Nach dem Irak, Libyen, Gaza, Libanon und Syrien greift das Pentagon den Jemen an
von Thierry Meyssan,* Frankreich
(17. Januar 2025) (CH-S) Immer wieder überrascht Thierry Meyssan mit seinen historisch gut fundierten geopolitischen Analysen. Der folgende Beitrag umreisst den Inhalt seines Vortrags, «Neue Allianzen stellen die Weltordnung auf den Kopf», den er im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des «Schweizer Standpunkt» am 5. Januar 2025 gehalten hat.
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Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, den das Pentagon gestartet hat, noch bevor Präsident Donald Trump sein Amt antritt. Nachdem es den Irak, Libyen, Gaza, den Libanon und Syrien zerstört hat, wirft es seine Soldaten gegen den Jemen. Halten Sie den Schein nicht für die Realität: Offiziell antwortet Israel auf die Bombenangriffe von Ansar Allah und die USA auf dessen Angriffe auf westliche Schiffe.
In Wirklichkeit ist die Zerstörung des Jemen nur eine weitere Etappe der Zerstörung der politischen Institutionen im erweiterten Mittleren Osten. Glauben Sie nicht, was Ihnen über die Unvermeidbarkeit des Kampfes der Kulturen erzählt wird, all dies ist nur eine Inszenierung, um Sie dazu zu bringen, das Inakzeptable zu akzeptieren.
Seit dem 7. Oktober 2023 sind wir Zeugen eines Massakers an den Palästinensern, einer Invasion des Libanon und Syriens. Seit zwei Wochen verlagert sich der Krieg in den Jemen.
Wie immer unterteilen die internationalen Medien die Nachrichten und erklären uns jedes Ereignis anhand bestimmter lokaler Faktoren, die manchmal zutreffend und manchmal falsch sind. Während wir mit diesem Durcheinander zurechtkommen müssen, erkennen wir nicht, dass all diese Ereignisse Teile eines grösseren Plans sind und dass es nicht möglich ist, an einer Front zu siegen, wenn man nicht weiss, bis wohin sie sich erstreckt.
Admiral Arthur Cebrowski
Was wir nun erleben, ist die dritte Stufe des Plans, der von Donald Rumsfeld und Admiral Arthur Cebrowski im Jahr 2000 ausgearbeitet wurde.1 In der US-amerikanischen Tradition, die General Smedley Butler 1933 in seiner berühmten Rede «War Is a Racket» [Krieg ist ein Schwindel] zusammenfasste,2 hat sich das Pentagon zur Aufgabe gemacht, alle politischen Institutionen/Strukturen des «Erweiterten Mittleren Ostens» zu zerstören (d.h. eines Gebiets, das sich von Algerien über Somalia bis nach Kasachstan erstreckt, mit Ausnahme von Israel und möglicherweise Marokko).
General Smedley Butler
Smedley Butler erklärte: «Ich war 33 Jahre und 4 Monate im aktiven Dienst und verbrachte dabei die meiste Zeit als harter Brocken für die Wirtschaftswelt, die Wall Street und die Banker. Kurz gesagt, ich war ein Gauner, ein Gangster in den Diensten des Kapitalismus. 1914 half ich, Mexiko, insbesondere die Stadt Tampico, zugunsten der amerikanischen Ölgesellschaften abzusichern. Ich half dabei, Haiti und Kuba zu einem geeigneten Ort für die Männer der National City Bank zu machen, damit sie grosse Gewinne machen konnten. Ich habe an der Vergewaltigung eines halben Dutzends zentralamerikanischer Republiken zugunsten der Wall Street mitgewirkt.
Von 1902 bis 1912 half ich, Nicaragua zugunsten der amerikanischen Bank Brown Brothers zu säubern. 1916 brachte ich Licht in die Dominikanische Republik zugunsten der amerikanischen Zuckerkonzerne. 1903 lieferte ich Honduras den amerikanischen Obstfirmen aus. In China sorgte ich 1927 dafür, dass Standard Oil dort in Frieden Geschäfte machen konnte.»
