Die drei grossen Mythen der Nato

Das selbsternannte Verteidigungsbündnis sieht sich als Hüterin von Recht und Demokratie. In Wirklichkeit zieht es eine Blutspur der Verwüstung durch die Welt.

von Sevim Dagdelen,* Deutschland

(24. Mai 2024) Die Nato begeht dieses Jahr ihren 75. Geburtstag und scheint auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Mehr als jemals zuvor setzt die Nordatlantik-Vertragsorganisation auf Expansion. In der Ukraine führt die Nato einen Stellvertreterkrieg gegen Russland in Reaktion auf dessen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg: Der Militärpakt beteiligt sich mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten an Nato-Waffen, mit massiven Waffenlieferungen, Geheimdienstinformationen und der Bereitstellung von Zieldaten sowie mit eigenen Soldaten vor Ort.

Sevim Dagdelen. (Bild
sevimdagdelen.de)

Diskutiert wird über die Lieferung von Marschflugkörpern, wie die deutschen vom Typ Taurus, an die Ukraine, die mit einer Reichweite von 500 Kilometern Moskau oder Sankt Petersburg erreichen können, wie auch über die Entsendung eigener Nato-Truppen in grossem Massstab. Die Zeichen stehen auf Sturm.

In Asien weitet die Nato ihre Präsenz aus: Durch die Einbindung neuer Partnerstaaten wie Japan und Südkorea rückt sie in die Indopazifik-Region vor und sucht die Konfrontation mit China. Die Militärausgaben der USA und der anderen Nato-Mitgliedsstaaten schiessen in Rekordhöhen. Während bei den Waffenlieferanten die Champagnerkorken knallen, werden die gigantischen Kosten für die Aufrüstung auf die Bevölkerung abgewälzt.

Überdehnung, soziale Verwerfungen und Eskalationsgefahr sind die Kehrseite dieser expansiven Machtpolitik. Sie fordern das Bündnis in nie dagewesener Form heraus. Umso mehr ist die Nato heute auf Legenden angewiesen. Drei grosse Mythen ziehen sich von der Gründung des Militärpakts durch dessen blutige Geschichte bis in die Gegenwart.

Mythos Verteidigung und Völkerrecht

Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis. So lautet die ewig wiederholte Erzählung. Doch ein Blick in die Geschichte des Militärpakts zeigt: Weder stand bei der Gründung der Nato die gegenseitige Verteidigung im Vordergrund, noch kann bei dem Auftreten der Nato in den vergangenen Jahrzehnten von einer defensiven Ausrichtung die Rede sein. Als Beleg für den Charakter der Nato als Verteidigungsbündnis wird gerne Artikel 5 des Nordatlantikvertrags angeführt.

In ihrem Gründungsabkommen vereinbaren die zwölf Vertragsstaaten – USA und Kanada sowie die europäischen Staaten Belgien, Dänemark, Frankreich, Grossbritannien, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen und Portugal – im Jahr 1949, dass «ein bewaffneter Angriff gegen eine [Partei] oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff auf sie alle angesehen werden wird». Die Nato-Mitglieder verpflichten sich, einander Beistand zu leisten, um sich gemeinsam gegen einen solchen Angriff zur Wehr zu setzen.

Als explizites Vorbild diente hier der Interamerikanische Vertrag über gegenseitigen Beistand. Dieser Beistandspakt wurde 1947 auf Initiative Washingtons im brasilianischen Rio de Janeiro von den amerikanischen Mitgliedsstaaten geschlossen und trat ein Jahr später in Kraft. Im Angesicht des Kalten Krieges wollten die USA mit diesem Vertrag, in dessen Folge noch im selben Jahr die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gegründet wurde, ihre Dominanz auf dem amerikanischen Kontinent sicherstellen. Das war im Sinne einer aktualisierten Monroe-Doktrin, mit der die USA 1823 die westliche Hemisphäre zu ihrer exklusiven Einflusszone erklärt hatten.

In dieser Tradition steht auch die Nato. Wie beim Interamerikanischen Vertrag sind die Unterzeichnerstaaten des Nordatlantikpakts macht- und militärpolitisch völlig ungleichgewichtig.

