Die «unlimitierte» Partnerschaft zwischen China und Russland wird auf die Probe gestellt

M. K. Bhadrakumar (Bild Indian Punchline)

von M. K. Bhadrakumar,* Indien

(25. Juni 2023) Die Machtdynamik in Nordostasien erfährt vor dem Hintergrund der «unlimitierten» strategischen Partnerschaft zwischen China und Russland einen dramatischen Wandel.

Das Scheitern der Kiewer «Gegenoffensive» und die bittere Niederlage im Krieg mit Russland könnten die Biden-Administration dazu zwingen, in der Westukraine «boots on the ground» (eigene Bodentruppen) zu stationieren und damit eine globale Konfrontation auszulösen. Auch die Beziehungen zwischen den USA und China1 befinden sich auf dem absoluten Tiefpunkt seit ihrer Normalisierung in den 1970er-Jahren – und die Taiwan-Frage könnte zu einem Kriegsgrund werden.Sicherlich wird der nordostasiatische Schauplatz ein entscheidender Schauplatz in der sich anbahnenden Konfrontation der Grossmächte sein, da sich die Arktis aufheizt und der Nördliche Seeweg in Betrieb genommen werden kann, was die strategische Bedeutung des russischen Fernen Ostens und Sibiriens als Motor der Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert in Verbindung mit seinem derzeitigen Status als weltweit führende Atommacht enorm aufwertet. Der Ausgang des Ukraine-Krieges könnte die letzte Chance für die Vereinigten Staaten sein, Russland davon abzuhalten, sein Rendezvous mit dem Schicksal fortzusetzen. Das macht den Fernen Osten für die USA zur wichtigsten Region in ihrer globalen Strategie.

Der russische Präsident Wladimir Putin (r) trifft den chinesischen Staatsrat
und Verteidigungsminister Li Shangfu (l), Moskau, 17. April 2023. (Bild zvg)

Symptomatisch für die sich verschärfenden Spannungen hat das russische Aussenministerium am Freitag den japanischen Botschafter einbestellt2 und in einer ausserordentlich scharfen Sprache Protest eingelegt, als bekannt wurde, dass es sich bei den 100 Fahrzeugen, die Tokio der Ukraine letzte Woche verharmlosend versprochen hatte, in Wirklichkeit um gepanzerte Fahrzeuge und Geländewagen handelt. Offensichtlich hat Tokio das verheimlicht, denn die japanischen Ausfuhrbestimmungen verbieten es den japanischen Unternehmen, tödliche Güter ins Ausland zu verkaufen!

Tokio überschreitet eine «rote Linie» und Moskau ist darüber nicht erfreut. In der Erklärung des Aussenministeriums vom Freitag wird betont, «dass die Regierung von Ministerpräsident Fumio Kishida bereit sein sollte, die Verantwortung für den Tod von Zivilisten, auch in den russischen Grenzregionen, zu übernehmen […] und die bilateralen Beziehungen noch tiefer in eine gefährliche Sackgasse zu treiben. Solche Aktionen können nicht ohne ernsthafte Konsequenzen bleiben».

Der Generalstabschef der russischen Streitkräfte und Erste Stellvertretende Verteidigungsminister, General Waleri Gerassimow, äusserte sich am Freitag in einer Videokonferenz mit General Liu Zhenli,3 dem Stabschef des Gemeinsamen Stabes der Zentralen Militärkommission Chinas, zuversichtlich über den Ausbau der militärischen Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern und stellte fest: «Die Koordinierung zwischen Russland und der Volksrepublik China auf der internationalen Bühne hat eine stabilisierende Wirkung auf die Weltlage.»

Chinesische Medien berichteten später,4 dass die beiden Generäle vereinbart haben, dass Russland (zum zweiten Mal) an der von China organisierten Übung Northern/Interaction-2023 teilnehmen wird, was auf einen neuen Rahmen für gemeinsame strategische Übungen zwischen China und Russland neben der gemeinsamen Luftpatrouille über dem Japanischen Meer und dem Ostchinesischen Meer durch ihre strategischen Bomber hindeutet. Am Dienstag fand übrigens die sechste gemeinsame Luftpatrouille5 dieser Art seit Beginn der Übung im Jahr 2019 statt.

Im Grossen und Ganzen hat der Wandel in der japanischen Politik im vergangenen Jahr – enge Anlehnung an die USA in Bezug auf die Ukraine, Nachahmung der westlichen Sanktionen gegen Russland, Lieferung tödlicher Waffen an die Ukraine usw. – die russisch-japanischen Beziehungen ernsthaft geschädigt. Hinzu kommt, dass Japans Remilitarisierung mit amerikanischer Unterstützung und seine zunehmenden Beziehungen zur Nato (die sich auf den asiatisch-pazifischen Raum zubewegt) Tokio zu einem gemeinsamen Gegner von Moskau und Peking macht.

Die Notwendigkeit, diesen wiedererstarkten US-Klienten zurückzudrängen, wird in Moskau und Peking stark empfunden, was auch eine globale Dimension hat, da Russland und China davon überzeugt sind, dass Japan wie ein Stellvertreter der amerikanischen Dominanz in Asien agiert und sich westlichen Interessen unterordnet. In einer Kehrtwende ermutigt Washington nun seinerseits Japan aktiv dazu, eine selbstbewusste Regionalmacht zu sein, indem es seine verfassungsmässigen Aufrüstungsbeschränkungen über Bord wirft. Es freut Washington, dass Japan eine langfristige Erhöhung der Verteidigungsausgaben um über 60 Prozent zugesagt hat.

