Die grosse chinesische Neuausrichtung

Guy Mettan (Bild zvg)

von Guy Mettan,* Genf

(16. November 2023) Einer chinesischen Einladung folgend, nahm ich etwa acht Tage lang an verschiedenen Treffen teil, die anlässlich des Dritten Gipfeltreffen zu den Neuen Seidenstrassen organisiert wurden, das am 17. und 18. Oktober in Peking stattfand. Dieses Forum war das grösste internationale Ereignis seit der Austragung der Olympischen Winterspiele im Februar 2022. Mehr als 130 Länder, Dutzende von Staatschefs, Premierminister und Minister aus allen Bereichen und Richtungen waren dort anzutreffen. Bemerkenswert war der Ausschluss des Westens und der G7, die nur durch den Nachbarn Japan und einige führende Politiker aus den Balkanstaaten vertreten waren.

Aufgrund der fehlenden zeitlichen Distanz erlaube ich mir, Ihnen einige Eindrücke aus dem Stegreif zu schildern. Zunächst einmal hatte ich das Gefühl, dass China bei der Digitalisierung der Gesellschaft einen Quantensprung gemacht hat, der weit über das hinausgeht, was bei uns üblich ist.

Es ist unmöglich, ohne die App WeChat zu überleben, die so ziemlich jedes Problem des Alltags löst. Anekdote am Rande: Die Visitenkarten, die früher für jeden Austausch unerlässlich waren, sind zugunsten von personalisierten QR-Codes verschwunden.

Alle im Westen üblichen Anwendungen wie Google, WhatsApp, YouTube, Facebook, Telegram, X und LinkedIn wurden zugunsten chinesischer Lösungen verbannt. War dies eine Reaktion auf den Boykott von Huawei und die Spionagevorwürfe oder der Wunsch, ausländische Einflüsse zu zensieren? Das muss jeder selbst beurteilen.

Zweifellos befindet sich die chinesische Wirtschaft in einer Phase der Neuausrichtung. Eine Fahrt mit dem Hochgeschwindigkeitszug (immerhin 350 km/h) zum Eisenbahnhafen von Xian, dem Ausgangspunkt der neuen Seidenstrassen nach Europa und zum Indischen Ozean, zeigt die Entschlossenheit Pekings, neue Handelsmöglichkeiten mit dem globalen Süden, dem Nahen Osten und Russland zu erschliessen. Gleichzeitig offenbart es beim Anblick der Baustellen und Dutzender verlassener Hochhäuser das Ausmass der Immobilienkrise und der Überinvestitionen im Baugewerbe. Spektakulär, aber weniger verheerend als die amerikanische Subprime-Krise im Jahr 2008.

Am beunruhigendsten ist jedoch die Tatsache, dass die chinesische Führung die neue Teilung der Welt scheinbar akzeptiert hat. Sie hat zur Kenntnis genommen, dass der Westen gegenüber China Distanz schafft – oder gar Feindseligkeit? – und konzentriert sich nun auf die Länder, die ihr am ehesten gewogen sind: Russland, wie der Empfang für Wladimir Putin während des Gipfels zeigte, die asiatischen Nachbarn und vor allem die muslimische, afrikanische und lateinamerikanische Welt, die zwei Drittel der Mitglieder der Vereinten Nationen und der Menschheit ausmachen. Eine strategische Option, die vom Globalen Süden sehr begrüsst wird, ganz gleich, was man bei uns dazu sagt.

Chinas Investitionen in die internationalen Infrastrukturprojekte im Rahmen
der BRI kommen allen Beteiligten zugute, weil sie für Arbeit und Wachstum sorgen.
(Grafik Wikipedia)

Offiziell kommt nirgends eine Animosität gegen Europa oder die USA zum Ausdruck. Im Gegenteil, man legt Wert darauf, gute Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. Man betont die integrative, allen offenstehende Dimension des BRI-Projekts [Belt and Road Initiative].

In der Praxis wird der Westen jedoch schlichtweg ignoriert. Es scheint, als hätte Peking erkannt, dass es nicht mehr mit dem Herzen dabei ist. Unter dem Einfluss der USA, die China eindeutig als ihren Hauptgegner definiert haben, und der Hysterie, die im letzten Winter in den USA durch den sogenannten Spionageballon, der keiner war, ausgelöst wurde, hat sich gezeigt, dass vom Westen und insbesondere von den Europäern seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine nicht mehr viel zu erwarten ist.

Auch die Kehrtwende Italiens, das sich dem Projekt der Neuen Seidenstrassen angeschlossen hatte, hinterliess einen bleibenden Eindruck. Für Peking endet der äusserste westliche Zipfel dieser Verkehrswege nun an der Linie Polen-Balkan-Griechenland.

Zum Schluss noch ein Wort zur Schweiz. Unser Land wurde nicht zur Teilnahme am Gipfel eingeladen, obwohl die Chinesen die Schweiz hoch schätzen und ihr stets mit Rücksicht begegnet sind, wie es auch beim Besuch von Präsident Ueli Maurer 2019 der Fall war. Österreich hat eine Einladung erhalten, die seine grünen Minister nicht annehmen wollten. Aber wir nicht. Weshalb nicht? Aus Solidarität mit Russland, das wir schwer sanktioniert haben? Das mag sein, ist aber unwahrscheinlich.

Ein polnischer Kollege flüsterte mir jedoch ins Ohr, dass die Kampagnen der Universität Basel, die alle Verbindungen zur chinesischen akademischen Welt abgebrochen hat, und gegen das Genfer Konfuzius-Institut arbeitet, Spuren hinterlassen hat.

Im vergangenen Jahr machte ein anonymes Video in Europa die Runde, in dem das Genfer Institut als Versteck für chinesische Spione angeprangert und Ueli Maurer aggressiv angegriffen wurde, der – welch Widerspruch! – als Handlanger der kommunistischen Diktatur Chinas bezeichnet wurde. Nach dieser Kampagne stellte Polen die Zusammenarbeit mit dem Konfuzius-Institut ein. Es mag ein unbedeutendes Einzelereignis sein, aber die Symbolik ist China nicht entgangen...

* Guy Mettan (1956) ist Politologe, freischaffender Journalist und Buchautor. Seine journalistische Karriere begann er 1980 bei der «Tribune de Genève» und war von 1992 bis 1998 deren Direktor und Chefredaktor. Von 1997 bis 2020 war er Direktor des «Club Suisse de la Presse» in Genf. Guy Mettan ist seit 20 Jahren Mitglied des Genfer Kantonsparlaments.

(Übersetzung aus dem Französischen «Schweizer Standpunkt»)

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