Pressemitteilung
UN-Experten fordern Staaten zum Handeln auf
Israelische Verstösse gefährden den fragilen Waffenstillstand in Gaza
(5. Dezember 2025) (Genf – 24. November 2025) Israels anhaltende Verstösse gegen den Waffenstillstand in Gaza gefährden die fragile Waffenruhe, warnten UN-Experten* heute und forderten alle Staaten auf, dafür zu sorgen, dass Angriffe auf Zivilisten sofort eingestellt werden und ungehinderte Hilfslieferungen, einschliesslich medizinischer Hilfe, in das Gebiet zugelassen werden.
Zeitoun südöstlich von Gaza-Stadt. (Photo KEYSTONE/XINHUA/Rizek
Abdeljawad)
«Seit der Verkündung des Waffenstillstands am 11. Oktober hat Israel Berichten zufolge mindestens 393 Verstösse begangen, bei denen 339 Palästinenser, darunter mehr als 70 Kinder, getötet und über 871 weitere verletzt wurden», so die Experten. «Die Luftangriffe vom 28. Oktober waren mit mindestens 104 getöteten Palästinensern die tödlichste Nacht seit Beginn des Waffenstillstands.»
Trotz des «Waffenstillstands» wurde weiterhin über Angriffe in allen fünf Bezirken des Gazastreifens berichtet, darunter Schüsse, Artilleriefeuer und Luftangriffe.
«Die anhaltenden israelischen Angriffe gegen die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen stellen einen eklatanten Verstoss gegen das Waffenstillstandsabkommen dar», sagten die Experten. Sie forderten die internationale Gemeinschaft auf, den Druck zu erhöhen, um den Waffenstillstand wirksam zu machen und Leben zu retten.
Der Zugang für humanitäre Hilfe ist nach wie vor stark eingeschränkt, da nur zwei von sechs Grenzübergängen wieder geöffnet wurden. «Die Zahl der Hilfsgüter-Lkw, die nach Gaza einfahren, hat nie das vereinbarte Ziel von 600 pro Tag erreicht und lag häufig unter der Hälfte dieser Zahl», sagten die Experten.
Sie wiesen darauf hin, dass die grossen Krankenhäuser nur teilweise funktionsfähig sind, renoviert werden müssen und dass sie Ausrüstung und Nachschub benötigen, um ihre volle Betriebskapazität zu erreichen.
«Das anhaltende Versäumnis, sicherzustellen, dass die Vereinten Nationen über UNRWA und OCHA die Lieferung und Verteilung von Hilfsgütern in Gaza gemäss dem Völkerrecht direkt verwalten, ist inakzeptabel und nicht zu rechtfertigen», sagten die Experten.
Die Gewalt im besetzten Westjordanland hat ebenfalls weiter zugenommen, da bewaffnete israelische Siedler und Soldaten ihre Angriffe auf palästinensische Zivilisten, Land und Eigentum intensivieren. «In einem Schritt, der die de jure-Annexion vorantreiben würde, die absolut verboten ist, treibt das israelische Parlament auch eine Gesetzgebung voran, um die israelische Souveränität auf Teile des Westjordanlands auszuweiten», sagten die Experten.
«Es ist höchste Zeit, das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vollständig umzusetzen, dass die Beendigung der israelischen Besatzung und des damit verbundenen Systems der Rassentrennung und Apartheid anordnet», sagten sie.
Die Experten begrüssten zwar den Waffenstillstand,1 äusserten jedoch ihre Besorgnis darüber, dass Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht in der aktuellen Vereinbarung und dem von den Vereinigten Staaten vorgeschlagenen Friedensplan fehlten. «Ohne Rechenschaftspflicht für die seit dem 7. Oktober 2023 begangenen Verbrechen kann es keinen dauerhaften Frieden geben», sagten sie.«Wir haben davor gewarnt, dass sogenannte Friedensinitiativen, die es einer Seite ermöglichen, die militärische Kontrolle über den Gazastreifen zu behalten, die Besatzung nicht beenden, sondern festigen würden. Leider spielt sich dies gerade vor unseren Augen ab», sagten sie. «Nach zwei Jahren genozidaler Angriffe läuft dieser ‹Friedensplan› Gefahr, das Leid noch zu verschlimmern.»
Berichten zufolge stehen über 58 Prozent des Gazastreifens weiterhin unter israelischer Militärkontrolle, wobei 40 aktive israelische Standorte immer noch jenseits der vereinbarten Rückzugslinie operieren, was einen klaren Verstoss gegen die Waffenstillstandsbedingungen darstellt.
Die Resolution des Sicherheitsrats über eine «Internationale Stabilisierungstruppe» (ISF), die gemeinsam mit Israel und Ägypten sowie neu ausgebildeten palästinensischen Polizeikräften die Grenzkontrolle koordinieren soll, birgt die Gefahr, dass das Modell der Sicherheitskoordination, das Israels kolonialistisches Apartheidregime im Westjordanland gefestigt hat, wiederholt – wenn nicht sogar verschärft – wird, so die Experten.