Um Beistand durch andere Bündnispartner im Verteidigungsfall geht es den USA bei Gründung der Nato daher offenkundig nicht. Vielmehr strebt Washington danach, eine «Pax Americana» zu schaffen, ein exklusives Einflussgebiet, das den USA als unbestrittener Führungsmacht Kontrolle über die Aussen- und Sicherheitspolitik der anderen Bündnispartner verschafft. Die Grundlage der Nato ist ein Tausch. Die übrigen Nato-Mitglieder verzichten auf Teile ihrer demokratischen Souveränität und werden dafür mit der Nato-Sicherheitsgarantie belohnt, die de facto eine Sicherheitsgarantie der USA ist.

Die übrigen Nato-Mitglieder sinken innerhalb des Militärpakts zu Klientelstaaten herab wie jene, die einst im Osten des Römischen Reiches als militärische Pufferzone dem Machterhalt des römischen Imperiums dienten. Eine innenpolitische Veränderung, welche die aussenpolitische Orientierung hätte in Frage stellen können, war diesen Klientelstaaten bei Strafe des eigenen Untergangs verboten.

Um solche Entwicklungen zu verhindern, setzte die Nato zur Zeit des Kalten Krieges mit ihren «Stay behind»-Gruppen auf eigene Putschorganisationen. Sie verhinderten auch mit terroristischen Mitteln aktiv einen Machtgewinn von politischen Kräften, die die Nato-Mitgliedschaft in Frage stellten.

Das Ende der Systemauseinandersetzung mit der Sowjetunion verändert den primären Zweck der Nato, eine Pax Americana zu schaffen, einschneidend. Seit Ende des Kalten Kriegs sieht sich die Nato zunehmend in der Rolle des Weltpolizisten. Mit dem Überfall auf die Bundesrepublik Jugoslawien, die zu diesem Zeitpunkt noch aus Serbien und Montenegro bestand, führte der Militärpakt 1999 seinen ersten Krieg. Ein klarer Bruch des Völkerrechts, wie der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder fünfzehn Jahre später selbst einräumt: «Da haben wir unsere Flugzeuge […] nach Serbien geschickt, und die haben zusammen mit der Nato einen souveränen Staat gebombt – ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte.»

Nach dieser Ursünde entwickelt sich die Nato zu einem Kriegsführungspakt, der bereit ist, das Völkerrecht zu brechen. Ein klarer Widerspruch zur eigenen Charta, in der sich die Nato-Staaten gemäss Artikel 1 dazu verpflichten, «sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung und Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind». Die Verteidigung des Bündnisgebiets wird nunmehr lediglich ein Teil des Anspruchs, als weltweite Ordnungsmacht aufzutreten.

2003 überfallen die Nato-Mitglieder USA und Grossbritannien mit einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg den Irak. Sie stellen dafür eigens eine «Koalition der Willigen» zusammen, der auch zahlreiche weitere Nato-Mitglieder wie Italien, Polen, die Niederlande, Dänemark, Tschechien, Ungarn, Portugal und die Slowakei angehören, sowie die späteren Nato-Mitglieder Rumänien, Bulgarien, Lettland und Litauen. Washington und seine Helfershelfer verstossen damit eklatant gegen das Völkerrecht und die beteiligten Nato-Staaten gegen die grundlegenden Massgaben der eigenen Charta. Begleitet wird der Irakkrieg zudem vom Nato-Awacs-Einsatz in der Türkei, der als Kriegsunterstützung gedeutet werden kann. Auch wenn der Krieg gegen den Irak kein Nato-Krieg ist, gibt es schwerwiegende Argumente, den Überfall dem Militärpakt zuzurechnen.

