Ukraine-Konflikt

Indien sollte jetzt aus dem «Quad» aussteigen!

M. K. Bhadrakumar (Bild zvg)

von M. K. Bhadrakumar,* Indien

(6. April 2022) Sich zwischen den Supermächten USA, Russland und China zu verschanzen, war noch nie hilfreich. Indien hätte wissen müssen, dass die Widersprüche unüberbrückbar sind.

Nun ist der Moment der Wahrheit gekommen, in dem die USA das Schwert zücken, um Russland auszubluten und zu zerstückeln, und von China ultimativ fordern, sich herauszuhalten.

Der Ernst der Lage wird nun endlich deutlich. Das ist die Botschaft der Kabinettssitzung des Sicherheitsausschusses (CCS)1 die Premierminister Narendra Modi am Sonntag einberufen hat, um «Indiens Sicherheitsvorkehrungen und das vorherrschende globale Szenario im Kontext des anhaltenden Konflikts in der Ukraine zu überprüfen», und sich «über die neuesten Entwicklungen und verschiedene Aspekte der indischen Sicherheitsvorkehrungen in den Grenzgebieten sowie im See- und Luftbereich» informieren zu lassen.

Premierminister Modi leitet eine Sitzung des Kabinettsausschusses
für Sicherheit, Neu-Delhi, 13. März 2022. (Bild zvg)

Das heutige Treffen [14. März] des Nationalen Sicherheitsberaters der USA, Jake Sullivan, mit Chinas Spitzendiplomaten und Politbüromitglied Yang Jiechi in Rom verspricht, ein entscheidender Moment in der Weltpolitik zu werden.

Gestern hatte Sullivan China in einem Interview mit CNN ausdrücklich gedroht. Er sagte: «Wir teilen Peking direkt und unter vier Augen mit, dass die Umgehung von Sanktionen im grossen Stil oder die Unterstützung Russlands zur Umgehung der Sanktionen auf jeden Fall Konsequenzen haben wird. Wir werden nicht zulassen, dass dies geschieht und dass Russland von diesen Wirtschaftssanktionen in irgendeinem Land, irgendwo auf der Welt, profitiert.»

Die Warnung an China lautet, es solle sich an die US-Sanktionen gegen Russland halten und es unterlassen, Russland in irgendeiner Form («Rettungsanker») zu dienen.

Die Drohungen der USA gegenüber China gelten auch für Indien

Der Clou an Sullivans Erklärung ist, dass sie auch für Indien gilt. Die Auswirkungen sind sehr, sehr schwerwiegend. Vereinfacht ausgedrückt, lautet die Forderung Washingtons auch, dass Indien seine Beziehungen zu Russland aufgeben soll.

Das bedeutet in erster Linie, dass Indien die Verteidigungsbeziehungen einfrieren sollte. In Anbetracht der Tatsache, dass etwa 60–70% der Waffen für unsere Streitkräfte aus Russland stammen, wäre dies ein schwerer Schlag für Indiens Verteidigungsbereitschaft.

Für die indische Führung wird dies im Wesentlichen eine Feuertaufe sein. Es liegt auf der Hand, dass die Amerikaner der Regierung bereits ihren Forderungskatalog übermittelt haben und der Premierminister daraufhin in aller Eile das CCS einberufen hat.

Letzte Woche führte der russische Energieminister ein Gespräch mit seinem indischen Amtskollegen, bei dem er nicht nur Öl zu Vorzugspreisen anbot, sondern auch indische Unternehmen einlud, zu Vorzugsbedingungen in russische Öl- und Gasfelder zu investieren.

In einer Zeit, in der der Ölpreis die Marke von 130 Dollar pro Barrel überschritten hat und sich der Spotmarktpreis für Gas auf 4000 Dollar pro 1000 Kubikmeter zubewegt, kam das russische Angebot wie ein Geschenk Gottes.

Doch die Tatsache, dass die Regierung es herunterspielte, zeugt von einem Zustand der Paranoia – symptomatisch für dieselbe Kleinmütigkeit, die die UPA-Mentalität [United Progressive Alliance 2004–2024 unter Manmohan Singh] kennzeichnete und die zum Abbruch der Beziehungen zum Iran führte.

Die Amerikaner haben die Erfahrung gemacht, dass unsere Eliten grösstenteils Strohmänner sind. Angesichts des Ausmasses der Korruption gibt es in unserem Land alle möglichen Interessengruppen. Ausserdem sind die Mittelsmänner innerhalb unserer Elite an der amerikanischen Agenda beteiligt. Das ist eine tragische Tatsache des Lebens.

Der Unterschied besteht jedoch darin, dass die sich abzeichnende amerikanische Bedrohung entscheidende Auswirkungen auf die indischen Verteidigungskapazitäten und die nationale Sicherheit haben würde. Für eine Regierung, die das nationalistische Credo verkündet, sollte die Entscheidung klar sein.

Es geht um die Unabhängigkeit des Landes

Die Modi-Regierung sollte sich weigern, den amerikanischen Vorgaben in Bezug auf Russland nachzukommen. Punkt. Höchstwahrscheinlich bluffen die Amerikaner. Oder, wenn ein Preis zu zahlen ist, sollte die Führung die Nation ins Vertrauen ziehen und ihr erklären, dass es langfristig unerlässlich ist, die Kerninteressen des Landes um jeden Preis zu wahren. Die Inder sind ein patriotisches Volk.

