China tritt auf, eine neue Ära in der Weltpolitik ist angebrochen

M. K. Bhadrakumar (Bild zvg)

von M. K. Bhadrakumar,* Indien

(21. März 2023) Die am Freitag in Peking verkündete Vereinbarung über die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran und die Wiedereröffnung ihrer Botschaften ist ein historisches Ereignis. Sie geht weit über eine Frage der saudi-iranischen Beziehungen hinaus. Chinas Vermittlung bedeutet, dass wir Zeugen einer tiefgreifenden Verschiebung der tektonischen Platten in der Geopolitik des 21. Jahrhunderts sind.

Die gemeinsame Erklärung,1 die am Freitag in Peking veröffentlicht wurde, beginnt mit der Feststellung, dass die saudi-iranische Vereinbarung «als Reaktion auf die wertvolle Initiative von Präsident Xi Jinping» erzielt wurde. Weiter heisst es, dass Saudi-Arabien und der Iran Xi Jinping und der chinesischen Regierung ihre «Wertschätzung und Dankbarkeit» dafür zum Ausdruck gebracht haben, «dass sie die Gespräche ausgerichtet und gefördert und sich für deren Erfolg eingesetzt haben».

In der gemeinsamen Stellungnahme werden auch der Irak und Oman für die Förderung des saudi-iranischen Dialogs in den Jahren 2021–2022 erwähnt. Auffallend ist jedoch, dass die Vereinigten Staaten, die seit fast acht Jahrzehnten traditionell die dominierende Macht in der westasiatischen Politik sind, nirgends auftauchen.

Kolossales Versagen der amerikanischen Diplomatie

Dabei geht es doch um die Versöhnung zwischen den beiden grössten Regionalmächten am Persischen Golf. Der Rückzug der USA bedeutet ein kolossales Versagen der amerikanischen Diplomatie. Er wird ein schwarzer Fleck im aussenpolitischen Vermächtnis von Präsident Biden bleiben.

Aber Biden muss die Schuld dafür auf sich nehmen. Dieses katastrophale Scheitern ist vor allem auf seinen Eifer zurückzuführen, seine neokonservativen Dogmen als Ergänzung zu Amerikas militärischer Macht durchzusetzen, sowie auf Bidens häufiges Beharren darauf, dass das Schicksal der Menschheit vom Ausgang eines kosmischen Kampfes zwischen Demokratie und Autokratie abhängt.

China hat gezeigt, dass Bidens Übertreibungen wahnhaft sind und den Realitäten widersprechen. Wenn Bidens moralistische, unüberlegte Rhetorik Saudi-Arabien entfremdet hat, so stiessen seine Versuche, den Iran zu unterdrücken, auf den hartnäckigen Widerstand Teherans. Letztendlich trieb Biden sowohl Riad als auch Teheran buchstäblich dazu, nach Gegenkräften zu suchen, die ihnen helfen würden, seine unterdrückerische, überhebliche Haltung zurückzudrängen.

Der «Suez-Moment» für die USA

Der demütigende Ausschluss der USA von der zentralen Bühne der westasiatischen Politik stellt für die Supermacht einen «Suez-Moment» dar, vergleichbar mit der Krise Grossbritanniens im Jahr 1956, in der die Briten erkennen mussten, dass ihr imperiales Projekt in eine Sackgasse geraten war und die alte Vorgehensweise – schwächere Nationen als angebliche Verpflichtung zur globalen Führung auf Linie zu bringen – nicht mehr funktioniert und nur zu einer katastrophalen Abrechnung führen würde.

Das Erstaunliche dabei ist die schiere Intelligenz, die intellektuellen Ressourcen und die «Soft Power», die China ins Spiel gebracht hat, um die USA zu überlisten. Die USA haben mindestens 30 Militärstützpunkte in Westasien – allein fünf in Saudi-Arabien –, aber sie haben die Führungsrolle verloren. Man bedenke, dass Saudi-Arabien, Iran und China ihre bahnbrechende Ankündigung am selben Tag machten, an dem Xi Jinping für eine dritte Amtszeit als Präsident gewählt wurde.

