Die USA beginnen einen Stellvertreterkrieg gegen den Iran

M. K. Bhadrakumar
(Bild zvg)

von M. K. Bhadrakumar,* Indien

(30. November 2023) Ein massiver Einsatz der US-Marine in einem weiten Bogen des sogenannten Nahen und Mittleren Ostens ist im Gange – von Kreta im östlichen Mittelmeer über das Rote Meer und den Bab el Mandeb bis in den Golf von Aden und den Golf von Oman. Dieses Abschreckungsmanöver könnte sich zu einer gross angelegten Offensivoperation ausweiten und zielt darauf ab, die geopolitischen Kräfteverhältnisse in der Golfregion neu zu ordnen und sie in die traditionellen Furchen der innerregionalen Rivalitäten zurückzuführen.

Nach ersten Angaben von Schiffsspähern befand sich der Flugzeugträger USS Dwight D. Eisenhower und seine Eskorte am Donnerstag [16. November] knapp ausserhalb der Strasse von Hormuz im Golf von Oman und näherte sich dem Persischen Golf. Ein Pentagon-Beamter bestätigte die Position, wollte aber nicht sagen, ob der Flugzeugträger durch die Strasse von Hormuz in den Persischen Golf einfahren wird.

Zur Aufrüstung der US-Marine in der Region gehört auch eine weitere Trägerkampfgruppe – die USS Ford und ihre Eskorten –, die sich in der vergangenen Woche von der israelischen Küste entfernt hat und nun nach Angaben von Schiffsspähern südlich von Kreta positioniert ist, offenbar ausserhalb der Raketenreichweite der libanesischen Hisbollah.

Abgesehen von den beiden Flugzeugträgerkampfgruppen umfasst der US-Einsatz auch eine dreischiffige Bataan Amphibious Ready Group mit der 26th Marine Expeditionary Unit und mehrere Lenkwaffenzerstörer – die USS Bataan und die USS Carter Hall, die im nördlichen Teil des Roten Meeres operieren, und die USS Mesa Verde im östlichen Mittelmeer zusammen mit dem Führungsschiff USS Mount Whitney.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von US-Angriffs-U-Booten in der Region, deren Standorte das Pentagon jedoch in der Regel nicht bekannt gibt – mit Ausnahme einer seltenen Meldung des US-Zentralkommandos, das am 5. November die Durchfahrt des nuklearen Lenkwaffen-U-Boots USS Florida östlich von Suez bekannt gab.

Die naheliegendste Erklärung für eine solch gewaltige Aufrüstung der Marine ist, dass sie Teil der Bemühungen der USA ist, den aktuellen Konflikt im Süden Israels und im Gazastreifen einzudämmen. Die Hisbollah feuert weiterhin Raketen und Panzerabwehrraketen aus dem Libanon nach Israel; vom Iran unterstützte militante schiitische Gruppen greifen US-Stützpunkte im Irak und in Syrien an, und die Houthi-Rebellen im Jemen feuern Raketen auf Israel ab. Seit dem 17. Oktober gab es mindestens 58 Angriffe auf US-Basen, vor allem im Irak.

In den USA herrscht die Meinung vor, dass die militanten Gruppen, die die US-Streitkräfte angreifen, auf Geheiss des Iran handeln. Diese Behauptung ist ein altes amerikanisch-israelisches Schreckgespenst, das immer dann auftaucht, wenn der Iran im Fadenkreuz steht und/oder eine Schuldzuweisung erforderlich ist. Expertenmeinungen, auch in den USA, waren schon immer vorsichtig.

Langjährige Beobachter gehen davon aus, dass Teheran zwar die verschiedenen im Nahen Osten operierenden Widerstandsgruppen offen unterstützt, um die USA und Israel zurückzudrängen, dass dies diese Gruppen aber nicht unbedingt zu «iranischen Stellvertretern» macht. So zeigte sich, dass der Iran von dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober überrascht wurde. Laut Reuters hat Irans oberster Führer Ayatollah Ali Khamenei dies kürzlich bei einem Treffen in Teheran mit Ismail Haniyeh, dem Vorsitzenden des Politbüros der Gruppe, angesprochen.

Auf jeden Fall ist bekannt, dass das US-Establishment sehr wohl weiss, wie es um seine Beziehungen zum Iran bestellt ist, und nicht gezögert hat, Teheran über Hintertürchen dazu zu bewegen, seine guten Beziehungen zu den im Irak operierenden schiitischen militanten Gruppen zu nutzen, um Zurückhaltung zu üben. Aber unterm Strich hat auch der Iran seine Grenzen in solch aussergewöhnlichen Zeiten wie heute, in denen der Hass und die Wut auf die USA und Israel in den muslimischen Ländern auf ein Crescendo angestiegen sind.

