Energie – der Lebensnerv der Menschheit (Teil 2)

Guy Mettan (Bild zvg)

von Guy Mettan,* Genf

(26. September 2023) In meinem letzten Artikel hatte ich aufgezeigt, wie die erweiterten BRICS-Staaten mit den gigantischen Märkten in China und Indien die grösste integrierte Koalition aus Produzenten von Primärenergie – hauptsächlich fossilen Ursprungs – und Endverbrauchern bilden. Na und? werden Sie sagen. Was kümmert uns dieser Blick in die Vergangenheit, da wir im Westen auf die Energien der Zukunft setzen, auf Elektrizität, erneuerbare Wind- und Solarenergie und Wasserstoff. Sobald wir den Übergang hinter uns gebracht haben, liegt eine glänzende, umweltfreundliche, ressourcenschonende und klimaneutrale Energiezukunft vor uns.

Es stimmt, dass etliche Szenarien der Internationalen Energieagentur (IEA) dazu tendieren, diese These zu bestätigen. Ebenso zeigen einige statistische Ergebnisse eine stetige Verbesserung der Energieeffizienz (bei gleichem BSP sinkt die Menge der verbrauchten Energie) und einen Boom bei der Produktion erneuerbarer Energien, insbesondere in Europa.

Diese Zahlen sind jedoch irreführend. Szenarien sagen nur das, was man sie aussagen lassen will, da die Wahl der Ausgangsdaten die Ergebnisse mitbestimmt. Und diese sind bei genauerer Betrachtung widersprüchlich.

Zunächst einmal sind sich alle darin einig, dass der Gesamtenergieverbrauch bis 2050 weiter steigen wird, und zwar auf mindestens 700 QBtu (Quadrillion britische Thermaleinheiten) im Vergleich zu 600 heute. Die sich entwickelnden Volkswirtschaften und die stromhungrigen digitalen Industrien müssen versorgt werden.

Vier Fünftel der Energieerzeugung stammen aus Kohle, Öl, Gas und Kernkraft. Selbst wenn der Anteil der erneuerbaren Energien an der Primärenergie steigt, ist es illusorisch zu glauben, dass sie andere Quellen ersetzen können. Der Anteil der erneuerbaren Energien wird höchstens den Anstieg des Gesamtenergieverbrauchs ausgleichen können, aber nicht die Nutzung von Öl, Gas und Kohle beenden, solange es sie noch gibt. In der Geschichte der Menschheit gab es übrigens noch nie den Fall, dass eine Energiequelle eine andere ersetzt hätte. Sie ergänzen sich gegenseitig. Selbst Holz bleibt in einigen Ländern eine wichtige Energiequelle.

Betrachtet man darüber hinaus die Stromerzeugung, die heute aufgrund von Elektroautos und dem Klimanarrativ sehr in Mode ist, stellt man fest, dass im Jahr 2022 85% des weltweiten Stroms aus nicht erneuerbaren Ressourcen stammten: Kohle 35%, Gas 23%, Kernkraft 10% und Wasserkraft 15%, während Wind, Sonne oder Biomasse zusammen nur knapp 15% ausmachten. Der Umstieg auf die vollelektrische Energieversorgung wird das Problem der Stromerzeugungsquellen nicht so schnell lösen, egal wie viel in erneuerbare Energien investiert wird. Einige Szenarien gehen sogar davon aus, dass der Anteil fossiler Energiequellen an der Stromerzeugung im Jahr 2050 nicht geringer sein wird.

Aus diesem Grund distanzieren sich die Länder des globalen Südens immer mehr von den Klimazielen und der ausschliesslichen Nutzung erneuerbarer Energien. Sie sehen diese zunehmend als technologische Massnahmen und Mogelpackungen zur Einschränkung und Kontrolle ihrer wirtschaftlichen Entwicklung unter dem Vorwand des Kampfes gegen die Erderwärmung. Es besteht also eine sehr, sehr geringe Chance, dass die Klimaziele erreicht werden und dass der Übergang zu ausschliesslich grünen Energiequellen auf dem gesamten Planeten gleichmässig verlaufen könnte.

Der Kampf um die Energie wird keineswegs nachlassen, sondern sich weiter verschärfen.

*  Guy Mettan (1956) ist Politologe, freischaffender Journalist und Buchautor. Seine journalistische Karriere begann er 1980 bei der «Tribune de Genève» und war von 1992 bis 1998 deren Direktor und Chefredaktor. Von 1997 bis 2020 war er Direktor des «Club Suisse de la Presse» in Genf. Guy Mettan ist seit 20 Jahren Mitglied des Genfer Kantonsparlaments.

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

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