Deutschland/Berlin

Dilemma Türkei

Florian Stumfall (Bild dolomiten.it)

Einmischung ist kein guter Ratgeber

von Florian Stumfall*

(25. Juni 2023) Der türkische Präsident Erdogan ist in seinem Amt bestätigt worden, und die Türken in Deutschland haben dazu einen überproportionalen Beitrag geleistet. Das erstaunt auf den ersten Blick, denn bei den Leuten handelt es sich um solche, die überwiegend in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben und nun ein national-türkisch-islamisches Bekenntnis abgegeben haben.

Während also die Politiker an allen Fest- und Feiertagen hehre Worte über die Integration sprechen, nisten sich die Türken in ihrer Mehrzahl in ihren hiesigen Gemeinden ein und bleiben so türkisch, wie es ihnen beliebt. Das überaus grosszügig gehandhabte Gesetz zur doppelten Staatsbürgerschaft macht es ihnen auch einfach.

Doch bei den Kommentatoren sind Ratlosigkeit und Jammer gross, nicht nur wegen der Wahlergebnisse in Deutschland, sondern insgesamt deswegen, weil sie weiterhin mit Erdogan leben müssen. Denn er gilt in der öffentlichen Meinung als ein Fehlgriff der Geschichte mit Neigung zum Unhold, als Beispiel dafür, wie ein Politiker nicht zu sein hat.

Natürlich wird jetzt darüber geklagt, die Wahl sei nicht fair gewesen und man habe die Opposition an der freien Meinungsäusserung gehindert. Nun, in einem durch die allwaltende politische Korrektheit kaum mehr wiederzuerkennenden Deutschland soll man zurückhaltend sein, wenn man über anderer Leute Meinungsfreiheit spricht. Ausserdem kann es so schlimm nicht gewesen sein, wenn ein Oppositionspolitiker den amtierenden Präsidenten in die Stichwahl zwingt und nur knapp unterliegt.

Aber man mag halt hierzulande den Erdogan nicht. Warum eigentlich? Erdogan ist ein Türke und ist es immer gewesen. Daran wird auch ein deutscher Verhaltenskodex nichts ändern. Der türkische Präsident denkt und handelt nach seiner, der türkischen Tradition und hat keine Veranlassung, in Berlin oder sonst wo nachzufragen, ob das so genehm ist. Aber das westliche Gutmenschentum ist der Auffassung, den moralischen Leisten für die ganze Menschheit zu besitzen.

Deshalb kann es auch geschehen, dass deutsche Aussenpolitiker, derzeit leider mit der Ministerin Baerbock an der Spitze, immer dann, wenn sie missliebige Länder eben wie die Türkei oder auch China besuchen, als allererstes die Gastgeber mit Mahnungen und unerbetenen Ratschlägen eindecken. Das sind Tritte ans Schienbein mit diplomatischer Attitüde.

Zudem ist die Sache, was die Türkei betrifft, ohnehin ziemlich verlogen. Denn nach wie vor gilt Ankara als ein Beitrittskandidat zur EU und bezieht erhebliche Gelder zum Zwecke der «Heranführung». Da weiss die Rechte auch nicht, was die Linke tut.

Quelle: «Dolomiten». Tagblatt der Südtiroler, 2. Juni 2023
(Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags)

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