Interessant ist, dass zeitgleich mit der Ankunft des Flugzeugträgers USS Dwight D. Eisenhower und seiner Eskorten in den Gewässern vor der Strasse von Hormuz, das International Maritime Security Construct (IMSC) – ein Konsortium von Ländern mit Sitz in Bahrain, dessen offizielles Ziel die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Persischen Golf, im Golf von Oman, im Golf von Aden und im südlichen Roten Meer ist, insbesondere im Hinblick auf die maritime Sicherheit der globalen Ölversorgungsrouten – gab am Donnerstag eine Empfehlung für Schiffe heraus,1 die durch die Zufahrten zum Bab al Mandeb und zum Roten Meer fahren, und riet ausdrücklich, «sich bei der Wahl der Route an der grösstmöglichen Entfernung zu jemenitischen Gewässern zu orientieren». Zwei Tage später erklärte das israelische Militär,2 dass die jemenitischen Houthis tatsächlich ein Frachtschiff im südlichen Roten Meer auf dem Weg von der Türkei nach Indien beschlagnahmt hätten. Obwohl das Militär hinzufügte, dass sich das Schiff [namens Galaxy Leader] nicht in israelischem Besitz befand und keine Israelis unter der Besatzung waren, brachten die Eigentumsangaben in öffentlichen Schifffahrtsdatenbanken die Eigentümer des Schiffes mit der Firma Ray Car Carriers in Verbindung, die von Abraham «Rami» Ungar gegründet wurde, der als einer der reichsten Männer Israels bekannt ist.

Es braucht nicht viel Einfallsreichtum, um herauszufinden, dass die USA, die bereits unter der Demütigung leiden, dass die Houthis vor kurzem eine amerikanische MQ-9 Reaper-Drohne3 über internationalen Gewässern abgeschossen haben, gegen die Houthis vorgehen.

Dies bedarf einiger Erklärungen.

Die IMSC ist eine von den USA geführte «Koalition der Willigen», die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) fällt, der Sonderorganisation der Vereinten Nationen zur «Förderung einer sicheren, umweltverträglichen, effizienten und nachhaltigen Schifffahrt durch Zusammenarbeit».

Sie wurde 2019 vor dem Hintergrund des Krieges im Jemen gegründet und umfasst unter anderem die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Saudi-Arabien aus der Golfregion. Ihr Leitmotiv war es, während der saudi-emiratischen Intervention im Jemen der Achse Iran-Houthi entgegenzuwirken – im Wesentlichen als Teil der Eindämmungsstrategie der USA gegen den Iran, der die regionale Politik zu dieser Zeit dominierte.

Wenn die Biden-Administration plant, die Houthis anzugreifen und dies als Vergeltungs-/Strafschlag aussehen zu lassen, und sich dabei auf die IMSC-Plattform beruft, die aus einer vergangenen Ära – vor der von China vermittelten Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran – stammt, ist das ein brillanter geopolitischer Trick, mit dem die USA hoffen, mehrere Ziele zu erreichen und viele Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

Diese Ziele reichen von der Herabsetzung des Irans um ein oder zwei Stufen in der regionalen Machtdynamik über das Treiben eines Keils zwischen Saudi-Arabien und den Iran zu einem Zeitpunkt, an dem die Freundschaft zwischen den beiden traditionellen Rivalen die US-Pläne zur «Integration» Israels durchkreuzt, bis hin zur Wiederherstellung des Schockeffekts der US-Macht im Nahen Osten (und weltweit), der Offenhaltung der Schifffahrtslinien des Roten Meeres für israelische Schiffe und, in strategischer Hinsicht, der Beherrschung der zum Suezkanal führenden Wasserwege des Roten Meeres.

Übrigens ist das Rote Meer in letzter Zeit Schauplatz grosser Machtkämpfe – China hat einen Marinestützpunkt in Dschibuti und Russland hofft, einen U-Boot-Stützpunkt im Sudan zu errichten; Eritrea ist ein den USA feindlich gesinnter Anrainerstaat am Roten Meer; und die USA versuchen verzweifelt, einen Regimewechsel in Äthiopien herbeizuführen, dem grössten Land des afrikanischen Kontinents, das Russland sehr freundlich gesonnen ist.

Ein Schlamassel für die USA?

Noch merkwürdiger ist der Zeitpunkt, zu dem die US-Flugzeugträgergruppe in der Region des Persischen Golfs auftaucht. Das chinesische Aussenministerium kündigte am Sonntag [20. November] an,4 dass eine Delegation arabischer und islamischer Aussenminister vom 20. bis 21. November China besuchen wird, um mit Peking «eingehende Gespräche und Übereinkünfte» über Möglichkeiten zur Deeskalation des anhaltenden palästinensisch-israelischen Konflikts, zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Suche nach einer gerechten Lösung der palästinensischen Frage zu führen.

