Der Run ist eröffnet

Ausverkauf in Syrien

von Karin Leukefeld,* Deutschland/Syrien

(7. Februar 2025) Die USA, die EU, Israel, die Türkei und ihre arabischen Partner am Golf – Saudi-Arabien und Katar – haben erreicht, was sie vor 20 Jahren begonnen haben. Die syrische Regierung von Baschar al-Assad gibt es nicht mehr, die neuen Machthaber sind diejenigen, die von den «Freunden Syriens» seit 2011 mit zig Milliarden US-Dollar bewaffnet und ausgebildet wurden. «Sanktionen sind ein langsam wirkendes Gift, wie Arsen», erläuterte im Februar 2023 Joseph Borrell, der damalige EU-Beauftragte für Aussen- und Sicherheitspolitik vor dem EU-Parlament. «Es dauert, bis sie ihre Wirkung entfalten, aber sie wirken in unumkehrbarer Weise.» Einseitige wirtschaftliche «Beugemassnahmen», Sanktionen, die von der Europäischen Union und den USA gegen Syrien verhängt wurden, haben die Wirtschaft des Landes zerstört. Millionen US-Dollar, die an Überläufer aus Regierung und Militär gezahlt wurden, haben sich bezahlt gemacht.

Karin Leukefeld
(Bild zvg)

14 Jahre hat Syrien durchgehalten und hat mit Unterstützung befreundeter Staaten seine Souveränität gegen den machtvollen Ansturm seiner Gegner verteidigen können. Es stand zur strategischen Partnerschaft mit dem Iran, es unterstützte die palästinensischen Organisationen in ihrem Widerstand gegen Israel, es beharrte auf der Rückgabe der syrischen Golan-Höhen, die Israel völkerrechtswidrig 1967 besetzt und 1981 annektiert hatte. 14 Jahre lang verteidigte sich Syrien ausschliesslich innerhalb seiner nationalen Grenzen und griff – obwohl ständig vor allem von Israel, aber auch vom Nato-Land Türkei attackiert – nie eines der Nachbarländer an.

Die einstige Bildungselite des Landes stabilisiert heute in Europa das Bruttosozialprodukt. In Medien und an Universitäten sorgen kluge junge Syrer dafür, dass die Unabhängigkeit ihrer Heimat – die ihnen besonders in den Jahren 2000 bis 2011 eine gute Ausbildung, freie Krankenversorgung und ein gutes Leben geboten hatte – für «Freiheit und Demokratie» verkauft wird. Dabei übersehen sie, dass für keinen von ihnen ein Mitspracherecht bei der Neugestaltung ihres Landes vorgesehen ist.

16. Dezember 2024. Oberst Jacques Baud: «Der Zweck des [HTS-]Angriffs
war nicht, Baschar al-Assad zu stürzen. Der Zweck war, Syrien aufzuteilen.»1
(Bild zvg)

Syrien, um das seit 2011 Dutzende bewaffnete Gruppen und Tausende Kämpfer aus beinahe 100 Ländern der Welt mit Hilfe ihrer regionalen und internationalen Geldgeber mal miteinander, oft gegeneinander kämpften, wird heute von «Al Qaida im Anzug» kontrolliert. Abu Mohamed al-Jolani, alias Ahmed as-Sharaa hat seinen Bart gestutzt und seine Uniform gegen Massanzüge getauscht. Er empfängt seine Gäste im Präsidentenpalast und sitzt mit ihnen in perlmuttverzierten Sesseln auf Polstern, die mit Damaszener Seidenbrokat überzogen sind.

Und die «Freunde Syriens» die das Land seit 2011 isolierten und zu Tode sanktionierten, geben sich in Damaskus die Klinke in die Hand, um ihren Anteil an der Beute bei dem neuen Machthaber einzufordern.

Nach den Geheimdienstchefs aus der Türkei und Katar, machte der türkische Aussenminister – selber langjähriger Geheimdienstchef seines Landes und guter Bekannter von Al-Jolani – dem neuen Machthaber seine Aufwartung. Es folgten Aussenminister aus Jordanien, Libyen und Bahrain, das saudische Königreich lud den von Al-Jolani ernannten Aussenminister und den neuen Kriegsminister samt Geheimdienstchef nach Riad ein, um die weitere Zusammenarbeit zu besprechen. Der libanesische Drusenführer Walid Dschumblatt reiste mit einer Delegation nach Damaskus und selbst eine Delegation der von Kurden geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) kam zu einem «guten» Gespräch in die syrische Hauptstadt.

