Die neue Weltunordnung aus der Sicht eines Schweizers
von Jean-Pierre Saw
(2. Februar 2025) In diesem Januar 2025 wachen wir alle mit einem dumpfen Gefühl auf – etwas stimmt nicht mehr. Es gibt immer mehr latente und offene Krisenherde, die grosse Erschütterungen ankündigen. Wie Bundesrat Ignazio Cassis in den «Tamedia»-Zeitungen feststellt, «geht es der Welt nicht gut» – ein kleiner Streifzug.
In Europa
An der Donbass-Front zeichnet sich ein ukrainischer Zusammenbruch ab, während die Offensiven auf russischem Territorium mit Hilfe der westlichen Sponsoren intensiviert werden. Gleichzeitig stecken Deutschland und Frankreich in einer politischen und wirtschaftlichen Krise fest, Italien versucht mit allen Mitteln, seine Schulden abzubauen, und Österreich versucht immer noch, eine Regierung zu bilden. Weiter im Osten hat Rumänien gerade Wahlen unter dem Vorwand der Einmischung von aussen abgesagt, während Ungarn und die Slowakei Autonomiebestrebungen zeigen, die Brüssel verärgern. In der Zwischenzeit treibt Frau von der Leyen ihre Agenda voran und ignoriert die Klagen, die sie verfolgen.
Im Nahen Osten
Im Nahen Osten geht Israel aus den verschiedenen Episoden, die sich in den letzten 15 Monaten abgespielt haben, als vorläufiger Gewinner hervor. Dennoch weist das Land einen negativen Migrationssaldo auf, die Wirtschaft läuft schleppend und die Mobilisierung der Verteidigungsstreitkräfte hat das Land nur vorübergehend wieder zusammengeführt. Während Gaza sich in ein riesiges Lager von Flüchtlingen auf ihrem eigenen, in Schutt und Asche liegenden Wohngebiet verwandelt hat, bleibt Europa stumm. Der Libanon überlebt ohne Präsident und der syrische Nachbar sorgt mit seiner neuen Regierung nicht für Beruhigung. Die Türkei scheint sich aus der Affäre zu ziehen, während der Iran, der von internen Protesten geplagt wird, weitgehend geschwächt aus den Niederlagen seiner Verbündeten hervorgeht.
Auf dem afrikanischen Kontinent
Unfähig, eine kohärente Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent zu gewährleisten, hält sich Europa angesichts der sich abzeichnenden demografischen Bombe die Ohren zu. Parallel dazu wird die Entkolonialisierung mit der vollständigen Beseitigung der französischen Militärpräsenz abgeschlossen, während die Regierungen von diversen anderen Ländern umworben werden: China, Indien, die Türkei auf wirtschaftlicher Ebene, Russland und die Türkei für die militärische Zusammenarbeit. Die Maghreb-Staaten ignorieren sich gegenseitig und leiden unter internen Krisen.
In Asien
Während Japan sich in Probleme verstrickt, die an unsere erinnern, arbeitet der Rest Asiens, hüllt sich in Schweigen und wartet auf seine Chance. Nur das burleske Intermezzo Südkoreas stört die Diskretion, die den Kontinent kennzeichnet. Europa schaut hilflos zu, wie China sich auf den von den USA angekündigten totalen Krieg vorbereitet und an der Macht in den Meeren und Ozeanen knabbert.
In den Vereinigten Staaten
Die USA, gespaltener denn je, sehen sich konfrontiert mit Herrn Trump und sein Update der gesamten nationalen Software nach dem Vorbild Argentiniens. Wird er die Nachlässigkeit der anderen Mitglieder der Atlantischen Allianz als Vorwand nehmen, um sich aus dem Bündnis zurückzuziehen? Oder wird er versuchen, sich als neuer Anführer des Orchesters zu etablieren? Wird er Frieden mit Russland schliessen oder den Krieg um Einfluss zwischen den G7 und den BRICS-Staaten anheizen? Auf jeden Fall zeichnen sich zwei strategische Achsen ab: der interne Wiederaufbau und die Rivalität mit China. Wie viel Platz bleibt dann noch für die traditionellen Verbündeten, die in ihre eigenen Probleme verstrickt sind?
In der Schweiz
Und vor allem: Was geschieht mit der Schweiz in dieser Kakophonie? Das Land wird aus dem Hinterhalt attackiert: Die Nato benutzt den Vorwand der Kooperation, um unsere Armee auf der Suche nach einer realen Bedrohung zu vereinnahmen, während die EU uns ihr Recht und ihre Richter aufzwingen will und sich gleichzeitig freien Zugang zu unserem Arbeitsmarkt verschafft. Die gute Nachricht ist, dass ein weiterer ehemaliger Botschafter zu denjenigen hinzukommt, die bereits zur Wachsamkeit mahnen: Nach Paul Widmer, Georges Martin und Jean-Daniel Ruch hat nun auch Didier Pfirter im «Blick» Alarm geschlagen und unseren Aussenminister daran erinnert, dass es gefährlich ist, mit dem Begriff der Neutralität zu spielen. Er ist ein weiterer Verteidiger unserer Sonderstellung im Konzert der Nationen. Es wird ein heisses Jahr!
(Übersetzung aus dem Französischen «Schweizer Standpunkt»)