Der Delegation gehören der saudische Aussenminister Prinz Faisal bin Farhan Al Saud, der jordanische Vizepremierminister und Aussenminister Ayman Safadi, der ägyptische Aussenminister Sameh Shoukry, der indonesische Aussenminister Retno Marsudi, der palästinensische Aussenminister Riyad Al-Maliki und der Generalsekretär der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIZ) Hussein Brahim Taha an.

Die oben beschriebene Entwicklung geht auf eine saudische Initiative zurück. Es steht ausser Frage, dass die kollektive Annäherung der muslimischen Länder an China als ihren Hauptgesprächspartner in der gegenwärtigen Phase des palästinensisch-israelischen Konflikts eine diplomatische Abfuhr für die USA darstellt.

Kurz gesagt, die arabische Einheit ist auch Präsident Biden ein Dorn im Auge, und das in einer Zeit, in der es für die USA immer schwieriger wird, den chinesisch-arabischen Vorstoss für einen Waffenstillstand im Gazastreifen zu blockieren und der internationalen Verurteilung der schrecklichen Gewalt Israels gegen das palästinensische Volk entgegenzuwirken, insbesondere im globalen Süden.

Mit dem Angriff auf die jemenitischen Houthis will die Regierung Biden die saudi-iranische Annäherung untergraben, indem sie einerseits die saudische Antipathie gegenüber den Houthis ausnutzt und andererseits Teheran verhöhnt. Im Grunde hoffen die USA, es dem Iran mit gleicher Münze heimzahlen zu können.

In einem Meinungsartikel in The Hill heisst es:

«Es ist an der Zeit, dass Joe Biden und seine wichtigsten Berater in seinem nationalen Sicherheitsteam […] eine aktive Verteidigung übernehmen, indem sie iranische Stellvertreter hart und unnachgiebig bekämpfen, wenn sie eine Bedrohung darstellen, nicht erst nachdem sie bereits angegriffen haben. Und ein hinreichender Verdacht muss ausreichen, um unsere Soldaten zu schützen, die in abgelegenen Stützpunkten im Irak und in Syrien stationiert sind. […] Eine blutige Nase ist die einzige Antwort, die der Iran versteht, und genau die Antwort, die die USA geben müssen5

Die Biden-Administration muss bereits spüren, dass die israelischen Operationen gegen die Hamas nicht weiterführt und zu «eines langen Tages Reise in die Nacht» werden könnten, dank der hartnäckigen Weigerung des zionistischen Staates, sich seiner Schuld und Schande zu stellen oder eine Zwei-Staaten-Lösung für die Palästina-Frage zu akzeptieren. Die amerikanische Öffentlichkeit steht Bidens Vorgehen in dieser Situation zunehmend skeptisch gegenüber, und die Verbündeten der USA sind beunruhigt. In der Tat ist Israel selbst ein tief gespaltenes Haus.

Unterdessen erreicht die diplomatische Isolation der USA im Nahen Osten heute ein noch nie dagewesenes Ausmass. Die grosse Frage ist, ob es möglich ist, durch Zwang – «Smart Power» – verlorenen Boden zurückzugewinnen, denn der springende Punkt ist, dass den USA im Nahen Osten nicht mehr vertraut wird. Darüber hinaus besitzt der Iran das Patent für «Smart Power», die er in den letzten vier Jahrzehnten als diplomatisches Instrument erfolgreich eingesetzt hat, um existenzielle Herausforderungen seitens der USA abzuwehren.

Die USA riskieren, sich mit den Widerstandsgruppen zu verstricken, die durch die Schaffung eines Schlamassels für Washington nichts zu verlieren und alles zu gewinnen haben. Der springende Punkt ist, dass die Widerstandsgruppen in ihren Heimatländern operieren und über ein grosses Netz sozialer Unterstützung verfügen. Es handelt sich also letztlich um einen ungleichen Kampf. Die Biden-Administration sollte sich fragen, ob es sich lohnt, das Risiko eines weiteren Krieges im Nahen Osten einzugehen – nur um die schwächelnde israelische Moral zu stärken.

* M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, Iran und Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst «Indian Punchline».

Quelle: https://www.indianpunchline.com/us-embarks-on-proxy-war-against-iran/, 20. November 2023

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://www.fdd.org/analysis/op_eds/2023/11/17/international-maritime-security-construct-issues-warning-as-houthis-threaten-commercial-shipping/

2 https://english.aawsat.com/arab-world/4677951-israel-says-no-israelis-among-owners-or-crew-ship-seized-houthis

3 https://edition.cnn.com/2023/11/08/politics/us-drone-shot-down-near-yemen-houthi/index.html

4 https://www.fmprc.gov.cn/eng/wjdt_665385/wsrc_665395/202311/t20231119_11183140.html#:~:text=Members%20of%20the%20delegation%20include,and%20Secretary%20General%20of%20the

5 https://thehill.com/opinion/national-security/4311489-iran-is-calling-bidens-bluff/

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