Sudan – Darlegung der beteiligten Kräfte und Akteure

M. K. Bhadrakumar (Bild zvg)

von M. K. Bhadrakumar,* Indien

(10. Mai 2023) Im Sudan scheint sich das schlimmste Szenario zu bewahrheiten. Das ist jedenfalls die apokalyptische Botschaft, die aus Khartum in den westlichen Medien verbreitet wird.

Präsident Biden untermauerte die alarmistische Wahrnehmung, indem er bestätigte, dass das US-Militär auf seinen Befehl hin eine Operation durchführte, «um Regierungsmitglieder aus Khartum abzuziehen».

Nach Angaben des US-Aussenministeriums halten sich derzeit etwa 16 000 amerikanische Staatsangehörige im Sudan auf. Die US-Botschaft in Khartum verfügte über eine übermässige Personalstärke – vergleichbar mit der Mission in Kiew –, die angesichts des Umfangs und der Bedeutung der bilateralen Beziehungen zwischen den USA und dem Sudan nicht gerechtfertigt war, was zu Spekulationen führte, dass es sich um einen wichtigen Geheimdienst-Aussenposten handelte.

Das Horn von Afrika (Grafik zvg)

Am Horn von Afrika tauchten die Golfstaaten traditionell tief in die Komplexität von Machtprojektion, politischer Rivalität und Konflikten am Roten Meer ein, das sich in letzter Zeit wieder zu einem geostrategischen Raum entwickelt hat, in dem konkurrierende globale und regionale Akteure versuchen, ihren Einfluss geltend zu machen.

Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate auf der einen Seite und Katar und die Türkei auf der anderen Seite wetteiferten intensiv darum, den Einfluss des jeweils anderen zu kontern und ihre Rivalitäten auf die Politik am Horn von Afrika zu projizieren. Doch nach Jahren des erbitterten Wettbewerbs gibt es in letzter Zeit Anzeichen dafür, dass sie begonnen haben, ihre jeweiligen Rollen vorsichtig neu zu gewichten.

Die Belastung ihrer finanziellen Ressourcen nach Covid, der Rückzug im Jemen und das Bestreben der Golfstaaten, als konstruktive und verlässliche Partner aufzutreten und in regionalen Fragen einen pragmatischeren Ansatz zu verfolgen – all dies hat dazu beigetragen, dass anstelle des intensiven Wettbewerbs innerhalb des Golfs am Horn von Afrika bemerkenswerte Zeichen der Entspannung zu erkennen sind.

Im Sudan führten die saudi-arabischen und emiratischen Bemühungen, den politischen Übergang nach dem Sturz von Omar al-Bashir im April 2019 zu gestalten, zu Teilerfolgen, aber auch zu erheblichen Schwierigkeiten, da sie unter der Beobachtung sowohl der sudanesischen Bevölkerung als auch der internationalen Gemeinschaft mit erheblichen Reputationsverlusten verbunden waren.

Die USA und die EU sahen in den Ländern des Golfkooperationsrates (GCC) nützliche Partner am Horn von Afrika, da sie über überschüssiges Kapital für Investitionen verfügten, das den westlichen Mächten fehlte, sowie über gute persönliche Netzwerke. Der faustische Deal zwischen der Trump-Administration, Israel und den Golfstaaten, um die sudanesische Militärführung 2020 in das Abraham-Abkommen zu locken, war ein entscheidender Moment.

Diese Allianz erwies sich jedoch als kurzlebig. Der Plan der westlichen Mächte, auf den Flügeln der Golfstaaten zu reiten, um dem wachsenden Einfluss Russlands und Chinas im Roten Meer entgegenzuwirken, fand ein jähes Ende, als sich der Boden unter den Füssen der amerikanisch-saudischen Allianz unter der Präsidentschaft Bidens dramatisch verschob und Riad begann, seine Beziehungen zu Moskau und Peking zu stärken.

