In Kasan hat sich die Weltordnung gewendet

von Thierry Meyssan,* France

(8. November 2024) Der BRICS-Gipfel in Kasan hat das Ende der Vorherrschaft der G7 über die Welt eingeläutet. Die angelsächsischen Regeln, die bisher die internationalen Beziehungen organisierten, werden nach und nach durch die von jedem Land eingegangenen Verpflichtungen ersetzt, die nunmehr eingehalten werden müssen. Diese Revolution führt uns zurück zu den Versuchen Russlands und Frankreichs im Jahr 1899, ein Völkerrecht zu begründen, welches durch die Atlantikkonferenz und das Zweiergespann USA/Vereinigtes Königreich untergraben wurde.

Thierry Meyssan.
(Bild réseau voltaire)

Die neun Staats- und Regierungschefs der BRICS+ Mitgliedsstaaten

Vom 22. bis 24. Oktober 2024 hat in Kasan (Russland) der XVI. Gipfel der erweiterten BRICS-Staaten stattgefunden.1 Neben den neun Staats- und Regierungschefs, die dieser Organisation bereits angehören, haben elf weitere teilgenommen, und etwa zwanzig weitere Staaten haben ihre Beitrittsanträge eingereicht.Dieses Ereignis ist der Höhepunkt der Strategie, die 2009 vom brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, dem russischen Regierungspräsidenten Wladimir Putin, dem indischen Premierminister Manmohan Singh und dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao begonnen wurde. Diese vier Männer hatten eine Vorstellung von internationalen Beziehungen auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen, die es jedem Land ermöglichen, sich zu entwickeln. Für sie ging es nicht darum, sich gegen den westlichen Imperialismus der G8 zu wehren (der Russland bis zum westlichen Staatsstreich auf dem Maidan angehörte), sondern einen anderen Weg zu beschreiten, ohne die Angelsachsen.

Wladimir Putin hat bei der Schaffung dieses Gremiums der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eine zentrale Rolle gespielt, so wie Zar Nikolaus II. 1899 bei der Erfindung des Völkerrechts eine solche gespielt hatte.2 Es war Putin, der den ersten Gipfel in Jekaterinburg organisiert hat, obwohl es Präsident Dmitri Medwedew war, der Russland dort vertrat.

In einem Interview anlässlich des Kasan-Gipfels bekräftigte Wladimir Putin unter Berufung auf die Worte des indischen Premierministers Narendra Modi, dass «die BRICS-Staaten keine antiwestliche, sondern eine nicht-westliche Organisation sind».

Die neun Staats- und Regierungschefs der BRICS+ Mitgliedsstaaten. (KEYSTONE/SPUTNIK/Sergey Bobylev)

In ihrer Abschlusserklärung befassen sich die Staats- und Regierungschefs mit vier unterschiedlichen Themen:3

  • Multilateralismus;
  • Zusammenarbeit für Stabilität und Sicherheit;
  • Wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit;
  • Zwischenmenschlicher Austausch.

Multilateralismus

Nachdem sie bemerkt haben, dass unabhängig von den westlichen Machtzentren neue Zentren entstehen, bekräftigen sie ihr Bekenntnis zur Charta der Vereinten Nationen, an deren Ausarbeitung alle beteiligt waren, mit Ausnahme der Vereinigten Arabischen Emirate, die ja noch nicht unabhängig waren. Dann plädieren sie für eine Reform der UNO und ihrer Agenturen, damit sich ihre Institutionen an die aktuelle Welt anpassen und neue Mächte integrieren. Sie nennen zwar kein Datum für eine Reform des UN-Sicherheitsrats und des Internationalen Währungsfonds (IWF), setzen aber eine Frist bis 2025 für die Reform der Welthandelsorganisation (WTO) und des Direktoriums der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD).

Sie bewerten die ausserhalb des Sicherheitsrats getroffenen «Sanktionen», ob nun politischer oder wirtschaftlicher Natur, als «illegale einseitige Zwangsmassnahmen».

