreten nichts an der grossen Strategie Pekings ändern würde. Andererseits sieht es in einer Zeit, in der sein politisches Kapital schwindet und sein Ansehen in der Öffentlichkeit sinkt, gut aus, entschlossen und stark zu wirken.

Tatsache ist, dass Biden seine Präsidentschaft mit einem ehrgeizigen Programm zur Umgestaltung der US-Wirtschaft begonnen hat, das mit dem New Deal von Roosevelt verglichen werden kann. Da er sich jedoch in Verhandlungen und den Regeln des Senats festgefahren hat und mit einer Spaltung innerhalb seiner eigenen Partei zu kämpfen hat, war Biden gezwungen, die Segel zu streichen, und seine ehrgeizigsten Vorschläge wurden fallen gelassen, einige davon auf unbestimmte Zeit.

In der Zwischenzeit, zitiert axios.com:4 «Der ehemalige Präsident Trump erzählt jedem, der es hören will, dass er 2024 wieder kandidieren wird... Trump ist das Herz, die Seele und der unbestrittene Anführer der Republikanischen Partei und wird die Nominierung leicht gewinnen, wenn er es will, wie die Umfragen unmissverständlich klar machen.»

* M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, Iran und Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst «Indian Punchline».

Quelle: https://www.indianpunchline.com/bidens-taiwan-gaffe-meant-no-harm/, 24. Oktober 2021

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://www.markey.senate.gov/news/press-releases/senators-markey-sullivan-introduce-bipartisan-legislation-to-reduce-risk-of-conflict-in-and-around-taiwan

2 https://responsiblestatecraft.org/2021/10/20/revealed-how-biden-rejected-a-reasonable-way-forward-in-iran-deal-talks/

3 https://www.globaltimes.cn/page/202110/1237037.shtml

4 https://www.axios.com/trump-2024-running-pence-pompeo-fbbbb404-eb16-445a-a43c-6576a574f6e1.html

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