Meines Erachtens ist die amerikanische Hegemonie in der heutigen Welt unhaltbar. Die USA tyrannisieren diejenigen, die sich tyrannisieren lassen, und erpressen die herrschenden Eliten, die erpressbar sind, individuell oder kollektiv. Hoffentlich gehört unsere Führungselite nicht zu dieser bedauernswerten Kategorie.

Der Freiheitskampf war viel mühsamer. In der heutigen Situation geht es auch um die Unabhängigkeit des Landes. Die Nation wird sich unter einem inspirierenden Führer versammeln.

Dass es heute so schlimm ist, liegt vor allem an der fehlerhaften Aussenpolitik der letzten zwei Jahrzehnte, als die amerikanischen Lobbyisten zu erklären begannen, dass Indiens Interessen am besten durch ein Bündnis mit den USA gedient sei.

«Blockfreiheit» und «strategische Autonomie» wurden zu archaischen Konzepten. So «überschritt» Indien um das Jahr 2000 herum «den Rubikon» – um den Titel eines berüchtigten Buches aus jener Zeit aufzugreifen –, um mit unseren «natürlichen Verbündeten» zu sein. Was hat das dem Land heute, nach 21 Jahren, gebracht?

Die selbsternannten aussenpolitischen Gurus in den Medien und die strategische Immunität haben sich mit ihrer Einschätzung der internationalen Politik als schrecklich falsch erwiesen. Was wir jenseits des Rubikon sahen und erlebten, war eine ausgebleichte Landschaft aus ausgedörrter Erde und Raubvögeln, so ganz anders als das Eldorado, das uns von den Schwindlern («Carpetbaggern») versprochen wurde.

Distanzierung von der egozentrischen US-Politik

Die indische Aussenpolitik braucht eine strategische Kurskorrektur. Indien sollte sich vollständig von der egozentrischen US-Politik distanzieren, deren Ziel die Aufrechterhaltung ihrer globalen Hegemonie ist. Der erste Schritt in diese Richtung sollte der Ausstieg aus dem Quad sein [sicherheits- und militärpolitischer Zusammenschluss der vier Länder USA, Australien, Indien, Japan].

Täuschen wir uns nicht: Ein Showdown zwischen den USA und China kann schneller in Gange kommen, als erwartet – und für Indien wäre es fatal, darin verwickelt zu werden. Der Besuch des japanischen Premierministers Fumio Kishida in Indien an diesem Wochenende sorgt für Beunruhigung.

Aufgrund unserer Hautfarbe, unserer Religion, unserer Kultur, unserer Geografie und unserer politischen Ökonomie werden wir vom Westen niemals als «gleicher unter gleichen» akzeptiert werden. Lassen Sie sich nicht von den Versprechungen gleichberechtigter Partnerschaften täuschen. Sehen Sie sich die Erfolgsbilanz der USA an – egoistisch, zynisch und rücksichtslos in der Verfolgung ihrer Interessen.

Die Geschichte endete nicht mit dem Ende des Kalten Krieges. Im Grunde ist das, was die westlichen Mächte planen, eine Form des Neokolonialismus, der aus der verzweifelten Notwendigkeit erwächst, den Niedergang ihrer Volkswirtschaften durch einen massiven Transfer von Reichtum aus dem Rest der Welt, der von 88 Prozent der Menschheit bewohnt wird – insbesondere Asien – aufzuhalten. Zu diesem Zweck hat der Westen die «Globalisierung» kurzerhand begraben und dem Multilateralismus den Rücken gekehrt.

Was sich hier abspielt, unterscheidet sich im Grunde genommen nicht von der Kolonialzeit des 19. Jahrhunderts. Deshalb sollte Indien mit gleichgesinnten Ländern zusammenarbeiten, die an der Erhaltung ihrer Souveränität, ihrer hart erkämpften Unabhängigkeit und vor allem an ihrer geschätzten Freiheit interessiert sind, ihren Entwicklungsweg ohne Einmischung in innere Angelegenheiten oder Versuche eines «Regimewechsels» zu wählen.

Schaffung eines friedlichen aussenpolitischen Umfelds

Ein friedliches aussenpolitisches Umfeld ist eine zwingende Notwendigkeit, und die Aussenpolitik sollte diesem Ziel Vorrang einräumen. Das bedeutet eine Neuausrichtung der indischen Politik gegenüber China und Pakistan. Wir stecken in einem Trott fest, der vor Jahrzehnten vor allem zu Propagandazwecken entwickelt wurde, und sind nicht in der Lage, unsere selbstsüchtigen Narrative aufzugeben.

Glücklicherweise gibt es in letzter Zeit erste Anzeichen eines Umdenkens. Lassen Sie nicht zu, dass Washington die entscheidenden Beziehungen Indiens zu China oder Pakistan aus dem Gleichgewicht bringt.

Eine Nation hat keine Zukunft, wenn sie nicht in der Lage ist, sich selbst zu überprüfen. Es wurden Fehler gemacht, aber es wäre falscher Stolz und Hybris, sie nicht wieder gut zu machen. Die Inder sind ein verzeihendes Volk. Und was die derzeitige Regierung betrifft, so hat sie nur die falschen Narrative geerbt.

* M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, Iran und Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst «Indian Punchline».

Quelle: https://www.indianpunchline.com/india-should-quit-quad-now/, 14. März 2022

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://pib.gov.in/PressReleseDetail.aspx?PRID=1805516

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