Frankreichs koloniales Erbe und die US-Sicherheitsbedenken überschneiden sich in Niger

M. K. Bhadrakumar (Bild zvg)

von M. K. Bhadrakumar,* Indien

(22. August 2023) Der Militärputsch in Niger ist bereits drei Wochen her. Die Putschisten festigen ihre Herrschaft. Sie haben – im Schattenspiel mit der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS), unterstützt von den ehemaligen Kolonialmächten, die diesen hoffnungslos armen, an Mineralien reichen Staat in Westafrika verwüsten – die Oberhand gewonnen.

Die Aussichten, dass Nigers pro-westlicher Präsident Mohamed Bazoum wieder eingesetzt wird, sind gering. Er ist ein ethnischer Araber mit einer kleinen Machtbasis in einem überwiegend afrikanischen Land und gehört dem Migrantenstamm der Ouled Slimane an, der in der Vergangenheit als Frankreichs fünfte Kolonne in der Sahelzone galt.

Die ECOWAS hat die Initiative verloren, nachdem die Putschisten die am 6. August gesetzte Frist zur Freilassung von Bazoum und seiner Wiedereinsetzung unter Androhung militärischer Massnahmen nicht eingehalten haben.

Der Putsch in Niger war auch für Frankreich ein demütigender Rückschlag und ein schreckliches Drama für Präsident Emmanuel Macron persönlich, da er für Frankreichs neokoloniale Politik seinen besten Unterstützer in Afrika verloren hat. Macron stachelte die ECOWAS an, in Niger einzumarschieren, um Bazoum zu retten. Er hat die Stimmung hinter dem Putsch falsch eingeschätzt und darauf gesetzt, dass sich das nigrische Militär aufspalten würde. Seine Überreaktion wurde zum Bumerang, als die Putschisten über Nacht die Militärpakte mit Frankreich aufkündigten. Die latente Feindseligkeit gegenüber Frankreich nahm zu und zwang Macron, die Führung an Washington abzutreten.

Anhänger der M62-Bewegung in Niger bei einer Demonstration, um den Abzug
der ausländischen Streitkräfte zu fordern. (Bild zvg)

Nicht nur Frankreich, sondern die westlichen Mächte im Allgemeinen verstehen nicht, dass die afrikanische Bevölkerung dank der gewalttätigen und erbittert geführten nationalen Befreiungsbewegungen hochgradig politisiert ist. Wenig überraschend passte sich Afrika schnell an den sich ihm im multipolaren Rahmen eröffnenden Raum an, um mit den ehemaligen Kolonialherren zu verhandeln.

Am vergangenen Montag weigerte sich General Abdourahmane Tchiani, das nominelle Oberhaupt des Putsches, die amtierende stellvertretende US-Aussenministerin Victoria Nuland zu treffen. Nuland und andere US-Beamte baten darum, Bazoum persönlich zu treffen, aber auch diese Bitte wurde abgelehnt. Stattdessen musste Nuland mit dem Kommandeur der nigrischen Spezialeinheiten und einem der Anführer des Staatsstreichs, Brigadegeneral Moussa Salaou Barmou, verhandeln, der als Verteidigungschef dient.

Interessanterweise besuchte Barmou die US National Defence University und wurde in Fort Benning in Georgia ausgebildet. Offensichtlich hoffte die Junta auf eine Zusammenarbeit mit Washington. «The Intercept» hat inzwischen aufgedeckt,1 dass Barmou nicht der einzige nigrinische General ist, der von den USA ausgebildet wurde und in den Putsch verwickelt ist.

Im Bericht stand, dass «zwei Wochen nach dem Putsch in Niger das Aussenministerium noch immer keine Liste der mit den USA in Verbindung stehenden Meuterer vorgelegt hat, aber ein anderer US-Beamter bestätigte, dass es fünf Personen gibt, die wir als solche identifiziert haben, die eine [US-Militär]-Ausbildung erhalten haben». Es ist denkbar, dass Washington sich nicht in die Karten schauen lässt, um die Russen im Ungewissen zu belassen.

Die USA sehen sich in Niger mit einer unübersichtlichen Situation konfrontiert. Ihre Prioritäten sind zweifach: erstens, jede russische Initiative zu blockieren, die darauf abzielt, dass Wagner-Kämpfer das französische Kontingent in Niger ersetzen, und zweitens, ihre drei Stützpunkte in Niger auf jeden Fall zu erhalten.

Wenn die Regierung Biden die militärische Übernahme in Niger nicht offiziell als Staatsstreich bezeichnet hat, dann deshalb, weil eine solche Bezeichnung keine weitere Sicherheitshilfe für Niger zulässt. Die USA unterhalten dort eine 1100 Mann starke Militärpräsenz in zwei Militärbasen und zusätzlich eine Drohnenbasis, bekannt als Airbase 201, in der Nähe von Agadez in Zentral-Niger, die für mehr als 100 Millionen Dollar gebaut wurde und seit 2018 für Operationen in der Sahelzone genutzt wird.