Nato-Mitglieder wie Deutschland verweigerten den USA nicht die Nutzung der Militärbasen als Teil der Nato-Struktur in Europa und versagten ihnen auch nicht die Überflugrechte für die US-Streitkräfte, obwohl sich aus der Bindung der Bundesregierung an die Regeln des Völkerrechts gemäss Artikel 20 Absatz 3 und Artikel 25 Grundgesetz das Verbot ergibt, an Handlungen nichtdeutscher Hoheitsträger auf deutschem Boden mitzuwirken, wenn diese gegen das Völkerrecht verstossen.

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen den Irak von einem Teil der Nato-Mitglieder wurde nicht einmal im Nato-Rat thematisiert, wie auch nicht der Rückgriff auf Nato-Infrastruktur. Auswirkungen auf die Nato-Mitgliedschaft der USA oder Grossbritanniens hatte deren Verstoss gegen den Nordatlantikvertrag keine. Das war absehbar. Die Kriegspolitik des wichtigsten Mitglieds der Allianz muss daher dem Militärpakt Nato insgesamt zugerechnet werden, nimmt man das Selbstverständnis der Nato ernst. Die USA stehen mit ihren völkerrechtswidrigen Kriegen als Pars pro toto, als Teil für das Ganze.

In Afghanistan führt die Nato zwanzig Jahre lang einen desaströsen Krieg, der über 200 000 Zivilisten das Leben kostet. Zum ersten und bisher einzigen Mal beruft sich das Bündnis bei diesem Militäreinsatz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf Artikel 5 des Nato-Vertrages. Der internationalen Öffentlichkeit soll weisgemacht werden, Freiheit und Sicherheit des Westens würden am Hindukusch verteidigt. Zwanzig Jahre später, im August 2021, ziehen die Taliban wieder in Kabul ein. Der Militäreinsatz erweist sich als eine einzige Katastrophe.

Der Versuch der USA, militärisch einen Fuss in Zentralasien zu haben, um China und Russland geopolitisch herausfordern zu können, ist gescheitert. Hals über Kopf verlassen die USA das Land. Washington informiert nicht einmal die Verbündeten. Tausende Ortskräfte der Nato werden im Stich gelassen. Von Bündnissolidarität ist nichts zu sehen. Um an Informationen zu kommen, wird im deutschen Auslandsgeheimdienst sogar verzweifelt erwogen, die Amerikaner abzuhören.

Die Blutspur der Nato führt neben Belgrad, Bagdad und Kabul auch nach Libyen. 2011 zerbombt die Nato das Land unter Bruch des Völkerrechts und Missbrauch einer Resolution des Uno-Sicherheitsrats. Tausende werden getötet. Hunderttausende müssen fliehen. Eine Delegation der Afrikanischen Union, die im Konflikt vermitteln will, wird sogar an der Landung gehindert. Zurück bleibt ein zerstörtes Land, in dem in Teilen islamistische Milizen herrschen. Die gesamte Sahelregion wird in der Folge von al-Qaida und dem Islamischen Staat (IS) destabilisiert. Diese von der Nato angerichtete Katastrophe müssen sich die einzelnen Mitglieder zurechnen lassen. Totum pro parte, das Ganze steht hier für den Teil. Das gilt auch für die Mitgliedsstaaten, die sich nicht direkt an den Angriffen beteiligten.

Mythos Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Die Nato-Mitglieder sind entschlossen, «die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten», so lautet die Legitimationslegende der Gründungscharta. Das aber ist bereits im Jahr 1949 eine glatte Lüge. Nicht nur in Lateinamerika paktieren die USA von Anfang an mit Diktaturen und faschistischen Regimes, auch bei den Nato-Verbündeten in Europa sind nicht nur Demokratien mit an Bord. Entscheidend ist allein die Bereitschaft, sich in eine Front gegen die Sowjetunion einzureihen.

Mit dem faschistischen Diktator Spaniens, Francisco Franco, schliessen die USA bilaterale Sicherheitsabkommen, bei der Nato ist die faschistische Diktatur Portugal Gründungsmitglied. Während die Geheimpolizei des Diktators António de Oliveira Salazar Oppositionelle zu Tode foltert und in den portugiesischen Kolonien Konzentrationslager einrichtet, reihen die USA Portugal in die Gemeinschaft der Demokraten ein.