Was wir sehen, ist ein neues China unter der Führung von Xi Jinping, das über die hohe Kuppe trabt. Dennoch nimmt es eine zurückhaltende Haltung ein, die keine Lorbeeren für sich beansprucht. Es gibt keine Anzeichen für das «Syndrom des Reichs der Mitte», vor dem die US-Propagandisten gewarnt hatten.

China als heilsames Beispiel

Im Gegenteil, für die Weltöffentlichkeit – insbesondere für Länder wie Indien oder Vietnam, die Türkei, Brasilien oder Südafrika – hat China ein heilsames Beispiel dafür geliefert, wie eine demokratisierte multipolare Welt in Zukunft funktionieren kann – wie es möglich ist, die Grossmachtdiplomatie auf eine einvernehmliche, versöhnliche Politik, Handel und Interdependenz zu gründen und ein «Win-Win»-Ergebnis zu erzielen.

Darin ist eine weitere wichtige Botschaft enthalten: China als Faktor des globalen Gleichgewichts und der Stabilität. Nicht nur der asiatisch-pazifische Raum und Westasien schauen zu. Zu den Zuhörern gehören auch Afrika und Lateinamerika – eigentlich die gesamte nicht-westliche Welt, die die grosse Mehrheit der Weltgemeinschaft bildet und als globaler Süden bezeichnet wird.

Was die Pandemie und die Ukraine-Krise an die Oberfläche gebracht haben, ist die seit Jahrzehnten latent vorhandene geopolitische Realität, dass der Globale Süden die vom Westen unter dem Deckmantel des «liberalen Internationalismus» betriebene Politik des Neomerkantalismus ablehnt.

Joseph Borrell «mit einem Hauch von rassistischem Unterton»

Der Westen strebt eine hierarchische internationale Ordnung an. Kein Geringerer als der Chef der EU-Aussenpolitik, Josep Borrell, hat dies kürzlich in einem unbedachten Moment mit einem Hauch von rassistischem Unterton herausposaunt, als er auf einer öffentlichen Plattform sagte: «Europa ist ein Garten. Der Rest der Welt ist ein Dschungel, und der Dschungel könnte in den Garten eindringen».

Morgen könnte China auch die Hegemonie der USA über die westliche Hemisphäre in Frage stellen. Das jüngste Papier des chinesischen Aussenministeriums mit dem Titel « Die US-Hegemonie und ihre Gefahren»2 zeigt uns, dass Peking nicht länger in der Defensive sein wird.

Inzwischen findet auf der Weltbühne eine Neuordnung der Kräfte statt, mit China und Russland auf der einen und den USA auf der anderen Seite. Ist es nicht eine wichtige Botschaft, dass der saudi-arabische Aussenminister Prinz Faisal bin Farhan Al Saud am Vorabend der historischen Ankündigung in Peking am Freitag plötzlich zu einem «Arbeitsbesuch» in Moskau landete und sich mit Aussenminister Sergej Lawrow zusammensetzte, der sichtlich erfreut war?3

Natürlich werden wir nie erfahren, welche Rolle Moskau hinter den Kulissen in Abstimmung mit Peking gespielt hat, um Brücken zwischen Riad und Teheran zu bauen. Wir wissen nur, dass Russland und China ihre aussenpolitischen Schritte aktiv koordinieren. Interessanterweise hatte Präsident Putin am 6. März ein Telefongespräch mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi.4

Kühnheit der Hoffnung

Sicherlich wird die Geopolitik Westasiens nie wieder dieselbe sein. Realistisch betrachtet hat sich der erste Spatz des Frühlings gezeigt, aber das Eis war nur drei oder vier Meter vom Ufer entfernt geschmolzen. Dennoch geben die Sonnenstrahlen Hoffnung und signalisieren, dass wärmere Tage bevorstehen.

Es ist denkbar, dass Riad nichts mehr mit den teuflischen Plänen zu tun haben wird, die in Washington und Tel Aviv ausgeheckt werden, um eine Anti-Iran-Allianz in Westasien zu schaffen. Es liegt auch nicht im Bereich des Möglichen, dass sich Saudi-Arabien an US-amerikanisch-israelischen Angriffen auf den Iran beteiligen wird.