Sie unterstützen die Arbeit des Weltklimarats (IPCC), kommentieren aber nicht die Schlussfolgerungen, die der Westen daraus zieht. Sie erklären sich zutiefst besorgt über seine Versuche, die Sicherheit mit der Agenda des Klimawandels zu verknüpfen. Später im Text (§ 83) verurteilen sie die Nutzung des Klimavorwands, um einseitige, strafende und diskriminierende protektionistische Massnahmen durchzusetzen. Darüber hinaus unterstützen sie die Zusammenarbeit im Kampf gegen die Treibhausgase gemäss Artikel 6 des Pariser Abkommens (§ 85). Man erinnere sich jedoch, dass die Russische Akademie der Wissenschaften die westliche, anthropogenetische [durch Menschen verursachte] Auslegung des Klimawandels zurückweist.

Sie verpflichten sich zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte, einschliesslich des Rechts auf Entwicklung, und der Grundfreiheiten im Rahmen der Grundsätze der Gleichheit und der gegenseitigen Achtung. Sie verpflichten sich ebenfalls, den Kampf gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und die damit verbundene Intoleranz, sowie die Diskriminierung aufgrund der Religion, des Glaubens oder der Weltanschauung, und alle ihre zeitgenössischen Formen in der ganzen Welt zu intensivieren, einschliesslich der alarmierenden Tendenzen zunehmender Hassreden.

Zusammenarbeit für Stabilität und Sicherheit

Sie einigen sich auf einen gemeinsamen Standpunkt angesichts der aktuellen Konflikte, verweisen aber auf die Resolution 2686 (2023) des Sicherheitsrats (in der Intoleranz und Hassreden verurteilt werden) und die Resolution 46/182 (1991) der Generalversammlung der Vereinten Nationen (über humanitäre Nothilfe). Sie erinnern auch an die Notwendigkeit, die legitimen und vernünftigen Sicherheitsbedenken aller Länder zu respektieren.

Es folgte eine lange Liste von Stellungnahmen:

Gaza (§ 30)

Sie unterstreichen die dringende Notwendigkeit einer sofortigen, umfassenden und dauerhaften Waffenruhe im Gazastreifen, der sofortigen und bedingungslosen Freilassung aller Geiseln und Gefangenen beider Seiten, die illegal in Gefangenschaft gehalten werden, der Bereitstellung umfangreicher, nachhaltiger humanitärer Hilfe und der Beendigung aller Aggressionen. Sie unterstützten jedoch die Zwei-Staaten-Lösung (ursprünglich Lord Peels Kolonialplan), die ihnen als die einzig mögliche friedliche Lösung erscheint.

Libanon (§ 31-32)

Sie verurteilen den «vorsätzlichen terroristischen Akt» der Detonation von Pagern und Walkie-Talkies am 17. September 2024. Sie verurteilen auch die Angriffe auf UN-Mitarbeiter und die Bedrohung ihrer Sicherheit und fordern den jüdischen Staat auf, diese Aktivitäten im Libanon unverzüglich einzustellen. Sie sprechen sich für die strikte Einhaltung der Resolution 1701 (2006) aus, weil klarsteht, dass diese in gleicher Weise für Israel gilt, das sich daher hinter die «blaue Linie» (Demarkationslinie) zurückziehen muss.

Jemen (§ 33)

Sie sind für die Freiheit der Schifffahrt, aber anstatt Ansar Allah zu verurteilen, wie es der Westen tut, wollen sie die Ursachen des Konflikts bekämpfen und den Dialog und den Friedensprozess unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen unterstützen.

Syrien (§ 34)

Sie bestehen darauf, dass die Souveränität und territoriale Integrität Syriens strikt respektiert wird. Sie verurteilen die illegale ausländische Militärpräsen0z, die das Risiko eines umfassenden Konflikts in der Region erhöht. Sie betonen, dass die illegalen «einseitigen Sanktionen» das Leid der syrischen Bevölkerung ernsthaft verschlimmern. Sie sprechen sich auch (§ 43) gegen die israelische Besatzung des syrischen Golan aus.

Iran (§ 35 und 37)

Sie verurteilen den Angriff auf die diplomatischen Einrichtungen der Islamischen Republik Iran in Damaskus. Sie erinnern daran, dass das JCPOA-Abkommen [Atomvereinbarung mit Iran] vom Sicherheitsrat bestätigt wurde und die Vereinigten Staaten sich nicht mehr so daraus zurückziehen können, wie sie es getan haben.

