«Russland schert sich nicht um Trumps Ultimaten»

Interview mit Piotr O. Tolstoi,* geführt von Guy Mettan,** Genf

Nein, er hat weder Hörner noch einen gespaltenen Schwanz noch ein Messer zwischen den Zähnen. Er isst auch keine ukrainischen Kleinkinder zum Frühstück. Der Vizepräsident der russischen Duma, Piotr Tolstoi, scheint ein ganz normaler Mann zu sein. Obwohl nicht ganz. Bei näherer Betrachtung verfügt der Ururenkel von Leo Tolstoi über einen Sinn für Ironie und eine Offenheit, die deutlich über dem Durchschnitt der Normalbevölkerung liegen.

Guy Mettan
(Bild zvg)

Er war mit der hochrangigen parlamentarischen Delegation unter der Leitung der Präsidentin des russischen Föderationsrates, Valentina Matvienko, zu Besuch in Genf, um am Weltgipfel der Parlamentspräsidenten teilzunehmen. Nach einer achtstündigen Reise mit zahlreichen Umwegen. Da russische Staatsflugzeuge in der Europäischen Union mit einem Flugverbot belegt sind, musste die Route über die Türkei, Tunesien und Algerien umgeleitet werden, bevor dank einer kleinen Geste der Franzosen über Korsika und die Provence schliesslich Genf angeflogen werden konnte.

Wir treffen uns also auf der Terrasse de la Treille, am Fusse der Tour Baudet, dem Sitz der Genfer Regierung, unweit der Statue von Charles Pictet de Rochemont, dem Diplomaten, der dank seiner guten Beziehungen zu Zar Alexander I. die Angliederung Genfs an die Eidgenossenschaft ausgehandelt und zur Anerkennung der Neutralität der Schweiz im Wiener Vertrag von 1815 beigetragen hatte. Genf hat übrigens keine Geheimnisse mehr für Piotr Tolstoi, der die Stadt gut kennt, da er 1992/93 zwei Jahre dort gelebt hat und seine Hochzeit in der russischen Kathedrale von Erzbischof Antony, der in der orthodoxen Kirche sehr verehrt wird, gesegnet wurde. Auf dem Speiseplan standen regionale Gerichte, Foie gras und Felchen aus dem Genfer See, begleitet von lokalem Sauvignon Blanc, und eine lebhafte Diskussion über die beunruhigende Lage der Welt.

Guy Mettan: Da wir in Genf sind, beginnen wir mit der Schweiz. Seit 2014 und vor allem seit 2022 schüren die Schweizer Militärführung und Geheimdienste unablässig die Angst vor Russland. Daher meine erste Frage: Müssen wir Angst vor Ihnen haben?

Piotr Tolstoi: Ich kann Sie beruhigen, Russland hat keinerlei Absicht, in die Schweiz einzumarschieren. Früher schickten die Schweizer ihre Kinder nach Russland. Sie arbeiteten dort unter anderem in Hotels. Auf Russisch nennen wir Hotelportiers «schwitsars», «Schweizer». Wir hatten also immer gute Beziehungen zur Schweiz, und das wäre auch heute noch so, wenn es nicht die Unruhen durch den Ukraine-Konflikt und den Medienkrieg gegen uns gegeben hätte.

Allerdings ist es ziemlich mühsam, diese Frage zu beantworten, weil die öffentliche Meinung stark geprägt ist und die antirussischen Klischees schwer zu entwurzeln sind. Aber wenn ich in Genf bin, kommt es vor, dass mich Leute auf der Strasse erkennen und mir dafür danken, dass ich die Wahrheit sage. Die Beziehungen zwischen den Menschen sind für mich wichtiger als die Meinungen der Politiker.

Dennoch gilt die Schweiz in Russland als unfreundliches Land. Was sollte sie tun, um wieder ein freundliches Land zu werden?