Dadurch wird Israel in der Region stark isoliert und die USA werden zahnlos. Die fieberhaften Bemühungen der Regierung Biden, Riad zum Beitritt zum Abraham-Abkommen zu bewegen, werden dadurch zunichte gemacht.

Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts?

Bezeichnenderweise wurde in einem Kommentar in der Global Times5 jedoch etwas dreist angemerkt, dass das saudi-iranische Abkommen «ein positives Beispiel für andere regionale Krisenherde, wie die Entspannung und Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts ist. Und in Zukunft könnte China eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, eine Brücke für Länder zu bauen, um seit langem bestehende heikle Probleme im Nahen Osten zu lösen, so wie es dieses Mal der Fall war».

In der Tat heisst es in dem in Peking veröffentlichten gemeinsamen Memorandum: «Die drei Länder [Saudi-Arabien, Iran und China] bekundeten ihre Entschlossenheit, alle Anstrengungen zu unternehmen, um den regionalen und internationalen Frieden und die Sicherheit zu stärken». Kann China ein Kaninchen aus dem Hut zaubern? Die Zeit wird es zeigen.

Vorerst jedoch wird sich die saudi-iranische Annäherung sicherlich positiv auf die Bemühungen um eine Verhandlungslösung im Jemen und in Syrien sowie auf die politische Lage im Libanon auswirken.

In dem gemeinsamen Kommuniqué wird betont, dass Saudi-Arabien und Iran beabsichtigen, das Allgemeine Abkommen von 1998 über die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Handel, Investitionen, Technologie, Wissenschaft, Kultur, Sport und Jugend wieder aufleben zu lassen. Alles in allem ist die Strategie des maximalen Drucks der Biden-Regierung gegenüber dem Iran gescheitert, und die Sanktionen des Westens gegen den Iran sind wirkungslos geworden. Die politischen Optionen der USA gegenüber dem Iran sind geschrumpft. Der Iran gewinnt an strategischer Tiefe, um mit den USA zu verhandeln.

Der entscheidende Punkt der US-Sanktionen sind die Beschränkungen des iranischen Ölhandels und des Zugangs zu westlichen Banken. Es ist durchaus denkbar, dass es zu einer Gegenreaktion kommt, wenn Russland, Iran und Saudi-Arabien – die drei wichtigsten Öl- und Gasförderländer – ihre Suche nach Zahlungsmechanismen zur Umgehung des amerikanischen Dollars beschleunigen.

Ende des Dollars als «Weltwährung» und Ende der «ewigen Kriege»?

China diskutiert bereits mit Saudi-Arabien und dem Iran über eine solche Vereinbarung. Der chinesisch-russische Handel und die Wirtschaftstransaktionen versuchen, den amerikanischen Dollar als Zahlungsmittel zu umgehen. Es ist klar, dass jede signifikante Schwächung des Status des Dollars als «Weltwährung» nicht nur den Untergang der amerikanischen Wirtschaft bedeuten wird, sondern auch die Fähigkeit der USA, im Ausland «ewige Kriege» zu führen und ihre globale Hegemonie durchzusetzen, beeinträchtigen wird.

Unterm Strich ist die Versöhnung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran auch ein Vorläufer für ihre baldige Aufnahme als BRICS-Mitglieder. Allerdings gibt es bereits eine russisch-chinesische Verständigung in diesem Punkt. Die BRICS-Mitgliedschaft von Saudi-Arabien und Iran wird die Machtdynamik im internationalen System radikal verändern.

* M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, Iran und Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst «Indian Punchline».

Quelle: https://www.indianpunchline.com/china-steps-up-a-new-era-has-dawned-in-world-politics/, 11. März 2023

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/zxxx_662805/202303/t20230311_11039241.html, 10. März 2023

2 https://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/wjbxw/202302/t20230220_11027664.html, 20. Februar 2023

3 https://www.mid.ru/en/foreign_policy/news/1857387/, 9. März 2023
https://www.mid.ru/en/foreign_policy/news/1857490/, 9. März 2023
https://www.mid.ru/en/foreign_policy/news/1857450/, 9. März 2023

4 https://en.kremlin.ru/events/president/news/70639, 6. März 2023

5 https://www.globaltimes.cn/page/202303/1287105.shtml, 11. März 2023

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