Die neokonservative Ideologie, Auslöser der innenpolitischen Krise im Sudan

Dies wiederum zwang die westlichen Mächte dazu, die Möglichkeit einer stärkeren Koordinierung und eines konstruktiven Engagements direkt mit den Generälen in Khartum zu prüfen und dabei auf ihre eigenen Bemühungen und Ressourcen zu setzen, die parallel zur Neukalibrierung des Engagements der Golfstaaten am Horn von Afrika laufen.

Kurz gesagt: Der Kern des Problems besteht darin, dass die westliche Vorstellung von Stabilität und nachhaltiger Entwicklung im Sudan, gesehen durch die Brille der von der Biden-Regierung durchdrungenen neokonservativen Ideologie, der Auslöser für die Verschärfung der innenpolitischen Krise im Sudan ist. Diese braut sich seit 2019 zwischen der Armee unter der Führung des De-facto-Führers Abdel Fattah al-Burhan und den bewaffneten Formationen unter der Führung von Mohammed Hamdan Dagalo zusammen.

Die unausgegorenen, unrealistischen politischen Lösungen, die von den westlichen liberalen Demokratien gefördert wurden, haben die Kämpfe der Militärs erheblich angeheizt. Die anglo-amerikanischen Absprachen beschränkten sich weitgehend auf den Militärischen Übergangsrat und die Kräfte für Freiheit und Wandel, eine improvisierte Koalition handverlesener ziviler und rebellischer sudanesischer Gruppen (z.B., Sudanese Professional Association, No to Oppression Against Women Initiative), die keineswegs die nationalen Kräfte im Sudan repräsentierten. Es überrascht nicht, dass diese Versuche der Neokonservativen, einer uralten Zivilisation exotische Regelungen aufzuzwingen, zum Scheitern verurteilt waren.

Die von den westlichen Medien verbreitete Darstellung der gegenwärtigen Krise im Sudan – die sich als Konflikt innerhalb des militärischen Establishments manifestiert – ist eine groteske Vereinfachung und ein Vertuschungsversuch. Diese Krise lässt sich nicht auf einen persönlichen Streit zwischen den beiden Generälen Burhan und Hemedti reduzieren, die seit langem befreundet waren.

Es geht um Kontrolle der Wirtschaft und Verteilung der Macht

Die Krise kann nur durch eine «Sicherheitslösung» gelöst werden, d.h. durch einen Integrationsprozess, der die Schnellen Eingreiftruppen in geeigneter Weise als politischen Partner in die Regierungsführung einbezieht und nicht nur als militärische Kraft, die der Armee angegliedert ist.

Es darf nicht vergessen werden, dass der Sudan ein riesiges Land mit grosser ethnischer und regionaler Vielfalt ist, das von etwa 400–500 Stämmen bewohnt wird. Die Stabilität des Landes hängt entscheidend von einem optimalen Modell der Interaktion zwischen den Eliten und Clans ab.

Was die Spezialkräfte in dem aktuellen Konflikt antreibt, ist im Grunde die Erwartung, ihre Bedeutung im innenpolitischen Prozess des Landes zu erhöhen. Es muss klar sein, dass es bei den derzeitigen Auseinandersetzungen nicht um den Zugang zu militärischen Ressourcen geht, sondern um die Kontrolle über die Wirtschaft und die Verteilung der Macht.

Der falsche Mann am falschen Ort

Unterdessen hat die unbeholfene und ungeschickte Vorgehensweise bei der Bildung der neuen Regierung durch den UN-Beauftragten Volker Perthes1 erheblich zur gegenwärtigen Krise beigetragen. Perthes, ein deutscher Think Tanker des Establishments, der von der Ideologie der Neokonservativen angeheizt wurde, war der falsche Mann für eine derart sensible Aufgabe.Dies ist ein weiteres aufschlussreiches Beispiel für das Erbe von UN-Generalsekretär Guterres, der westliche Abgesandte in Krisengebieten bevorzugt, in denen die geopolitischen Interessen des Westens auf dem Spiel stehen. Das UNO-Treffen am 15. März hat gezeigt, dass der übereifrige Perthes sich von der Realität entfernt hat, indem er die Machtübergabe von der Militärregierung an die Zivilregierung überstürzt hat, anstatt sich darauf zu konzentrieren, bei der Bildung einer Regierung zu helfen und ein Komitee zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung einzusetzen – was nun leider zu einer Verschärfung der Konfrontation zwischen den Kriegsparteien geführt hat.