Die Experten forderten die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, entschlossen zu handeln, um den systematischen Verstössen gegen das Völkerrecht und dem Leiden in den besetzten palästinensischen Gebieten ein Ende zu setzen und den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen.
Sie forderten die folgenden dringenden Massnahmen:
- Gewährleistung eines sicheren humanitären Zugangs über von den Vereinten Nationen überwachte Land- und Seekorridore, einschliesslich vorübergehender Unterkünfte vor dem Winter;
- Öffnung humanitärer Korridore in Richtung Westjordanland, Ostjerusalem und Israel für Verwundete, Kranke, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Schwangere und Kinder;
- Verhängung von Sanktionen gegen Israel wegen fortgesetzter Verstösse gegen das Völkerrecht und illegaler Besatzung;
- Umfassendes Waffenembargo gegen Israel;
- Uneingeschränkter und freier Zugang internationaler Medien zu den besetzten palästinensischen Gebieten, einschliesslich des gesamten Gazastreifens.
- Sicherstellung, dass unabhängige internationale Untersuchungen zu schweren Verstössen gegen das Völkerrecht, einschliesslich der Tötung von Zivilisten im Gazastreifen, durchgeführt werden und dass Strafverfolgungen nach dem Grundsatz der universellen Gerichtsbarkeit eingeleitet werden;
- Erwägung einer internationalen Intervention unter Führung der Vereinten Nationen, falls die Angriffe anhalten und sich die humanitäre Lage weiter verschlechtert.
Die Experten:
• Francesca Albanese, Special Rapporteur on the situation of human rights in the Palestinian territories occupied since 1967;
• George Katrougalos, Independent Expert on the promotion of a democratic and equitable international order
• Ashwini K.P., Special Rapporteur on contemporary forms of racism, racial discrimination, xenophobia and related intolerance
• Olivier De Schutter, Special Rapporteur on extreme poverty and human rights
• Morris Tidball-Binz, Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions
• Ben Saul, Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism
• Irene Khan, Special Rapporteur on the promotion and protection of the right to freedom of opinion and expression
• Paula Gaviria, Special Rapporteur on the human rights of internally displaced persons
• Tlaleng Mofokeng, UN Special Rapporteur on the right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health
• Heba Hagrass, Special Rapporteur on the rights of persons with disabilities
• Farida Shaheed, Special Rapporteur on the right to education
• Michael Fakhri, Special Rapporteur on the right to food
• Pedro Arrojo Agudo, Special Rapporteur on the human rights to safe drinking water and sanitation
• Gina Romero, Special Rapporteur on the Rights to Freedom of Peaceful Assembly and of Association
• Siobhán Mullally, Special Rapporteur on trafficking in persons, especially women and children
• Reem Alsalem, Special Rapporteur on violence against women and girls, its causes and consequences
• Nicolas Levrat, Special Rapporteur on minority issues
• Michelle Small (Chair-Rapporteur), Ravindran Daniel, Jovana Jezdimirovic Ranito, Joana de Deus Pereira, Andrés Macías Tolosa, Working Group on the use of mercenaries
• Carlos Duarte (Chair), Working Group on the rights of peasants and other people working in rural areas
• Ivana Krstić (Vice-Chair), Dorothy Estrada Tanck, Haina Lu, and Laura Nyirinkindi, Working Group on discrimination against women and girls
| * Sonderberichterstatter/unabhängige Experten/Arbeitsgruppen sind unabhängige Menschenrechtsexperten, die vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ernannt werden. Zusammen werden diese Experten als Sonderverfahren des Menschenrechtsrats bezeichnet. Die Experten der Sonderverfahren arbeiten auf freiwilliger Basis; sie sind keine Mitarbeiter der Vereinten Nationen und erhalten für ihre Arbeit kein Gehalt. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen fungiert zwar als Sekretariat für die Sonderverfahren, die Experten sind jedoch in ihrer individuellen Funktion tätig und unabhängig von Regierungen oder Organisationen, einschliesslich des OHCHR und der Vereinten Nationen. Alle dargelegten Ansichten oder Meinungen sind ausschliesslich die der Autoren und geben nicht unbedingt die Meinung der Vereinten Nationen oder des OHCHR wieder. Länderspezifische Beobachtungen und Empfehlungen der Menschenrechtsmechanismen der Vereinten Nationen, einschliesslich der Sonderverfahren, der Vertragsorgane und der universellen periodischen Überprüfung, finden Sie im Universal Human Rights Index https://uhri.ohchr.org/en/. |
Quelle: https://www.ohchr.org/en/press-releases/2025/11/un-experts-urge-states-act-israeli-violations-threaten-fragile-gaza, 24. November 2025
(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)
1 https://www.ohchr.org/en/press-releases/2025/10/palestine-any-peace-plan-must-respect-international-law-beginning-self, 3. Oktober 2025