Es steht mir nicht zu, zu sagen, was die Schweiz tun sollte. Das muss das Schweizer Volk entscheiden. Ich kann nur sagen, dass die Situation so ist, weil die Schweiz die einseitigen und illegalen Sanktionen der Europäischen Union umgesetzt hat. Es gab eine Zeit, in der die Schweiz glaubte, sie könne gute Dienste leisten und vermitteln und gleichzeitig diese Sanktionen umsetzen. Das ist jedoch unmöglich. Diese beiden Verhaltensweisen stehen im Widerspruch zueinander. Die Wiederherstellung guter Beziehungen wird Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte dauern.

Gibt es nicht etwas, was die Schweiz tun könnte, um ihre Neutralität und Glaubwürdigkeit als Vermittler wiederherzustellen?

Die Schweiz ist kein Mitglied der Europäischen Union. Sie könnte ein erstes Zeichen des guten Willens setzen, indem sie die Sanktionen gegen Russland aufhebt. Dann könnte man schneller zwischen Moskau und Genf reisen ...

Aber das wird schwierig, da Europa und die Schweiz sich auf die Seite der Ukraine gestellt haben. Das ist ihre Entscheidung. Aber meiner Meinung nach war das ein Fehler. Ein Mangel an Analyse und Verständnis für das, was in den letzten dreissig Jahren in Russland und um Russland herum mit der Nato-Erweiterung und den Veränderungen innerhalb der EU geschehen ist. Heute hat Europa Partei ergriffen für das, was von der Ukraine übrig bleiben wird. Wir müssen also warten, bis die Politiker von heute in der Mülltonne der Geschichte verschwunden sind und eine neue Generation in Europa an die Macht kommt, damit diese die Kontakte zu Russland wiederherstellt.

Das Problem der Europäer ist, dass sie weiterhin glauben, sie stünden im Mittelpunkt der Welt. Wenn man sich jedoch die Weltkarte ansieht, stellt man fest, dass Europa nur ein kleiner Ausläufer am Ende des eurasischen Kontinents ist und dass das grösste Land Europas Russland ist, das dreimal so gross ist wie die Europäische Union. Man sollte also die Landkarte noch einmal genau betrachten und nachdenken, bevor man nach Aggressor, Sanktionen, Boykott, Abbruch aller Beziehungen und Flugverbote schreit. Meiner Meinung nach wurden diese Entscheidungen improvisiert getroffen, und jetzt kann niemand mehr zurück. Die Europäer haben sich selbst in die Falle gelockt.

Und das scheint sich mit den USA fortzusetzen. Die Europäische Union hat sich gerade Trump gebeugt und seine 15% Einfuhrzölle akzeptiert.

Sie hat keine Wahl. Der Satz ist hoch, und er muss bezahlt werden. Tatsächlich könnte Europa eine Weltmacht mit voller Souveränität sein, wenn es mit Russland verbündet wäre, das über die natürlichen Ressourcen verfügt. Aber Europa hat einen anderen Weg eingeschlagen und ist zu einem Satelliten der Vereinigten Staaten geworden. Trump hat keinen Grund, seine Haltung gegenüber Ursula zu ändern. Er weiss sehr gut, wer der Boss ist und wer das Sagen hat.

Sie sehen also keine grosse Zukunft für die EU in ihrer heutigen Form?

Die EU erinnert mich heute an die Sowjetunion vor dem Zusammenbruch 1991. Die Mitgliedsländer denken zuerst an sich selbst und vertreten ihre Interessen. Schauen Sie sich Ungarn, die Slowakei, Spanien, Italien oder sogar Deutschland an. Die Brüsseler Bürokratie hat immer mehr Schwierigkeiten, diese Interessen zu koordinieren, vor allem wenn es zu einer schweren politischen oder wirtschaftlichen Krise kommen sollte. Sie ist nicht sehr stabil.