Oder nehmen wir die Türkei. Tausende politische Gefangene werden nach dem Militärputsch von 1980 gefoltert. Die Zeitung «Cumhuriyet» spricht anlässlich des zehnten Jahrestages am 12. September 1990 von 650 000 politischen Festnahmen, 7000 beantragten, 571 verhängten und 50 vollstreckten Todesstrafen und dem nachgewiesenen Tod durch Folter in 171 Fällen. Die Türkei bleibt in der Nato. Auch nach dem Militärputsch erhält sie umfangreiche Militärhilfen der USA und ihrer Verbündeten. Einer Mitgliedschaft ist die Herrschaft der Generäle nicht abträglich. Ebenso in Griechenland.

Der Militärputsch von 1967, Konzentrationslager und Morde an Oppositionellen, die Verhaftung Tausender oder die Vertreibung ins Exil – alles kein Grund, die Mitgliedschaft zu beenden. Selbst die Invasion des Nato-Mitglieds Türkei in Zypern 1974 infolge des Putsches der griechischen Obristen ist offenbar konform mit dem demokratischen Gründungskonsens des Militärbündnisses.

Nun könnte man das abtun und auf die Tempi passati, die vergangenen Zeiten, verweisen. Aber auch im Jahr 2024 steht die Unterstützung islamistischen Terrors durch die Autokratie Erdogans nicht im Widerspruch zu einer Nato-Mitgliedschaft. Es geht bei der Nato nun einmal nicht um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sondern allein um geopolitische Gefolgschaft gegenüber den USA. Wie bei einem auf Lügen gebauten Reich lebt die Nato von dieser Mär. In Schulen und Universitäten sind diese Lügen Teil des Bildungsprogramms zur Nato.

Mythos Wertegemeinschaft und Menschenrechte

«Unsere gemeinsamen Werte – individuelle Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – verbinden uns.» So stellt sich die Nato in ihrem Strategischen Konzept 2022 als Wertegemeinschaft dar. Durch die Kriege der USA und ihrer Verbündeten seien allein in den vergangenen zwanzig Jahren viereinhalb Millionen Menschen gestorben, bilanziert hingegen die renommierte Brown University in Rhode Island, USA.

Mit dem mannigfach kolportierten Selbstbild der Nato ist dies nicht zu vereinbaren. Die Nato ist keine Gemeinschaft, die Menschenrechte schützt. Im Gegenteil: Die Nato ist der Schutzschirm für die Menschenrechtsverletzungen ihrer Mitglieder. Und zwar keineswegs nur mit Blick auf die Verletzung sozialer Menschenrechte unter der Diktatur massiver Aufrüstung. Vielmehr verfolgt die Nato eine Politik der Straflosigkeit gegenüber Kriegsverbrechen ihrer Mitgliedsstaaten.

Wer es wie der australische Journalist Julian Assange wagt, diese Kriegsverbrechen öffentlich zu machen, der wird gefoltert und mit 175 Jahren Haft in den USA bedroht. Ernsthafte Interventionen anderer Nato-Regierungen für die Freilassung von Assange gibt es keine. In eilfertiger Komplizenschaft wird auf Kritik am Hegemon USA verzichtet.

Die von Assange im Jahr 2010 veröffentlichte Dokumentensammlung «Afghan War Diary» belegt die Existenz einer geheimen US-Truppe, «Task Force 373» genannt, die der rechtsfreien Tötung mutmasslicher Taliban-Anführer dient. Die 300 Mann starke Eliteeinheit war auch in dem von der Bundeswehr kontrollierten Gebiet in Afghanistan stationiert. Sie stand unter direktem Befehl der US-Regierung und setzte laut den von der Enthüllungsplattform Wikileaks publizierten Berichten auch international geächtete Streubomben ein, die wahllos töten und zerstören.