In einem Reuters-Bericht hiess es: «Einer der US-Beamten sagte, wenn Wagner-Kämpfer in Niger auftauchen, würde das nicht automatisch bedeuten, dass die US-Streitkräfte abziehen müssten.» Der Beamte sagte, dass ein Szenario, bei dem sich einige Dutzend Wagner-Kämpfer in Nigers Hauptstadt Niamey niederlassen, die militärische Präsenz der USA wahrscheinlich nicht beeinträchtigen würde, aber «wenn sich Tausende von Wagner-Kämpfern über das ganze Land verteilen, auch in der Nähe von Agadez, könnten Probleme aufgrund von Sicherheitsbedenken für das US-Personal entstehen. […]. Unabhängig davon werden die USA eine hohe Messlatte für jede Entscheidung anlegen, das Land zu verlassen.»

In diesem bizarren Schattenspiel zwischen Washington und Moskau werden die USA möglicherweise nicht auf eine militärische Intervention der ECOWAS in Niger drängen, damit ihre militärische Präsenz in diesem Land nicht unhaltbar wird. Natürlich waren die Putschisten in Niamey auch klug genug, bisher keine Forderung nach einem Abzug der amerikanischen Truppen aus Niger zu stellen.

Vor diesem düsteren Hintergrund ist die Ankündigung des US-Aussenministeriums vom Mittwoch, dass die neue amerikanische Botschafterin in Niger,2 Kathleen FitzGibbon – bisher die Nummer zwei in der Botschaft in Nigeria – im Laufe dieser Woche in Niamey eintreffen wird, keine Überraschung. Es ist ein Signal der Zuversicht Washingtons in Bezug auf das weitere Engagement in dieser Situation. Der stellvertretende Sprecher des Aussenministeriums, Vedant Patel, erklärte gegenüber Reportern, es sei nicht geplant, dass die neue Botschafterin den Putschisten ihr Beglaubigungsschreiben vorlege.

Unterdessen hat der Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union, das für die Durchsetzung der Beschlüsse des Blocks zuständige Organ, am Montag in Addis Abeba getagt und einen Vorschlag der ECOWAS für eine militärische Intervention in Niger abgelehnt. Mehrere Mitgliedsländer aus dem südlichen und nördlichen Afrika sprachen sich «vehement gegen ein militärisches Eingreifen» aus.

Zusammengenommen haben diese Entwicklungen die ECOWAS in die Defensive gedrängt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Putschisten inzwischen angekündigt haben, Bazoum wegen «Hochverrats» und Untergrabung der Staatssicherheit vor Gericht stellen zu wollen. Interessanterweise behauptet das Militärregime, «die notwendigen Beweise gesammelt zu haben, um den gestürzten Präsidenten und seine in- und ausländischen Komplizen vor den zuständigen nationalen und internationalen Behörden anzuklagen».

Bazoum wird angeklagt, nachdem er sich nach dem Putsch mit hochrangigen westafrikanischen Politikern und «ihren internationalen Mentoren» ausgetauscht hat. Die Putschisten beschuldigen diese, falsche Behauptungen aufgestellt und versucht zu haben, einen friedlichen Übergang zu verhindern, um eine Militärintervention zu rechtfertigen.

Diese Entwicklungen und die wachsende Opposition in Nigeria,3 das derzeit den Vorsitz der ECOWAS innehat, haben den amtierenden Präsidenten Bola Tinubu gezwungen, seine Haltung zu einer Militärintervention zu ändern. Eine einflussreiche nigerianische Delegation, die sich aus hochrangigen islamischen Geistlichen zusammensetzte, reiste nach Niger, um Gespräche mit der Junta aufzunehmen. Diese hat sich umgehend zu einem Dialog mit der ECOWAS über das weitere Vorgehen im Land bereit erklärt. Die ECOWAS verliert mehr und mehr die Initiative, was den Putschisten zugute kommt.

Während schlechte Regierungsführung, grassierende Korruption, eskalierende Armut und Unsicherheit die Bedingungen für die Putsche in der Sahelzone geschaffen haben, ist auch die Geopolitik des Zugangs zu den Ressourcen und deren Kontrolle ein zentraler Faktor. Ausländische Mächte konkurrieren um die Erschliessung und Kontrolle der reichhaltigen Bodenschätze westafrikanischer Länder.

Die zunehmenden Spannungen in Niger und in der gesamten Subregion werden zweifellos durch die geopolitische und wirtschaftliche Rivalität zwischen dem Osten und dem Westen verschärft. Das Schreckgespenst, das Westafrika heimsucht, ist, dass der Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA leicht nach Afrika übergreifen kann, wo russische Söldner und westliche Spezialeinheiten bereits für neue Einsätze stationiert sind.

Quelle: https://www.indianpunchline.com/frances-colonial-legacy-us-security-concerns-intersect-in-niger-russians-at-the-gates-look-for-new-hunting-grounds/, 17. August 2023

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://theintercept.com/2023/08/16/niger-coup-junta-us-military/

2 https://english.alarabiya.net/News/world/2023/08/16/New-US-ambassador-heads-to-Niger-despite-coup

3 https://www.channelstv.com/2023/08/16/northern-elders-forum-urges-tinubu-to-remove-sanctions-on-niger-republic/

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