Auch der Zustand der europäischen Medien erinnert an die Sowjetunion. Die russischen Journalisten grüssen euch! Pressefreiheit gibt es in Europa nicht mehr. Russische Journalisten können in europäischen Ländern fast nicht mehr arbeiten. Sie sind überall verboten, während westliche Journalisten in Moskau sehr gut arbeiten können, wie ihr jeden Tag sehen und hören könnt.1

Es ist paradox, aber man hat zunehmend den Eindruck, dass die europäische Einheit nur dank Russland zusammenhält: Es ist die ständig geschürte Angst vor Russland, die nun den Zusammenhalt Europas zu sichern scheint. Wenn man von morgens bis abends wiederholt, dass die Russen ukrainische Kinder essen und Polen überfallen und mit ihren Panzern über Europa herfallen werden, glaubt man es irgendwann. Das ist das Ergebnis der Propaganda und der Russophobie der westlichen Medien.

Kommen wir zur Ukraine. Russland hat seine Bedingungen für eine Rückkehr zum Frieden gestellt: Abtretung von Gebieten, Neutralisierung, Entmilitarisierung und Entnazifizierung. Trump hat zu Beginn seiner Amtszeit so getan, als würde er mit Russland verhandeln, und jetzt stellt er ihm Ultimaten. Das nächste soll bald ablaufen. Was denkt man darüber in Moskau?

Wenn Trump alle zehn Tage neue Entscheidungen treffen würde, käme die Weltdiplomatie ein gutes Stück voran! Aber um Ihre Frage zu beantworten: Es ist uns egal! Wir scheren uns nicht um Trumps Ultimaten. Seien wir mal ehrlich: Was verkauft Russland den USA? Uran. Wenn sie 500% Steuern auf unser Uran erheben, müssen die USA entweder zahlen oder auf Uran verzichten. Die Länder, die russisches Öl und Gas kaufen, werden mit einer Steuer von 200% bedroht. Aber wie werden die USA mit China verfahren, mit dem sie gerade ein Zollabkommen abschliessen? Werden sie es aufkündigen? Und wenn sie andere Länder angreifen, riskieren sie eine Wirtschaftskrise nicht nur in Europa, sondern weltweit, auch in den USA selbst, denn es ist unmöglich, von heute auf morgen auf russisches Öl zu verzichten.

All das ist also nur Theater, leere Worte, Gestik, denn in der Praxis wird es nicht möglich sein, russisches Öl und Gas zu boykottieren.

Sie sind also zuversichtlich?

Man muss verstehen, dass Russland niemals Ultimaten nachgeben wird, egal ob sie von Trump, Ursula von der Leyen oder anderen kommen. Selbst wenn man 500% Steuern auf den Kauf unseres Öls erheben würde. Das entspricht seit Jahrhunderten nicht unseren Gepflogenheiten. Wir haben noch nie Ultimaten akzeptiert. Und Putin ist niemand, dem man Ultimaten stellt. Das weiss ich. Wir werden uns der Situation stellen, aber das wird uns keinesfalls dazu bewegen, unsere Politik oder unsere Position zur Ukraine zu ändern.

Es gibt in der Tat ein grosses Vertrauensproblem in den internationalen Beziehungen. Das haben wir gesehen bei den Zusicherungen, die 1991 Gorbatschow gegeben wurden, bei der illegalen Bombardierung Jugoslawiens und Libyens 1999 und 2011, bei den Minsker Vereinbarungen von 2015 oder sogar bei den Gesprächen in Istanbul im April 2022. Vereinbarungen und gegebenes Wort wurden gebrochen.

Das ist das Problem der sich verändernden Welt. Das Völkerrecht funktioniert nicht mehr. Das haben wir in Gaza, im Iran, in Libyen, im Irak und fast überall gesehen. Die vom Westen proklamierte Welt, die auf Regeln basiert, ist nicht unsere Welt. Wir wollen nach unseren Regeln leben und nicht nach denen, die uns von anderen aufgezwungen werden, sei es von der EU oder von den Vereinigten Staaten. Es ist klar, dass Russland solche Regeln niemals akzeptieren wird. Und das umso mehr, als wir die Mittel haben, sie abzulehnen, denn wir haben die Atombombe, die notwendigen Ressourcen und gute Beziehungen zur ganzen Welt mit Ausnahme des Westens. Wie einer meiner Kollegen bereits erwähnt hat, war Russland von der Oktoberrevolution bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs einer Blockade ausgesetzt. Wir sind daran gewöhnt.

