China: Staatsrat und Aussenminister Wang Yi trifft die Presse

Wang Yi (Mitte) anlässlich der Pressekonferenz vom 7. März 2022 in Peking.
(Bild www.fmpr.gov.cn)

(28. März 2022) Am 7. März fand am Rande der fünften Sitzung des 13. Nationalen Volkskongresses in der Grossen Halle des Volkes eine Pressekonferenz per Videolink statt, bei der Staatsrat und Aussenminister Wang Yi Fragen chinesischer und ausländischer Medien zur Aussenpolitik und den Aussenbeziehungen Chinas beantwortete.

Auszüge aus der Pressekonferenz

Frage der Nachrichtenagentur Reuters: Russlands Militäraktion in der Ukraine hat sich auf nicht-militärische Ziele ausgeweitet. Wird China mehr tun, um zur Lösung des Konflikts beizutragen?

Wang Yi: In der Ukraine-Frage hat China eine objektive und unparteiische Haltung eingenommen. Wir bewerten die Situation unabhängig und nehmen auf der Grundlage der Sachlage eine klare Position ein.

Wie ein chinesisches Sprichwort sagt, braucht es mehr als einen kalten Tag, um einen Meter Eis zu gefrieren. Die Situation in der Ukraine ist aus einer Vielzahl komplexer Gründe zu dem geworden, was sie heute ist. Um komplexe Probleme zu lösen, braucht man einen kühlen Kopf und einen rationalen Verstand; Öl ins Feuer zu giessen, kann die Situation nur verschärfen. China ist der Ansicht, dass wir zur Lösung der gegenwärtigen Krise die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen (UNO) einhalten und die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder respektieren und schützen müssen. Wir müssen uns an den Grundsatz der unteilbaren Sicherheit halten und den legitimen Sicherheitsinteressen der beteiligten Parteien Rechnung tragen. Wir müssen Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln durch Dialog und Verhandlungen beilegen. Und wir müssen den langfristigen Frieden und die Stabilität in der Region im Auge behalten und eine ausgewogene, wirksame und nachhaltige europäische Sicherheitsarchitektur schaffen.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt muss die internationale Gemeinschaft kontinuierliche Anstrengungen unternehmen, um zwei Prioritäten zu setzen.

Eine Priorität besteht darin, den Dialog für den Frieden zu erleichtern. China hat in dieser Hinsicht einige Anstrengungen unternommen und stand in engem Kontakt mit den betroffenen Parteien. Am zweiten Tag des Konflikts telefonierte Präsident Xi Jinping mit Präsident Wladimir Putin und brachte den Wunsch Chinas zum Ausdruck, dass Russland und die Ukraine so bald wie möglich Friedensgespräche führen. Präsident Putin reagierte positiv, und Russland und die Ukraine haben seitdem zwei Gesprächsrunden abgehalten. Wir hoffen, dass die bevorstehende dritte Runde weitere Fortschritte bringen wird. China ist der Ansicht, dass die Fortsetzung der Gespräche umso wichtiger ist, je angespannter die Lage ist. Je grösser die Meinungsverschiedenheiten sind, desto grösser ist die Notwendigkeit, sich zusammenzusetzen und zu verhandeln. China ist bereit, weiterhin eine konstruktive Rolle zu spielen, um den Dialog für den Frieden zu erleichtern und bei Bedarf mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, um die notwendigen Vermittlungsbemühungen durchzuführen.

Die andere Priorität besteht darin, eine massive humanitäre Krise zu verhindern. Zu diesem Zweck möchte China eine Sechs-Punkte-Initiative vorschlagen:

