Ein nuklearer «Grüner Pass»: Im Mai wird die Bombe für Italien lieferbar

Manlio Dinucci (Bild zvg)

von Manlio Dinucci,* Italien

(25. April 2022) Im Mai 2022, beginnt in den USA die Grossproduktion der neuen Atombombe B61-12: Die Ankündigung erfolgt durch die National Nuclear Security Administration (NNSA), ein Teilbereich des US-Energieministeriums (U.S. Department of Energy). Wenn sie eine nach der anderen aus der Fabrik kommen, werden die neuen Atombomben an die US-Luftwaffe übergeben, die sie anstelle der B61 auf ihren Stützpunkten in Italien und anderen europäischen Ländern installieren wird.

Die B61-12 ist eine neue Mehrzweck-Atomwaffe, die drei der Varianten der aktuellen B61 (3, 4 und 7) ersetzt. Sie verfügt über einen Atomsprengkopf mit vier Energieoptionen, die je nach dem zu zerstörenden Ziel gewählt werden. Sie wird nicht wie die B61 senkrecht abgeworfen, sondern in einiger Entfernung vor dem Ziel, auf das sie von einem Satellitensystem gelenkt wird. Sie kann in den Grund eindringen und in der Tiefe explodieren, um die Bunker der Kommandozentralen zu zerstören, um das feindliche Land während eines nuklearen Erstschlags (first strike) zu «enthaupten». Für diesen Angriff besitzt die US Air Force auch die vierte Variante der B61, die durchdringende B61-11, die 2001 modernisiert wurde.

Die B61-12, bestätigt die NNSA, kann entweder vom B-2A Stealth-Bomber und vom zukünftigen B-21 oder von Jägern mit doppelter konventioneller und nuklearer Fähigkeit gestartet werden. Unter ihnen sind die US-amerikanischen F-16C/D mit Sitz in Aviano und die italienischen Tornado PA-200 mit Sitz in Ghedi. Noch besser geeignet für einen nuklearen Angriff ist der F-35A Jäger, der bereits auch in der italienischen Luftwaffe einsatzbereit ist.

Die NNSA berichtet, dass «alle notwendigen Produktionen von B61-12» im Geschäftsjahr 2026 abgeschlossen sein werden. Das Programm sieht den Bau von 500 Bomben vor, die etwa 10 Milliarden Dollar kosten (von denen jede doppelt so viel kostet, als sie kosten würde, wenn sie vollständig aus Gold gebaut würde). Ihre tatsächliche Anzahl bleibt jedoch geheim, wie auch ihr geografischer Einsatz weitgehend geheim bleibt. Dies ist der entscheidende Faktor für die Offensivfähigkeit der B61-12-Atombomben.

Wenn sie alle auf dem US-Territorium stationiert wären und bereit wären, mit strategischen Bombern transportiert zu werden, würde dies keine wesentliche Änderung der derzeitigen strategischen Vereinbarungen darstellen. Die B61-12 hingegen werden in andere Länder nahe an Russland verlegt, bereit, von den F-35 und anderen Jägern transportiert und gestartet zu werden.

Die Stützpunkte Aviano und Ghedi wurden umstrukturiert, um die F-35-Jäger aufzunehmen, die mit den neuen Atombomben bewaffnet sind. In Ghedi können 30 italienische F-35A-Jäger eingesetzt werden, die unter US-Kommando mit 60 B61-12-Atombomben angriffsbereit sind. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie auch in anderen Stützpunkten auf italienischem Territorium eingesetzt werden.

Es ist ebenso nicht ausgeschlossen, dass sie nicht nur in Deutschland, Belgien und den Niederlanden, sondern auch in Polen, dessen Luftstreitkräfte seit Jahren an den Atomkriegsmanövern der Nato beteiligt sind, und in anderen osteuropäischen Ländern eingesetzt werden. Nato-Jäger, die in den baltischen Republiken an der Grenze Russlands stationiert sind, können auch mit B61-12 bewaffnet werden.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die neuen Atombomben auch in Asien und im Nahen Osten gegen China und den Iran eingesetzt werden können. Obwohl sie als «nicht-strategische Atomwaffen» eingestuft werden, verfügen die B61-12, die sich in der Nähe der Ziele befinden, über offensive Fähigkeiten, die denen strategischer Waffen ähneln (wie die Atomsprengköpfe von Interkontinentalraketen). Sie sind damit destabilisierende Waffen, die eine Kettenreaktion auslösen werden, indem sie das nukleare Wettrüsten beschleunigen.

Die fünf ständigen Atommächte des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen – die Vereinigten Staaten, Russland, China, Frankreich und das Vereinigte Königreich – bekräftigen in einer gemeinsamen Erklärung (vom 3. Januar 2022), dass «ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf» und: «Wir bleiben entschlossen […] in gutem Glauben Verhandlungen über wirksame Massnahmen zur frühzeitigen Einstellung des nuklearen Wettrüstens und zur nuklearen Abrüstung zu führen».

Die USA sollten sich dann eher verpflichteten, die neuen B61-12-Atombomben nicht ausserhalb ihres Staatsgebiets zu stationieren und noch besser sie gar nicht zu produzieren.

* Manlio Dinucci ist Italiener und Geograph, Geopolitologe, Journalist und Bücherautor. Seine letzten Bücher sind: Laboratorio di geografia, Zanichelli 2014; Diario di viaggio (drei Bände), Zanichelli 2017; L’arte della guerra / Annali della strategia Usa/Nato 1990–2016, Zambon 2016; Guerra nucleare. Il giorno prima. Da Hiroshima a oggi: chi e come ci porta alla catastrofe, Zambon 2017; Diario di guerra. Escalation verso la catastrofe (2016–2018), Asterios Editores 2018.

Quelle: https://www.voltairenet.org/article215303.html, 12 Januar 2022

(Übersetzung Horst Frohlich)

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