Brückenkopf Europa
von Sevim Dagdelen*
(15. August 2025) Wenn eine Hauptstadt die Stadt ist, in der die wichtigsten politischen Entscheidungen fallen, dann muss man feststellen, dass das Europa des 21. Jahrhunderts gleich drei Hauptstädte zu haben scheint: Ramstein, Wiesbaden und das schottische Turnberry.

sevimdagdelen.de)
Im rheinland-pfälzischen Ramstein finden auf Einladung der USA die Waffenstellerkonferenzen für die Ukraine statt. Die zentralen Entscheidungen für die Fortsetzung des Stellvertreterkrieges in der Ukraine fallen hier, auf dem weltweit grössten US-Truppenstützpunkt ausserhalb der USA. Und nicht etwa die militärische Ebene, sondern die politische hat sich die US-Basis zum Entscheidungsort auserkoren.
Im hessischen Wiesbaden fand auf Einladung der Association of the U.S. Army (AUSA) vom 16. bis 17. Juli 2025 die LANDEURO-Konferenz statt – nach eigener Auskunft das erste internationale Symposium für Landstreitkräfte. US-General Chris Donahue, zugleich Kommandeur der US-Landstreitkräfte in Europa und Nato-Kommandeur für den Kontinent, kündigte in Wiesbaden an, den russischen Oblast Kaliningrad binnen kürzester Zeit militärisch erobern zu können.
Wie einst Könige …
Zentral bei Donahues Überlegungen, Kaliningrad «in einer noch nie dagewesenen Zeitspanne und schneller als jemals zuvor vom Boden aus einzunehmen», ist offenbar die Nutzung KI-gestützter Systeme wie Palantirs «Maven Smart System», das die Nato seit April 2025 einsetzt. Das KI-System Palantirs gilt als das System der kommenden Landkriegsführung und könnte einen Nato-Angriff auf Russland wesentlich erleichtern.
US-Präsident Donald Trump wiederum nutzte einen Golfplatz in Schottland, der in seinem Besitz ist, um Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den euro-atlantischen Handelsdeal in die Feder zu diktieren. Dieser bringt den USA massive wirtschaftliche Vorteile, während er zugleich den industriellen Abstieg Europas besiegelt.
Ramstein, Wiesbaden und Turnberry stehen für eine Politik, in der wichtige Entscheidungen für Europa von den USA auf europäischem Boden getroffen werden. Wie einst Könige zu ihren Vasallen reisten, um Gefolgschaft und Tribut einzufordern, so agieren die USA auf ihrem «Brückenkopf» Europa (Zbigniew Brzezinski, «Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft») in Eurasien.
Europas Kompradoren
Und selbst für zurückhaltende Beobachter wird es immer deutlicher, dass die USA bei ihrer Politik der Ausplünderung Europas – und des Versuchs, bei einem Krieg mit Russland die Europäer in die erste Reihe zu stellen – auf die Unterstützung einer Reihe von Politikern bauen können, die man nur als Vertreter einer europäischen Kompradoren-Bourgeoisie bezeichnen kann.
Ganz wie im Lateinamerika der 1970er-Jahre geht es in erster Linie um eine Interessensvertretung von US-Investmentfonds und US-Kapital durch die politischen Eliten Europas in den jeweiligen Ländern. Ursula von der Leyen und Friedrich Merz stehen paradigmatisch für diese Klasse. Institutionell ist der Kontinent über die EU (wirtschaftlich) und die Nato (militärisch) aufgeschlossen, sich bedingungslos US-Interessen unterzuordnen – auch wenn dies der Weg in den sicheren Untergang ist.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Kompradoren-Bourgeoisien eben nicht nur in sich entwickelnden Ländern existieren können, sondern auch in Ländern, die eine Involution, also eine Rückentwicklung ihrer wirtschaftlichen Kraft, erleben. Versuche, die massiv gestiegene Bedeutung von US-Investmentfonds wie BlackRock etwa für die deutsche Wirtschaft relativieren zu wollen, müssen als untauglich gelten, um die Übernahmestrategien des US-Kapitals zu verharmlosen.
Allein bei der «deutschen» Rüstungsschmiede Rheinmetall sind US-Investmentfonds mittlerweile in Summe entscheidende Eigentümer. Dazu kommt das Investment europäischer Steuerzahler – wie von Frau von der Leyen vertraglich vereinbart – in den militärisch-industriellen Komplex der USA in Höhe von 600 Milliarden Euro.
Die Krise der Unterwerfung
Die jüngste Zuspitzung der Unterordnung aber muss als Krisenerscheinung gewertet werden. Herrschaft funktioniert ja am besten, wenn sie unsichtbar ist. Unterwerfungsakte in aller Öffentlichkeit jedoch tragen den Keim des Widerstands in sich.
Europa muss sozial sein – oder es wird nicht sein, hatte einst der sozialdemokratische EU-Kommissionspräsident Jacques Delors formuliert. Heute gilt: Europa muss sich von den USA emanzipieren – oder es wird nicht sein.
Die Ausplünderung per Handelsabkommen durch den US-Imperialismus oder durch gigantische Aufrüstungsverpflichtungen für US-Kriege droht den Sozialstaat in Europa völlig zu zerstören. Die BSW-Jugend hat auf ihrem Gründungskongress in Bochum einen wegweisenden Beschluss gefasst: für die Neutralität Deutschlands und den Austritt aus der Nato. Anders wird die Rettung kaum gelingen – wenn man die Bevölkerung retten will.
* Sevim Dagdelen war von 2005 bis 2025 Mitglied des Deutschen Bundestages. Die Politikerin ist aussenpolitische Sprecherin der Gruppe «Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit» (BSW) und war Obfrau im Auswärtigen Ausschuss. Die Abgeordnete war Mitglied in der Parlamentariergruppe USA, in der Deutsch-Chinesischen sowie Deutsch-Indischen Parlamentariergruppe. Sevim Dagdelen war viele Jahre Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der Nato, in der Abgeordnete aus den Mitgliedsländern des Militärpakts über sicherheits- und verteidigungspolitische Themen beraten. |
Quelle: https://overton-magazin.de/kolumnen/dagdelen-direkt/brueckenkopf-europa/, 30. Juli 2025