Am 11. Januar 2002 errichten die USA auf dem widerrechtlich besetzten Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba ein Gefangenenlager. Amnesty International schreibt dazu:

«Viele der rund 780 Menschen, die seitdem dort gezielt ausserhalb jeder gerichtlichen Kontrolle inhaftiert gewesen sind, haben vor oder während ihrer Haft schwerste Menschenrechtsverletzungen erlitten – darunter Folter und Verschwindenlassen. Bis heute werden in Guantánamo Folterüberlebende ohne angemessene medizinische Versorgung, ohne Anklage und faire Gerichtsverfahren auf unbestimmte Zeit festgehalten.»

Menschenrechte haben für die Nato einen sehr niedrigen Stellenwert. Das zeigt sich auch an der Wahl der Allianzen der Nato-Mitglieder. So rüsten etwa die USA, Grossbritannien und Deutschland die Diktatur in Saudi-Arabien auf, die reihenweise Oppositionelle köpfen lässt und deren Kronprinz Mohammed bin Salman wohl persönlich den Befehl gab, den «Washington Post»-Journalisten Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Generalkonsulat von Istanbul zu zersägen.

Rhetorisch bleibt die Nato antithetisch an ihre Praxis gebunden. So heisst es im strategischen Konzept der Nato von 2022:

«Wir werden unsere Geschlossenheit, unseren Zusammenhalt und unsere Solidarität stärken, indem wir auf dem fortwährenden transatlantischen Bund zwischen unseren Nationen und der Stärke unserer gemeinsamen demokratischen Werte aufbauen.»

Angesichts der engen Bündnisse mit Diktatoren, Autokraten und Völkerrechtsverletzern wirkt diese Selbstversicherung wie ein schlechter Witz.

Begleitet wird diese Heuchelei von doppelten Standards: In ihrem strategischen Konzept vom 20. Juni 2022 wirft die Nato Russland vor, in der Ukraine «wiederholte Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht» zu begehen. Während die Nato dies als zusätzliche Begründung für ihren Stellvertreterkrieg gegen Russland heranzieht, stärkt sie Israel bei seinen offensichtlichen Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht in Gaza den Rücken und sichert dem Land volle Solidarität zu.

Die USA verhindern bis Ende März mit ihrem Veto im Uno-Sicherheitsrat jede Resolution für einen sofortigen Waffenstillstand. Ohne die Waffenlieferungen aus den Nato-Staaten USA, Deutschland und Grossbritannien wäre dieser Krieg so nicht führbar.

Im globalen Süden wird diese Doppelmoral des Westens immer stärker kritisiert. Die Menschenrechtsrhetorik von Nato-Staaten gilt dort als rein instrumentell, um eigene geopolitische Interessen zu verbergen oder durchzusetzen. Die Nato erscheint als Wächterorganisation einer zutiefst ungerechten Weltordnung mit neokolonialen Tendenzen. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Nato-Mitglieder beim Wirtschaftskrieg gegen Russland mit sogenannten Sekundärsanktionen Drittstaaten wie China, der Türkei oder den Vereinigten Arabischen Emiraten unter Verletzung von deren Souveränität die eigene Politik aufzuzwingen versuchen.

Die Mythen der Nato verklären den Blick auf die Wirklichkeit. Um Auswege aus der gegenwärtigen Krise zu finden, bedarf es ihrer Enthüllung. Heute, 75 Jahre nach seiner Gründung, treibt der Militärpakt mit seiner globalen Expansion und seinen Konfrontationen die Welt näher an den Rand eines dritten Weltkrieges als jemals zuvor.

Die kritische Auseinandersetzung mit dem aktuellen Vorgehen des Bündnisses wie auch mit seinen Verbrechen in der Vergangenheit soll die Voraussetzung dafür schaffen, über Alternativen nachzudenken. Alternativen zu einer Nato, die allein auf Abschreckung, Aufrüstung und Konfrontation setzt – und damit das friedliche Zusammenleben der Menschheit existenziell gefährdet.

* Sevim Dagdelen ist aussenpolitische Sprecherin der Gruppe Bündnis Sahra Wagenknecht im Deutschen Bundestag.

(Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin.)

Der vorliegende Text ist ein Auszug ihres neuen Buchs «Die Nato. Eine Abrechnung mit dem Wertebündnis». Westend. 128 Seiten.

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