Das Gute daran ist, dass es in diesem Konflikt noch keine Anzeichen für eine Radikalisierung aus religiösen Gründen gibt. Auch gibt es kein Machtvakuum, das von einer terroristischen Gruppe ausgenutzt werden könnte. Gleichzeitig ist die Vermittlung durch externe Mächte erforderlich.

Die Länder der Region können zur Lösung des Konflikts beitragen

Die Länder der Region können zur Lösung des Konflikts beitragen. Zu einer umfassenden Lösung wird es wohl nicht so bald kommen, denn die internen Widersprüche, die sich im Laufe der Zeit aufgestaut haben, erfordern Kompromisse, und dazu sind die Parteien zumindest bisher nicht bereit.

In dem gegenwärtigen Klima der Konfliktlösung, das die Regionalpolitik in der westasiatischen Region und insbesondere am Golf prägt, gibt es keine objektiven Voraussetzungen dafür, dass der Konflikt sich auf die regionale Ebene ausweitet. Die wichtigsten Länder, die mit den Kriegsparteien verbunden sind, haben Initiativen zur Friedenssicherung ergriffen – die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Ägypten.

Darüber hinaus werden andere externe Partner, insbesondere Russland und China, Anstrengungen unternehmen, um einen längeren offenen Konflikt zu verhindern. Übrigens hat der Sudan eine Auslandsverschuldung von weniger als 60 Milliarden Dollar, und der grösste Teil davon entfällt auf China – und Russland wiederum ist in einer guten Position, um eine Annäherung zwischen al-Burhan und Dagalo zu fördern.

Russland nimmt eine ausgewogene Position ein. Während seines Besuchs im Sudan im Februar traf Aussenminister Sergej Lawrow mit den Führern der beiden gegnerischen Seiten zusammen. Russland ist an der Stabilität des Sudan interessiert.

In einer Erklärung des russischen Aussenministeriums heisst es: «Die dramatischen Ereignisse im Sudan geben Moskau Anlass zu grosser Sorge. Wir rufen die Konfliktparteien dazu auf, politischen Willen und Zurückhaltung zu zeigen und dringend Schritte in Richtung eines Waffenstillstands zu unternehmen. Wir gehen davon aus, dass alle Differenzen durch Verhandlungen beigelegt werden können.»2

Die anglo-amerikanische Agenda bleibt jedoch zweifelhaft.3 Sie konzentrieren sich darauf, die Krise zu internationalisieren, die Rivalitäten der Grossmächte in die sudanesische Situation einzubringen und willkürlich Vorwände für eine westliche Intervention zu schaffen. Doch jeder Versuch, die Glut des Arabischen Frühlings neu zu entfachen, wird enorme Auswirkungen auf die regionale Sicherheit und Stabilität haben. Die Golfstaaten und Ägypten werden besonders wachsam sein müssen.

Der Sudan dürfte bei dem Telefongespräch zwischen dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Freitag eine Rolle gespielt haben.4

* M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, Iran und Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst «Indian Punchline».

Quelle: https://www.indianpunchline.com/sudan-alignment-of-forces-players/ 23 April 2023

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://www.un.org/sg/en/content/profiles/volker-perthes

2 https://www.mid.ru/en/foreign_policy/news/1863714/

3 https://english.ahram.org.eg/News/496293.aspx

4 https://en.kremlin.ru/events/president/news/70970

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