Heute ist es eher die russische Armee, die der ukrainischen Bevölkerung zu Hilfe kommt. Europa hat noch nicht begriffen, dass es diesen Krieg verloren hat, dass die Ukraine am Ende ist und dass Russland gewinnen wird.

Vielleicht. Aber irgendwann muss man doch wieder vertrauensvolle Beziehungen zu Europa aufbauen?

Wir haben in der Schule gelernt, niemandem zu vertrauen. Wie Zar Alexander III. sagte, hat Russland nur zwei Freunde: seine Armee und seine Marine. Leider ist das so. Wir haben die Illusionen verloren, die wir in den 1990er Jahren noch hatten.

Aber Russland wird weiterhin auf seine Verbündeten zählen müssen, zum Beispiel auf Indien und China.

Sollten Indien und China eines Tages beschliessen, nicht mehr mit uns zusammenzuarbeiten, werden wir mit anderen Ländern Handel treiben, mit Brasilien, Indonesien oder Südafrika. Oder mit Korea. Wir haben gute Beziehungen zu sehr vielen Ländern. Wir haben zum Beispiel gute Beziehungen zu beiden Koreas.

Sprechen wir über die russische Wirtschaft. Hier im Westen wird immer wieder gesagt, dass die russische Wirtschaft, die sich seit 2022 als sehr widerstandsfähig erwiesen hat, seit Anfang dieses Jahres in der Krise steckt. Stimmt das?

In den letzten drei Jahren sind viele Unternehmen in einen Mobilisierungsmodus übergegangen. Denn Russland führt weniger einen Krieg gegen die Ukraine als gegen die Militärmaschine Europas, der Vereinigten Staaten und der Nato. Wir mussten daher die Produktion von Waffen und Ausrüstung verdreifachen, ja sogar verzehnfachen. Das hat das Wachstum der letzten Jahre bewirkt. Aber ansonsten sind das Produktions- und Konsumniveau sowie der Lebensstandard der Russen im Allgemeinen stabil geblieben. Wir hatten bereits 2014 den Import europäischer Lebensmittel eingestellt. Heute gibt es 30 000 Sanktionen gegen russische Personen und Unternehmen. Ich selbst bin Opfer aller möglichen Sanktionen. Aber wenn Sie heute nach Moskau kommen, werden Sie feststellen, dass sich der Lebensstil im Vergleich zu vor drei Jahren nicht verändert hat.

Was die Ölsanktionen angeht, so funktionieren sie nicht. Europa kauft russisches Gas oder Öl über Indien und zahlt dafür mehr. Aber das ist sein Problem. Das betrifft uns nicht.

Die Verschuldung ist im Vergleich zu den USA und den europäischen Ländern nach wie vor sehr gering. Allerdings gibt es ein Problem mit der Inflation und dem Arbeitskräftemangel.

Die Reserven der Zentralbank bleiben stabil. Sie hält sich weiterhin an die Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und konzentriert sich auf die Inflation. Das macht es für die Wirtschaft schwierig. Aber heute treiben wir andere Wirtschaftsprojekte voran. Wir konzentrieren uns eher auf das Binnenwachstum als auf das Aussenwachstum. Gleichzeitig bauen wir die Zusammenarbeit mit dem Ausland, insbesondere mit Asien und den BRICS-Staaten, weiter aus.