Besondere Aufmerksamkeit erhielt der Aussenminister der Ukraine, mit der Al-Jolani gleich eine «strategische Partnerschaft» vereinbarte. Die Ukrainer hatten mit Beratern und mit ihrer Spezialtruppe, einer Fremdenlegion und mit der Lieferung grosser Mengen von Drohnen den HTS-Vormarsch Ende November nach Aleppo abgesichert und unterstützt.

Nun also ist auch Annalena Baerbock, Aussenministerin der abgewählten Berliner Ampelregierung, in Damaskus eingetroffen. Mit Helm und Schutzweste und dem neu ernannten Sonderkoordinator für Syrien Tobias Lindner im Gefolge, marschierte sie an der Spitze ihrer Delegation zum Treffen mit Al-Jolani. Mit dabei war auch der Aussenminister der gegenwärtigen französischen Regierung, Jean-Noël Barrot mit Beratern. Obwohl das Ende der Amtszeit der deutschen Aussenministerin bereits feststeht und niemand weiss, wie lange die aktuelle französische Regierung sich im Amt halten kann, reisten beide im Auftrag der EU.

In einer vorab vom Berliner Auswärtigen Amt verbreiteten Erklärung hiess es, für Syrien könne es einen «Neuanfang» geben, sofern «alle Syrer» am politischen Prozess beteiligt würden. Die Reise sei ein «klares Signal» an die Syrer (dass) «ein politischer Neuanfang zwischen Europa und Syrien, zwischen Deutschland und Syrien» möglich sei. Nach dem «Kapitel Assad» werde nun «ein neues Kapitel» aufgeschlagen, das aber «noch nicht geschrieben» sei.

Die Syrer hätten nun «die Chance, das Schicksal ihres Staates wieder in die eigenen Hände zu nehmen». Frau Baerbock betonte, dass die zukünftigen Beziehungen «der neuen syrischen Regierung» mit Deutschland und «Europa» von den Rechten für Frauen und Männer und aller ethnischen und religiösen Glaubensgemeinschaften abhängig seien. Sie alle müssten «geschützt» werden. Auch der französische Aussenminister Barrot erklärte, «Frankreich und Deutschland stehen an der Seite des syrischen Volkes in all seiner Verschiedenheit». Man hoffe, dass Syrien «souverän, stabil und friedlich» sein werde.

Die grüne deutsche Noch-Aussenministerin Baerbock versprach, bei der «Aufarbeitung von Kriegsverbrechen des Assad-Regimes» und beim Wiederaufbau zu helfen. Sie forderte, dass es keine ausländische Einmischung in Syrien geben dürfe, Russland müsse das Land verlassen und Souveränität und territoriale Integrität Syriens müssten respektiert werden.

Deutschland und die EU hätten ein Ziel vor Augen, das auch «Millionen Syrerinnen und Syrer» herbeisehnten: Syrien solle wieder ein geachtetes Mitglied der internationalen Gemeinschaft werden und ein «sicheres Zuhause für alle seine Menschen» mit «voller Kontrolle über sein Staatsgebiet». Die Sicherheit Syriens sei die «Sicherheit Europas», erklärte sie.

Die massiven Bombardierungen in Syrien durch Israels Luftwaffe, den Vormarsch israelischer Truppen durch die UNO-Pufferzone auf dem syrischen Golan und die Errichtung israelischer Stellungen auf syrischem Territorium erwähnte Baerbock ebenso wenig, wie die völkerrechtswidrige Besetzung der syrischen Ölfelder und grosser Gebiete im Nordosten sowie im Süden (Al Tanf) des Landes durch das USA-Militär und die Besetzung im Norden und Nordwesten Syriens durch türkische Truppen.

* Karin Leukefeld hat Ethnologie sowie Islam- und Politikwissenschaften studiert und ist ausgebildete Buchhändlerin. Sie hat Organisations- und Öffentlichkeitsarbeit unter anderem beim Bundesverband Bürgerini-tiativen Umweltschutz (BBU), bei den Grünen (Bundespartei) und bei der Informationsstelle El Salvador. Sie war auch Persönliche Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten der PDS (Aussenpolitik und Humanitäre Hilfe). Seit 2000 arbeitet sie als freie Korrespondentin im Mittleren Osten für verschiedene deutsche und schweizerische Medien. Sie ist auch Autorin verschiedener Bücher zu ihren Erlebnissen aus den Kriegsgebieten des Nahen und Mittleren Ostens.

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek, https://www.zlv.lu/db/1/1499541394812/0, 4. Januar 2025

1 https://www.youtube.com/watch?v=5WTIz0TFvXg

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