Ukraine (§ 36)

Sie betonen, dass alle Staaten in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen in ihrer Gesamtheit handeln sollen (was der russischen Interpretation des Konflikts Recht gibt). Sie beurteilen mit Befriedigung die einschlägigen Vorschläge Chinas, Südafrikas und Indiens für Vermittlung und Gute Dienste, die auf eine friedliche Beilegung des Konflikts durch Dialog und Diplomatie abzielen.

Sudan (§ 40)

Sie verurteilen den Angriff der Truppen von Präsident Abdel Fattah al-Burhan auf die Residenz des Missionsleiters der Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate am 29. September 2024; ein Angriff, der mit dem Angriff Israels auf die iranischen diplomatischen Einrichtungen in Syrien vergleichbar ist. Sie rufen zu einem unverzüglichen, dauerhaften und bedingungslosen Waffenstillstand auf.

Afghanistan (§ 42)

Sie verteidigen das Prinzip eines unabhängigen, vereinten und friedlichen Staates, ohne Terrorismus, Krieg und Drogen. Sie unterstreichen die Notwendigkeit, dem afghanischen Volk dringend und ununterbrochen humanitäre Hilfe zu leisten und die Menschenrechte aller Afghanen, einschliesslich Frauen, Mädchen und verschiedener ethnischer Gruppen, zu schützen, wozu auch die Aufhebung wirksamer Verbote der Sekundar- und Hochschulbildung gehört.

Abrüstung (§§ 43–46)

Sie sind für eine Beschleunigung der Umsetzung der Resolutionen über die Schaffung einer von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen freien Zone im Nahen Osten (d.h. für die Denuklearisierung Israels) in Übereinstimmung mit dem iranischen Vorschlag.

Sie plädieren auch dafür, ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern, trotz des Widerstands der Vereinigten Staaten.

Terrorismus (§§ 47–49)

Sie lehnen jeglichen Versuch ab, die Fragen des Kampfes gegen den Terrorismus und den Einsatz terroristischer Gruppen zur Erreichung politischer Ziele zu politisieren und betonen, dass nur die BRICS-Staaten eine effektive Organisation in diesem Bereich sind – eine direkte Anspielung auf die verdeckten Operationen der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs. Sie plädieren für die baldige Verabschiedung des Allgemeinen Übereinkommens über den internationalen Terrorismus im Rahmen der Vereinten Nationen.

Grenzüberschreitende Kriminalität (§ 50-53)

Unter Russlands Initiative gehen die BRICS-Staaten die Probleme der Drogen, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der Korruption an, indem sie eine koordinierte Reaktion der Strafverfolgungsbehörden verstärken.

Wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit

Die BRICS-Staaten untersuchen zunächst die Notwendigkeit einer Clearingstelle für den Austausch von Bargeld untereinander (ohne das von den Nato-Stay-behind-Netzwerken geschaffene SWIFT-System nutzen zu müssen) und eines Rückversicherungssystems zur Sicherung des Warentransports (ohne angelsächsische oder indirekt von ihnen kontrollierte Unternehmen nutzen zu müssen).

Sie betrachten den Handel nicht unter dem Gesichtspunkt des Freihandels oder der Zölle, sondern unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit, Widerstandsfähigkeit, Stabilität und Effizienz der Lieferketten. Sie führen seit einem Jahr ein Programm zur Harmonisierung und Koordinierung ihres Einsatzes von Computern in Wirtschaft und Handel durch: das «Partnership on New Industrial Revolution Innovation» (PartNIR).

Was den Kampf gegen Krankheiten anbelangt, begrüssen die BRICS-Staaten zwar die Arbeit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), entwickeln aber ein eigenes Alarm- und Hilfssystem.

Was das geistige Eigentum anbelangt, beabsichtigen die BRICS, von dem sie wissen, dass Urheberrechte und andere Patente heute die Haupteinnahmequelle der Angelsachsen sind (und nicht ihre reale oder finanzielle Produktion), dieses System wieder auf die Beine zu stellen, indem sie den Fälschungen den Kampf erklären und auf unlautere Erhöhung ihrer Profite verzichten. Sie beabsichtigen, die Zusammenarbeit bei Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsprogrammen in den Bereichen Biomedizin, erneuerbare Energien, Weltraum und Astronomie sowie Meeres- und Polarwissenschaften zu verstärken.