In neuerer Zeit zerstören die US-Streitkräfte – deren Aufgabe nicht darin besteht, die territoriale Integrität ihres Landes zu verteidigen, sondern den Kapitalismus in seiner dunkelsten Version zu verteidigen (die Verteidigung des US-Heimatlandes liegt in der alleinigen Verantwortung der Nationalgarde) – seit 2003 den Irak, seit 2011 Libyen und Syrien, seit 2014 den Jemen zerstört und beabsichtigen bald auch den Iran zu vernichten.
Dr. Henry Kissinger
Dr. Henry Kissinger soll gesagt haben: «It may be dangerous to be America’s enemy, but to be America’s friend is fatal.» (Es mag gefährlich sein, Amerikas Feind zu sein, aber Amerikas Freund zu sein, ist tödlich.)3
Muammar Gaddafi sagte 2008 auf dem Gipfel der Arabischen Liga: Es ist nicht nur so, dass die Vereinigten Staaten ihre Verbündeten nicht respektieren, sondern diese sind in der Regel ihre ersten Opfer. Er nahm das Beispiel des irakischen Präsidenten Saddam Hussein, eines ehemaligen CIA-Agenten, der nach der Niederlage seines Landes gehängt wurde, und warnte seine Kollegen.4 Später schloss er trotzdem ein Bündnis mit Präsident George Bush Jr. und baute sein Atomwaffenarsenal ab. Ihm wurde dafür herzlich gedankt, bevor sein Land zerstört und er grausam gelyncht wurde.5
Im Jahr 20026 entging Saudi-Arabien nur knapp der Zerstörung. Aber das ist nur ein Aufschub. In diesem düsteren Spiel fällt unweigerlich ein Dominostein nach dem anderen. Ausnahmslos.
Nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), einer Autorität auf dem Gebiet des Waffenhandels, haben die USA Israel während des Massakers an den Bewohnern des Gazastreifens Waffen im Wert von 22 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt. Zu diesen Waffen gehören unter anderem 70 000 Tonnen Bomben, also so viel wie im Zweiten Weltkrieg zur Zerstörung der drei Städte Dresden, Hamburg und Tokio eingesetzt wurde.
Benyamin Netanyahou
Wir beharren darauf, Benjamin Netanjahu für die ethnischen Säuberungen in Gaza verantwortlich zu machen. Sicherlich war es er, der die Verantwortung dafür übernahm, in Übereinstimmung mit den Erklärungen seines Lehrers Wladimir Zeev Jabotinsky, aber er war nur ein kleiner Vollstrecker der Washingtoner Politik.7
In ähnlicher Weise können wir Netanjahu beschuldigen, den Plan von Oded Yinon8 im Libanon und den Plan «A Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm» (Ein sauberer Bruch: Eine neue Strategie zur Sicherung des Reichs Israel) in Syrien umgesetzt zu haben.9 All das ist wichtig, aber es sind nur Bruchstücke.
Keir Starmer
Wir machen weiterhin die Briten für die Ausbreitung des Sektierertums im Nahen Osten verantwortlich. Ja, sie waren es, die zusammen mit Lawrence von Arabien den Grossen Arabischen Aufstand von 1916–1918 organisierten, der die Sauds und die Sekte der Wahhabiten in Saudi-Arabien an die Macht brachte.
Sicherlich waren sie es, die zusammen mit Lord Herbert Samuel den Grossen Arabischen Aufstand von 1936–1939 im Mandatsgebiet Palästina organisierten. Natürlich waren sie es, die zusammen mit Sir James Craig den Arabischen Frühling der Jahre 2011–2012 organisierten, der die Muslimbruderschaft in Ägypten an die Macht brachte. Und sie sind es wieder, die heute in Damaskus hinter Ahmad al-Sharah stehen. Aber obwohl sie die US-Kriege systematisch unterstützen und sie immer ausnutzen, um davon zu profitieren, sind sie nicht diejenigen, die das Sagen haben.