Besorgniserregend für Moskau und Peking ist auch der Aufstieg revanchistischer Elemente – Überbleibsel aus Japans kaiserlicher Ära – in den obersten Rängen der Macht in der jüngsten Zeit. Natürlich leugnet Japan nach wie vor seine Greueltaten während der brutalen Kolonisierung Chinas und Koreas und die schrecklichen Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs.

Diese Entwicklung ähnelt frappierend dem, was in Deutschland geschieht, wo ebenfalls die Pro-Nazi-Elemente wieder einen Wohnsitz und einen Namen beanspruchen. Seltsamerweise steht eine deutsch-japanische Achse im Mittelpunkt der Strategien Washingtons gegen Russland und China in Eurasien und Nordostasien.

Die deutsche Bundeswehr weitet ihre Gefechtsübungen im Indischen und Pazifischen Ozean aus und wird im nächsten Jahr mehr Marine- und Luftwaffeneinheiten in den asiatisch-pazifischen Raum entsenden. In einem kürzlich erschienenen deutschen Bericht heisst es:

«Die Intensivierung der deutschen Beteiligung an regionalen Manövern im asiatisch-pazifischen Raum findet zu einer Zeit statt, in der die Vereinigten Staaten rekordverdächtige Manöver in Südostasien durchführen, um ihre Kontrolle über die Region zu verstärken und China so weit wie möglich zu verdrängen.»

Die Beweggründe Japans sind leicht nachzuvollziehen. Abgesehen vom japanischen Revanchismus, der die nationalistischen Gefühle schürt, ist Tokio davon überzeugt, dass eine Einigung mit Russland über die Kurilen-Inseln weder jetzt noch jemals zu erwarten ist, was bedeutet, dass ein Friedensvertrag zur formellen Beendigung der Feindseligkeiten des Zweiten Weltkriegs nicht möglich sein wird. Zweitens sieht Japan Russland nicht mehr als «ausgleichende Kraft» in seinem gestörten Verhältnis zu China.

Drittens, und das ist der wichtigste Punkt, sieht Japan den Aufstieg Chinas als politische und wirtschaftliche Bedrohung an und rüstet daher rasch auf, was wiederum eine eigene Dynamik in Bezug auf die Veränderung seiner Machtposition in Asien und seine Integration in den Westen («Globalisierung») auslöst. Dies führt unweigerlich dazu, dass die Nato in der asiatischen Machtdynamik gefördert wird, was einen tiefen Einschnitt in die nationalen Sicherheits- und Verteidigungsstrategien Russlands darstellt. Folglich haben sich die Hoffnungen, die die Strategen in Moskau in der Vergangenheit gehegt hatten, dass Japan aus der US-Umlaufbahn herausgelöst und zur Ausübung seiner strategischen Autonomie ermutigt werden könnte, in Luft aufgelöst.

In seinem Bestreben, Japan in den von den USA geführten «kollektiven Westen» zu integrieren, hat sich Premierminister Kishida wohl selbst übertroffen. Er verhält sich so, als sei er verpflichtet, loyaler zu sein als der König selbst. So landete Kishida am selben Tag, an dem Präsident Xi Jinping im März Moskau besuchte, in Kiew, von wo aus er an einem Nato-Gipfel teilgenommen und sich offen für die Einrichtung eines Nato-Büros in Tokio6 eingesetzt hat.

Im Anschluss daran empfing Kishida den Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Tokio und bot ihm eine Plattform, um China öffentlich vor dessen Haustür zu beschimpfen. Es gibt keine einfache Erklärung für ein solch exzessives Verhalten. Handelt es sich nur um ein ungestümes Verhalten oder ist es eine kalkulierte Strategie, um dem Aufstieg revanchistischer Elemente, die Kishida im japanischen Machtgefüge vertritt, Legitimität zu verschaffen?

Sicherlich ist Nordostasien jetzt eine Priorität für China und Russland, da sich ihre Interessen in der Region überschneiden. Die Ausweitung der Nato nach Asien und die starke Zunahme der amerikanischen Streitkräfteprojektion machen den Verteidigungsstrategen in Peking und Moskau klar, dass das Japanische Meer ein «gemeinsamer Hinterhof» für die beiden Länder ist, in dem ihre «unlimitierte» strategische Partnerschaft optimal spielen muss. Chinesische Kommentatoren spielen nicht länger herunter,7 dass die russisch-chinesischen Militärbeziehungen «ein starkes Gegengewicht zu den hegemonialen Aktionen der USA darstellen.»

Es ist durchaus denkbar, dass China und Russland irgendwann in naher Zukunft beginnen, Nordkorea als Protagonisten in ihrer regionalen Ausrichtung zu betrachten. Sie könnten sich nicht mehr verpflichtet fühlen, die von den USA verhängten Sanktionen gegen Nordkorea einzuhalten. Sollte dies der Fall sein, ergeben sich in der Tat zahlreiche Möglichkeiten. Die militärischen Beziehungen zwischen Russland und dem Iran haben den Präzedenzfall geschaffen.

*  M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, Iran und Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst «Indian Punchline».

Quelle: https://www.indianpunchline.com/asia-pacific-is-where-china-russia-no-limits-partnership-will-be-put-to-test, 11. Juni 2023

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://www.globaltimes.cn/page/202306/1292164.shtml

2 https://consent.yahoo.com/v2/collectConsent?sessionId=3_cc-session_1ce9c350-116c-4c2f-9596-2ff48f8d237f

3 https://eng.mil.ru/en/news_page/country/more.htm?id=12469904@egNews

4 https://www.globaltimes.cn/page/202306/1292308.shtml

5 https://tass.com/defense/1629169

6 https://www.globaltimes.cn/page/202306/1292204.shtml

7 https://tass.com/defense/1628891

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