Die BRICS-Staaten wollen sich für den menschlichen Austausch auf zwei UN-Organisationen, UNICEF und die Allianz der Zivilisationen – stützen. (Bild zvg)

Zwischenmenschlicher Austausch

Die BRICS-Staaten beabsichtigen vor allem, gegen die angelsächsische Ideologie des «Clash of civilisations» zu kämpfen,4 indem sie sich auf zwei UN-Organisationen, UNICEF und die Allianz der Zivilisationen, stützen. Sie wollen den menschlichen Austausch unter sich in den Bereichen Medien, Kultur, Bildung, Sport, Kunst, Jugend, Zivilgesellschaft, öffentliche Diplomatie und akademischer Austausch intensivieren.

Die BRICS-Staaten wehren sich hier nämlich gegen einen Rückschritt: Das Konzept des Krieges der Kulturen, dass ein wesentlicher Bestandteil der Rede von Präsident George Bush Jr. gewesen war, schien endgültig in Vergessenheit geraten zu sein. Mit der Kandidatur von Kamala Harris, die von den Neokonservativen unterstützt wird, kommt es wieder in Mode. Es handelt sich einfach nur um eine angeblich gelehrte Form des alten gewalttätigen Narrativs der Jahre 1930–1945: Um zu überleben, haben die Westmächte keine andere Wahl, als die anderen zu eliminieren.

Bemerkungen zu diesem Gipfel

Dieser Gipfel fand statt, als die Welt aus erster Hand Zeuge der ethnischen Säuberungen Israels wurde, zuerst in Gaza und dann im Südlibanon. Gleichzeitig wendet sich die russische militärische Spezialoperation zur Umsetzung der Resolution 2202 des Sicherheitsrats (der Minsker Vereinbarungen) in der Ukraine zum Vorteil Moskaus. Die ukrainische Armee wird den Winter nicht überstehen, und die «einseitigen Zwangsmassnahmen» des Westens sind allesamt gescheitert. Aus der Sicht des «Kriegs der Kulturen», bedrohen die Araber in Gaza und die Russen in der Ukraine den Westen und müssen deshalb – leider – eliminiert werden.

Daher erscheint die Teilnahme an der BRICS-Gruppe als eine Auflehnung gegen die angelsächsische Weltordnung. Man kann daher nur enttäuscht sein über den Rückzug des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, der es nicht wagte, nach Kasan zu kommen und sich von seinem Aussenminister Mauro Vieira vertreten liess. Brasilien ist immerhin Gründungsmitglied der BRICS. Es stimmt jedoch, dass Brasilien beteiligt ist, da es den Vorsitz der Neuen Entwicklungsbank innehat. Ihren Vorsitz führt die ehemalige Präsidentin Dilma Youssef, die in einer ferngesteuerten Operation der USA und Israels gestürzt worden war.

Dasselbe gilt für die kurzfristige Weigerung des saudi-arabischen Prinzen Mohammed bin Salman, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen und nach Kasan zu reisen, obwohl sein bevorzugter Verbündeter, die Vereinigten Arabischen Emirate, nun Mitglied der BRICS-Staaten sind und ihr Präsident, Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyan, anwesend war.

Russland hatte Kasan, die Hauptstadt Tatarstans, als Gastgeber des Gipfels ausgewählt, weil diese dynamische Stadt sowohl die Integration der Muslime in die Russische Föderation als auch die Fähigkeit Moskaus, seine Macht zu delegieren, veranschaulicht.

An der wirtschaftlichen Front hat der Gipfel bei der Entdollarisierung des internationalen Handels Fortschritte erzielt. Die BRICS-Staaten bewegen sich auf einen digitalen Währungsstandard zu. Diskutiert wurden Ideen für eine gemeinsame Steuerbehörde, ein Tribunal zur Schlichtung von Wirtschaftsstreitigkeiten zwischen den Mitgliedsländern oder auch die Idee einer Getreidebörse. Auch die Möglichkeit, eine unabhängige grenzüberschreitende Abwicklungs- und Einlageninfrastruktur, «BRICS Clear», aufzubauen.