  • Erstens: Sicherstellen, dass die humanitären Massnahmen den Grundsätzen der Neutralität und Unparteilichkeit entsprechen, und vermeiden, humanitäre Fragen zu politisieren;
  • zweitens, den Vertriebenen in der und aus der Ukraine volle Aufmerksamkeit zu schenken und ihnen eine angemessene Unterkunft zu bieten;
  • drittens: Gewährleistung des Schutzes der Zivilbevölkerung und Verhinderung sekundärer humanitärer Katastrophen in der Ukraine;
  • viertens: Gewährleistung eines sicheren und reibungslosen Ablaufs der humanitären Hilfsmassnahmen, einschliesslich eines raschen, sicheren und ungehinderten Zugangs für humanitäre Helfer;
  • fünftens, für die Sicherheit ausländischer Staatsangehöriger in der Ukraine zu sorgen, ihnen eine sichere Ausreise zu ermöglichen und sie bei der Rückkehr in ihre Heimatländer zu unterstützen, und
  • sechstens: Unterstützung der koordinierenden Rolle der Vereinten Nationen bei der Kanalisierung der humanitären Hilfe und der Arbeit des UN-Krisenkoordinators für die Ukraine.

China wird seine Bemühungen zur Eindämmung der humanitären Krise fortsetzen. Die Chinesische Rotkreuzgesellschaft wird der Ukraine so schnell wie möglich eine Tranche an humanitärer Soforthilfe zur Verfügung stellen.

[...]

Frage der Internationalen Mediengruppe Rossiya Segodnya: Der Westen verschärft die Sanktionen gegen Russland. Wie wird sich das auf die Beziehungen zwischen Russland und China auswirken?

Wang Yi: China und Russland sind beide ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und die wichtigsten engen Nachbarn und strategischen Partner des jeweils anderen. Unsere Beziehung ist eine der wichtigsten bilateralen Beziehungen der Welt. Unsere Zusammenarbeit fördert nicht nur die Interessen beider Völker, sondern trägt auch zu Frieden, Stabilität und Entwicklung in der Welt bei.

Im vergangenen Jahr begingen beide Seiten den 20. Jahrestag des chinesisch-russischen Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit. Angesichts der zunehmend komplexen internationalen strategischen Landschaft ist unsere gemeinsame Verpflichtung zu immerwährender Freundschaft und gegenseitig vorteilhafter Zusammenarbeit, wie sie im Vertrag verankert ist, nicht nur für beide Seiten, sondern auch für Länder in der ganzen Welt von grosser Bedeutung.

Ich möchte betonen, dass die Beziehungen zwischen China und Russland wegen ihrer Unabhängigkeit geschätzt werden. Sie beruhen auf dem Prinzip der Nicht-Allianz, der Nicht-Konfrontation und der Nicht-Zielgerichtetheit auf eine dritte Partei. Sie sind frei von Einmischung oder Zwietracht, die von Dritten gesät wird. Dies ist sowohl eine historische Erfahrung als auch eine Neuerung in den internationalen Beziehungen. Vor nicht allzu langer Zeit [am 4. Februar 2022]1 gaben beide Seiten eine gemeinsame Erklärung über den Eintritt der internationalen Beziehungen in eine neue Ära und die globale nachhaltige Entwicklung ab. Sie sendet die unmissverständliche Botschaft an die Welt: China und Russland wenden sich gemeinsam gegen Versuche, die Mentalität des Kalten Krieges wieder aufleben zu lassen oder eine ideologisch begründete Konfrontation zu provozieren. Sie stehen ein für mehr Demokratie in den internationalen Beziehungen sowie für die Ziele und Grundsätze der UNO-Charta.Die chinesisch-russischen Beziehungen beruhen auf einer klaren historischen Logik und werden von einer starken inneren Dynamik angetrieben, und die Freundschaft zwischen dem chinesischen und dem russischen Volk ist grundsolide. Die Aussichten für die Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten sind vielversprechend. Ganz gleich, wie unsicher und herausfordernd die internationale Lage auch sein mag, China und Russland werden ihren strategischen Fokus beibehalten und unsere umfassende strategische Partnerschaft der Koordination für eine neue Ära stetig vorantreiben.

Quelle: https://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/zxxx_662805/202203/t20220308_10649559.html, 7. März 2022

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://www.schweizer-standpunkt.ch/news-detailansicht-de-international/china-und-russland-verkuenden-neue-aera-der-multipolaritaet.html

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