In wirtschaftlicher Hinsicht begehen die westlichen Länder einen schweren Fehler, wenn sie glauben, dass ein sinkender Lebensstandard der Russen zu einer Destabilisierung der Macht Putins führen würde. Sie irren sich gewaltig. Bei uns ist das Gegenteil der Fall. Wenn uns ein Krieg oder ein existenzieller Konflikt bedroht, mobilisieren sich die Menschen. Ich kenne viele einfache Leute, die Geld sammeln, um Hilfe an die Front zu schicken und ihren Landsleuten zu helfen, die kämpfen, anstatt ihre Kinder in den Urlaub nach Europa zu schicken. Es gibt eine breite Volksbewegung, die Geld sammelt. Sie schicken 200 oder 500 Rubel, um den Kämpfern zu helfen. Das ist eine Mobilisierung der kleinen Leute, nicht der Politiker oder der Grossbourgeoisie. Das sind 80% der Bevölkerung. Ich spreche nicht von den 20% der Einwohner der Grossstädte, die unzufrieden sind und murrend darauf warten, dass der Konflikt endet.

Es scheint an Arbeitskräften zu mangeln, während Einwanderer aus Zentralasien angefeindet werden.

Heute gehen die Menschen aus Zentralasien eher nach Deutschland, um zu arbeiten. Aber wir haben viele bei uns. Wir wollen, dass sie legal arbeiten und dann nach Hause zurückkehren. Wir wollen das vermeiden, was in Europa passiert, wo sich Einwanderer mit ihren Familien oft auch illegal niederlassen. Die unabhängigen Staaten Zentralasiens haben diese Vorgehensweise übrigens akzeptiert. Sie wissen, dass sie nicht mehr wie zu Zeiten der UdSSR frei in Russland leben und gleichzeitig politische Unabhängigkeit fordern können. In Usbekistan und Tadschikistan wird mehr als ein Drittel des Staatshaushalts von den in Russland arbeitenden Diasporas finanziert. So kann es nicht weitergehen.

Und wie ich bereits erwähnt habe, beschäftigen russische Unternehmer auch Arbeitskräfte aus anderen Ländern, insbesondere aus Indien und Korea. Wir sind offen, wir wollen uns nicht abschotten, aber wir wollen, dass dies ein kontrollierter Prozess ist.

Könnten die Sanktionen nicht dennoch negative Auswirkungen auf die Wirtschaft haben, indem sie das Land für den ausländischen Wettbewerb abschotten und zu einem Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit und Innovation führen, wie es in der Sowjetunion der Fall war? Viele europäische Unternehmen haben Russland verlassen, und diejenigen, die geblieben sind, haben ebenfalls mit Schwierigkeiten zu kämpfen.

Das glaube ich nicht. Diejenigen, die geblieben sind, haben ihre Marktanteile behalten. Diejenigen, die gegangen sind, werden nicht zurückkommen, weil sie ihren Platz verloren haben. Es ist nicht so, dass wir sie nicht wollen, sondern dass ihr Marktanteil von anderen übernommen wurde. Es gibt keine Absicht, sie auszuschliessen. Wir möchten daran erinnern, dass ausländische Investoren besser geschützt sind als russische Investoren und dass ihr Vermögen weder beschlagnahmt noch verstaatlicht werden kann. Und das gilt auch weiterhin, obwohl Europa die 300 Milliarden Dollar gestohlen hat, die wir bei Ihren Banken angelegt hatten.

In diesem Zusammenhang sollen die Europäer wissen, dass sie uns alles werden zurückgeben müssen, das Geld plus Zinsen.

Wirklich? Eine Rückzahlung durchzusetzen, wird schwierig sein.

Ich bin sicher, dass sie es tun werden. Sie werden keine andere Wahl haben, weder politisch noch rechtlich noch militärisch. Schade ist nur, dass die Politiker, die das Problem verursacht haben, dann nicht mehr da sein werden, um die Verantwortung zu übernehmen, und dass ihre Nachfolger und die europäischen Völker die Zeche werden zahlen müssen. Neben den amerikanischen Einfuhrzöllen, den überhöhten Gas- und Ölpreisen und der Rückzahlung der russischen Schulden plus Zinsen kommt da echt viel zusammen ...