Schliesslich machen die BRICS-Staaten Fortschritte bei der Entwicklung eines Zahlkartensystems mit der Bezeichnung «BRICS Pay», das auf dem Kasan-Gipfel vorgestellt wurde. Seine Funktionsweise scheint relativ klassisch zu sein: Die «BRICS Pay»-Karte soll Zahlungen in der Landeswährung über einen QR-Code abwickeln, indem man eine elektronische Brieftasche belastet, die über eine gleichnamige App mit einer Visa-, MasterCard- oder Mir-Bankkarte gefüttert wird. Das Problem besteht darin, die vollständige Souveränität zu bewahren und gleichzeitig an einer kollektiven Währung teilzunehmen.

Der Gipfel zeigte vor allem auf politischer Ebene, in Anwesenheit des UN-Generalsekretärs António Guterres, dass die BRICS-Staaten die wechselnden westlichen Regeln, die von der G7 nach Gutdünken festgelegt werden, ablehnen und stattdessen die Einhaltung des gegebenen Wortes, das heisst des Völkerrechts, vorziehen. Die Länder des «globalen Südens» (im Gegensatz zum «kollektiven Westen») haben ein scharfes Bewusstsein für die Verpflichtungen und Verträge, die von den Angelsachsen unterzeichnet und in der Folge schamlos gebrochen wurden.

Der Westen ist nämlich der Ansicht, dass sich ein gewählter Staats- oder Regierungschef im Namen der Demokratie unter Umständen nicht durch die Unterschriften seiner Vorgänger verpflichtet fühlt, während andere Staaten, egal ob sie in ihren Augen illiberal oder diktatorisch sind, dazu verpflichtet sind. So hat Donald Trump zum Beispiel das JCPOA (Atomabkommen mit dem Iran) aufgekündigt, das sein Vorgänger Barack Obama ausführlich ausgehandelt hatte. Oder Joe Biden sah sich nicht an zwei von seinem Freund Barack Obama unterzeichnete Dokumente gebunden, weder an das Istanbul-Dokument (1999),5 noch an die Resolution 2202 (2015) zu den Minsker Vereinbarungen. Er behauptet daher, Russland sei in die Ukraine einmarschiert und verstosse gegen die UN-Charta, während viele spätere Texte zeigen, dass Russland das einzige Land ist, das alle Prinzipien buchstabengetreu befolgt hat.

Der IWF hat gerade seine Berechnungen revidiert und Russlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Kaufkraftparität auf den vierten Platz hinter China, die Vereinigten Staaten und Indien gesetzt. Das russische BIP stieg daher plötzlich um 23% und verliess den 48. Platz, auf dem es lange verweilte. Abgesehen von den wirtschaftlichen Realitäten (die BRICS-Staaten repräsentieren 37% des weltweiten BIP und 45% der Menschheit, während die G7 nur 29% des BIP und 10% der Weltbevölkerung ausmachen) öffnete dieser Gipfel jedoch vielen sehbehinderten Menschen die Augen. Die Welt ist umgekippt. Sie wird nicht mehr von Washington und London dominiert.

* Thierry Meyssan ist Politischer Berater und Gründungspräsident des Voltaire Netzwerk. Er ist Herausgeber des wöchentlichen Informationsdienstes «Voltaire. Internationale Nachrichten», ISSN 2966-5752.
Sein aktuelles Buch in Französisch heisst «Sous nos yeux – Du 11-Septembre à Donald Trump» und liegt auch auf Englisch vor.

Quelle: https://www.voltairenet.org/article221441.html#nb1, 29. Oktober 2024

(Übersetzung Horst Frohlich, Korrekturlesen Werner Leuthäusser)

1 Offizielle Website des Kasaner Gipfels: https://brics-russia2024.ru/en/

2 «Welche internationale Ordnung?», https://www.voltairenet.org/article219967.html, von Thierry Meyssan, Voltaire Netzwerk, 7. November 2023.

3 XVI BRICS Summit: «Kazan Declaration», https://www.voltairenet.org/article221433.html, Voltaire Network, 24. Oktober 2024.

4 «‹Der ‹Kampf der Kulturen›», https://www.voltairenet.org/article189266.html, von Thierry Meyssan, Übersetzung Sabine, Voltaire Netzwerk, 4. Juni 2004.

5 «Istanbul-Dokument», https://www.osce.org/files/f/documents/1/5/39571.pdf, OSZE, 1999.

Zurück