Heute sehen wir, dass sich der Krieg in den Jemen verlagert. Dieses Land ist bereits tief gezeichnet von den vorbereitenden Operationen, die dort seit 2014 stattfinden: fast 400 000 direkte oder indirekte Tote. Offiziell heisst es, dass Israel auf Bombardierungen von Ansar Allah reagiert, offiziell heisst es, die USA und das Vereinigte Königreich antworten auf Angriffe gegen Handelsschiffe im Roten Meer. Aber Ansar Allah unterstützt nur die von der IDF massakrierten Zivilisten im Gazastreifen – was wir eigentlich alle tun sollten. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der am 30. Dezember in New York tagte, konnte nichts anderes tun, als festzustellen:
«Nur durch ein vereintes und koordiniertes Vorgehen können wir hoffen, Frieden und Sicherheit für alle Völker des Jemen und der Region zu erreichen.» Seit 23 Jahren wütet ein einziger Krieg im erweiterten Mittleren Osten.
Das Pentagon schreitet im Gewaltmarsch voran, wohl wissend, dass Donald Trump am 20. Januar wieder als Präsident der USA vereidigt wird. Dabei war er es, der am 21. Mai 2017 in Riad den «endlosen Krieg» stoppte, indem er von einigen arabischen Regimen forderte, die Unterstützung von mit dem Pentagon verbundenen Terrororganisationen einzustellen.10 Dieser endlose Krieg musste bis nach den manipulierten Wahlen von 2020 unterbrochen werden.
* Thierry Meyssan ist Politischer Berater und Gründungspräsident des Voltaire Netzwerk. Er ist Herausgeber des wöchentlichen Informationsdienstes «Voltaire. Internationale Nachrichten», ISSN 2966-5752. Sein aktuelles Buch in Französisch heisst «Sous nos yeux – Du 11-Septembre à Donald Trump» und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. |
Quelle: https://www.voltairenet.org/article221659.html, 7. Januar 2025,
(Übersetzung Horst Frohlich/Werner Leuthäusser und «Schweizer Standpunkt»)
1 «Die Rumsfeld/Cebrowski Doktrin», Thierry Meyssan, Voltaire Netzwerk, 25. Mai 2021.
2 War is a racket, Major-General Smedley Butler, Sacred Truth Publishing.
3 «A Fatal Friendship?», Wall Street Journal, 17. Dezember 2010.
4 Der Autor war während des gesamten Gipfels 2008 im Ratssaal anwesend.
5 Der Autor war Mitglied der letzten Regierung der Libysch-Arabischen Dschamahirija.
6 «Taking Saudi out of Arabia», Powerpoint de Laurent Murawiec (Défense Policy Board, 10. Juli 2002).
7 «Der Schleier zerreisst: Die verborgenen Wahrheiten von Jabotinsky und Netanjahu», Thierry Meyssan, Voltaire Netzwerk, 23. Januar 2024.
8 «A Strategy for Israel in the Nineteen Eighties (The «Yinon Plan»)», Oded Yinon, Translation Israel Shahak, Kivunim (Israel), Voltaire Network, 1 February 1982. «Vom ‹Yinon Plan› zur ‹Yaalon Strategie›», Alfredo Jalife-Rahme, La Jornada (Mexiko), Voltaire Netzwerk, 20. November 2014.
9 Der Plan «A Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm», Institute for Advanced Strategic and Political Studies, Juli 1996, wurde seinen Unterzeichnern, hauptsächlich Richard Perle und Douglas Feith, zugeschrieben. Laut Letzterem wurde der Text jedoch von David Wurmser verfasst, ohne dass die Unterzeichner die Möglichkeit hatten, ihn zu ändern. Siehe «Credit for Israel Report Clarified», Douglas Feith, Washington Post, 16. September 2004.
10 «Donald Trump’s Speech to the Arab Islamic American Summit», Donald Trump, Voltaire Network, 21 May 2017. «Donald Trump gegen den Djihadismus», Thierry Meyssan, Al-Watan (Syrien), Voltaire Netzwerk, 23. Mai 2017.