Für Innovationen haben wir andere Partner, und überhaupt kaufen wir alles, was wir wollen, in Europa. Das System mit den Kryptowährungen und den befreundeten Staaten funktioniert. Wenn wir etwas in der Schweiz kaufen wollen, können wir das ohne Probleme tun. Aber das kostet uns mehr, deshalb ziehen wir es vor, das entsprechende Produkt in China oder anderswo zu kaufen.

Und wie sieht es mit der Korruption aus? Wir wissen, dass sie in der Ukraine weit verbreitet ist, wie Zelensky gerade auf seine Kosten erfahren musste, als er gegen die Korruptionsbekämpfungsbehörden vorging. Aber sie gibt es auch in Russland, und das kann der Wirtschaft schaden.

Das ist ein Erbe unserer byzantinischen Wurzeln! In der Türkei gibt es sie auch. Katholische und protestantische Länder sind anders. Aber bei uns gehört sie zu den Mechanismen, die die Wirtschaft und das Leben funktionieren lassen. Es stimmt jedoch, dass dies heute sehr verpönt ist und viele Menschen erwischt und zu sehr hohen Strafen verurteilt werden, mit sieben oder zehn Jahren Gefängnis und der Beschlagnahmung ihres Vermögens. Heute kann man in Russland keinem Polizisten mehr Geld geben. Und diejenigen, die es auf höherer Ebene versuchen wollen, bringen sich in Gefahr.

Letzte Frage: Was passiert im Kaukasus? Warum diese plötzlichen Spannungen mit Aserbaidschan?

Nach dem Absturz eines aserbaidschanischen Flugzeugs, das im russischen Kaukasus landen sollte, gab es Verständigungsschwierigkeiten und Missverständnisse. Das hängt auch mit den Spannungen um die aserbaidschanische Diaspora in Russland zusammen. Aber das ist nicht das Wesentliche. Grundlegend ist, dass es eine Türkisierung der turksprachigen Republiken Zentralasiens gibt.

Die Aserbaidschaner, Kasachen und Usbeken stehen im Krieg mit der Ukraine nicht auf der Seite Russlands. Einige wenden sich Erdogan zu und werden Islamisten, was sie nie waren. Sie sind gezwungen, zwischen uns, den Engländern, den Amerikanern und den Türken zu manövrieren. Das könnte ihr Leben und ihr Land verändern. Aber Russland wird seinen Weg weitergehen.+-

* Piotr O. Tolstoi, geboren 1969,  ist Journalist, Medien-Produzent, Moderator und Politiker. Im September 2016 wurde er von der regierenden Partei Einiges Russland in die Russische Staatsduma gewählt und bekleidet dort das Amt des Vize-Vorsitzenden. Er ist Mitglied der Gesellschaftlichen Kammer der Russischen Föderation, deren Aufgabe u.a. die Einbringung der Interessen der Bürger und der gesellschaftlichen Gruppierungen in die Staatsorgane ist. Pjotr Tolstoi ist Ururenkel des Schriftstellers und Philosophen Leo Tolstoi.
** Guy Mettan (1956) ist Politologe, freischaffender Journalist und Buchautor. Seine journalistische Karriere begann er 1980 bei der «Tribune de Genève» und war von 1992 bis 1998 deren Direktor und Chefredaktor. Von 1997 bis 2020 war er Direktor des «Club Suisse de la Presse» in Genf. Guy Mettan ist seit 20 Jahren Mitglied des Genfer Kantonsparlaments.

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass am 28. Juli um 7 Uhr morgens zwei Genfer Polizisten in Uniform in dem Hotel erschienen, in dem zwei russische Journalisten wohnten, die über den Parlamentsgipfel berichten wollten, und sie wie gewöhnliche Kriminelle aufforderten, ihre Ausweise vorzuzeigen. Als Werbung für das internationale Genf und als Zeichen der Achtung der Verpflichtungen des Gastlandes gegenüber einem ständigen Mitglied des Sicherheitsrats hätte man sich das besser vorstellen können ...

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