XV. BRICS-Gipfel

Energie – der Lebensnerv der Menschheit

Guy Mettan (Bild zvg)

von Guy Mettan,* Genf

(19. September 2023) Über den letzten BRICS-Gipfel in Johannesburg hat man alles und das Gegenteil gehört. Chinas Sieg und Chinas Niederlage, Russlands Isolation und Russlands Erfolg, erfolgreiche Erweiterung, aber vereitelte finanzielle Ambitionen, ein Klub von Ungleichen, eine Oppositionsfront gegen die westliche Hegemonie usw. Einige hofften auf einen revolutionären Bruch mit der etablierten Ordnung und andere auf den Anfang vom Ende des Dollars, während viele im Norden einen Misserfolg herbeisehnten.

Nichts von alledem ist eingetreten. Im Gegenteil, der Verlauf des Treffens besticht durch seine Mässigung, sein Gespür für das globale Gleichgewicht und seine strategische Vision. Dies sind alles Erfolgsgaranten für die Zukunft. Der wirtschaftliche Umschwung der Welt, den wir in den letzten zehn Jahren in diesen Spalten oft thematisiert haben, ist nun in seine politische Phase eingetreten, allerdings ohne Pauken und Trompeten. Und das ist auch gut so.

Die erste Feststellung: Die lange Abschlusserklärung1 achtet sehr darauf, zu bekräftigen, dass die BRICS-Bewegung sich nicht gegen den Westen richtet, sondern sich in die bestehende internationale Ordnung einfügen will, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen definiert ist. Es gibt keine Tabula rasa, sondern einen klaren Willen, die berühmt berüchtigte «Global Governance» zugunsten des globalen Südens neu auszurichten. Das Gleiche gilt für die Wirtschaft: Der Freihandel und der Liberalismus werden nicht in Frage gestellt, nicht einmal der Dollar. Es wird lediglich angestrebt, den Handel mit lokalen Währungen im bilateralen Handel zu steigern. Das ist bescheiden, aber realistisch und wahrscheinlich langfristig viel effektiver als grosse Ankündigungen, denen nie Taten folgen.

Am deutlichsten ist der Fortschritt jedoch auf der strategischen Ebene. Die Auswahl der sechs Länder, die in dieser ersten Erweiterungsphase berücksichtigt wurden, zeigt ein ausgeprägtes Bewusstsein für das internationale Gleichgewicht und die für die Zukunft der Welt entscheidendste Herausforderung, nämlich die Energiefrage. Durch die Aufnahme von Iran, Saudi-Arabien und den Emiraten wird nicht nur die Zusammenarbeit zwischen diesen drei ehemals verfeindeten Ländern gefestigt, sondern auch die Homogenität des eurasischen Kontinents gestärkt, indem die Tür für westliche Einmischungen geschlossen wird. Dies eröffnet grosse Chancen für die wirtschaftliche Integration. Und das bei gleichzeitiger Anbindung Afrikas und Lateinamerikas an das Projekt durch die Aufnahme von Äthiopien, Ägypten und Argentinien.

Dabei wird vor allem der Zugang zu den Energiequellen gefestigt. Die BRICS+6 haben nicht nur ein etwas höheres BIP in Kaufkraftparität als die G7, sondern auch 46% der Weltbevölkerung (gegenüber 10%), 43% der weltweiten Ölexporte und vor allem 46% der Öl- und Gasreserven (3,9% bei den G7). Der Energieverbrauch wird in den kommenden Jahrzehnten trotz Klimaschutzmassnahmen und erneuerbarer Energien weiter steigen, denn Energie in all ihren Formen ist der Lebensnerv der Menschheit. Keine Entwicklung und keine Zivilisation ohne Energie. Indem der BRICS-Club die grössten Öl-, Gas- und Kohleproduzenten zusammenbringt (ohne den zukünftigen Beitrag der Kandidaten Algerien, Venezuela, Nigeria, Angola und Indonesien zu berücksichtigen), gelingt es ihm, diese direkt mit zwei der grössten Verbraucher, nämlich China und Indien, in Kontakt zu bringen, wodurch Europa endgültig an den Rand gedrängt wird.

Saudi-Arabien, das gerade einen in Renminbi zahlbaren Vertrag mit China über den Bau eines Atomkraftwerks unterzeichnet hat, hat sich nicht geirrt.

* Guy Mettan (1956) ist Politologe, freischaffender Journalist und Buchautor. Seine journalistische Karriere begann er 1980 bei der «Tribune de Genève» und war von 1992 bis 1998 deren Direktor und Chefredaktor. Von 1997 bis 2020 war er Direktor des «Club Suisse de la Presse» in Genf. Guy Mettan ist seit 20 Jahren Mitglied des Genfer Kantonsparlaments.

1 https://brics2023.gov.za/wp-content/uploads/2023/08/Jhb-II-Declaration-24-August-2023-1.pdf

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