Die Gründe, die zum Krieg geführt haben

Gabriel Galice. (Bild zvg)

von Gabriel Galice, Präsident des Internationalen Instituts für Friedensforschung in Genf (GIPRI)

(9. August 2022) Auch und gerade in Kriegszeiten setzt das GIPRI [Geneva International Peace Research Institute] hartnäckig seine Arbeit fort, um Klischees zu widerlegen. In ihrem meisterhaften Buch «Unrestricted Warfare» [uneingeschränkte Kriegführung] erklären Qiao Liang und Wang Xiangsui, dass «nichtmilitärische Kriegsoperationen» die Kriege des 21. Jahrhunderts kennzeichnen. Diese Operationen sind wirtschaftlicher, technologischer und kommunikativer Art.

Ohne abwesend zu sein, wird das militärische Element von allen anderen Elementen der Kriegsführung vorbereitet, begleitet und verfolgt. Der Informationskrieg (Infowar) ist ein Kernstück, an dem wir alle beteiligt sind, ob wir es wollen oder nicht. Der Blick auf die Arbeit und die Veröffentlichungen unseres Instituts zeugt sowohl von seinem Anspruch als auch von seiner Beständigkeit. Unsere Konferenz «Welcher Frieden für welche Weltordnung?» aus dem Jahr 2016 belegt dies.

In Bezug auf die Ukraine führen auf Emotionen basierende Stellungnahmen (erst recht, wenn es sich um «fabrizierte» Emotionen handelt) dazu, dass im Namen guter Absichten – von denen man weiss, dass sie den Weg zur Hölle pflastern – Öl ins Feuer gegossen wird, indem Waffen verschickt werden, anstatt friedensstiftende Massnahmen zu ergreifen. Sich zu empören und zu verurteilen kann jeder, aber die Situation in der Ukraine zu verstehen, setzt eine gründliche Information voraus. Diese braucht Zeit und sollte die Arbeit von Autoren wie Zbigniew Brzezinski berücksichtigen.

Das GIPRI hat die Methode übernommen, die sein ehemaliger Präsident, Professor Roy Preiswerk, in seinem Text «Was ist unter Friedensforschung zu verstehen?» empfohlen hat. Die irenologische Analyse einer Situation besteht aus vier Phasen: normativ, deskriptiv, evaluativ und präskriptiv. Unsere Normativität beruht auf dem Prinzip einer gerechten, multipolaren Welt, die die UNO-Charta respektiert, in der die souveräne Gleichheit der Völker ein Eckpfeiler ist.

Die russische Invasion in der Ukraine zu missbilligen verbietet es nicht, die Gründe, die Russland dazu veranlasst haben, ernst zu nehmen. Seit dreissig Jahren fordern die Russen vergeblich die Schaffung einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur. Unter der Führung der Vereinigten Staaten von Amerika hat der Westen «Farbrevolutionen» (darunter den Maidan-Putsch von 2014) unterstützt, die Nato bis an seine Peripherie ausgedehnt und einen antirussischen Diskurs genährt. Guy Mettan hat dessen Triebfedern in seinem Buch «Russie-Occident, une guerre de mille ans» [Russland und der Westen. Ein tausendjähriger Krieg] untersucht.

Im Artikel «A Fatal Error» hat George Kennan die Ausdehnung der Nato nach Osten angeprangert. Anstatt auf Russlands Forderung nach gemeinsamer Sicherheit einzugehen, hat der Westen seine Sicherheit ohne und gegen Russland ausgeweitet und damit die vor der deutschen Wiedervereinigung gegenüber Gorbatschow eingegangene Verpflichtung, die Nato nicht auszuweiten, missachtet. Diese Verpflichtung wurde von US-amerikanischen Wissenschaftlern wie Mary Elise Sarotte und Joshua Shifrinson bestätigt.

Kurzum, in internationalen Beziehungen wie auch in nachbarschaftlichen Beziehungen ist es gut, zunächst vor der eigenen Haustür zu kehren.

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