USA und Israel wollen zweite Front im Libanon eröffnen

M. K. Bhadrakumar (Bild zvg)

von M. K. Bhadrakumar,* Indien

(16. November 2023) Die Ankündigung1 des US-Zentralkommandos (CENTCOM) mit Sitz in Doha am späten Sonntagabend [5. November], dass ein amerikanisches Atom-U-Boot der Ohio-Klasse in seinem «Verantwortungsbereich» eintreffen wird, deutet auf eine erhebliche Eskalation der Situation im palästinensisch-israelischen Konflikt hin.Es ist sehr selten, dass der Einsatz dieser U-Boote öffentlich gemacht wird. Das CENTCOM machte keine weiteren Angaben, veröffentlichte aber ein Bild, das offenbar ein U-Boot der Ohio-Klasse unter der ägyptischen Suezkanal-Brücke zeigt. Interessanterweise teilte das CENTCOM auch separat ein Bild eines nuklearfähigen B-1-Bombers, der im Nahen Osten operiere.

Zusammengenommen haben diese US-Einsätze – die zu der beeindruckenden Präsenz von zwei Flugzeugträgern und Kriegsschiffen mit Hunderten von modernen Kampfjets im östlichen Mittelmeer bzw. im Roten Meer hinzukommen – «die andere Seite der Gleichung» im Blick, wie Aussenminister Antony Blinken bei seinem jüngsten Besuch in Tel Aviv am Freitag die Hamas, die Hisbollah und den Iran treffend beschrieb.

Der Direktor der CIA, William Burns, traf am Sonntag zu dringenden Konsultationen in Israel ein, was vielleicht mit dieser Entwicklung zusammenhängt. Die «New York Times» berichtete,2 dass die USA «ihren Informationsaustausch mit Israel ausweiten wollen».

Die vermutlich wohlwollendste Erklärung für die Stationierung eines US-Atom-U-Boots, das Teil der «nuklearen Triade» des Pentagons ist – die Boote der Ohio-Klasse sind die grössten U-Boote, die je für die US-Marine gebaut wurden – in der Nähe des Kriegsgebiets ist wohl, dass sich die Biden-Regierung auf eine Eskalation des Krieges im Libanon vorbereitet, um die Hisbollah herauszulocken, was wiederum eine iranische Reaktion auslösen könnte.

In seiner Rede am Freitag schien Hisbollah-Chef Hassan Nasrullah genau eine solche Wendung der Ereignisse vorauszusehen, als er die USA ausdrücklich vor Konsequenzen warnte, die sich nicht von der katastrophalen amerikanischen Beteiligung am libanesischen Bürgerkrieg in den frühen 1980er Jahren unterscheiden könnten. Ironischerweise jährt sich in diesem Jahr zum 40. Mal auch der Selbstmordanschlag von Oktober 1983 auf die Kaserne der US-Streitkräfte auf dem internationalen Flughafen von Beirut, bei dem 220 Marinesoldaten, 18 Matrosen und drei Soldaten getötet wurden und der die USA zum Rückzug aus dem Libanon zwang. (Siehe meinen Blog «Hisbollah ergreift die Flucht nach vorn».3)

Es liegt auf der Hand, dass sich der Schwerpunkt der US-Strategie in der gegenwärtigen Situation im Nahen Osten von der Diplomatie, die ohnehin an Zugkraft verloren hat, verlagern könnte. Blinkens verzweifelte Versuche, der zunehmenden internationalen Kritik an Israels schrecklichen Kriegsverbrechen zu begegnen, indem er die Aufmerksamkeit auf eine «humanitäre Pause» bei den Kämpfen lenkt, wurden von Benjamin Netanjahu kurzerhand abgeschmettert.

Nachdem die israelische Armee den Gazastreifen und seine Bevölkerung mit Artillerie und Bomben beschossen hatte, rückte sie am Freitag ein. Bislang ist sie Berichten zufolge bis in die Aussenbezirke von Gaza-Stadt vorgedrungen, aber nicht in die Hamas-Hochburg eingedrungen. Wenn sie es tut, werden heftige Kämpfe in den Städten erwartet.

Auch der überstürzte Versuch der Regierung Biden, ein vages Konzept für die Nachkriegszeit im Gazastreifen vorzustellen, das eine Kombination aus einer wiederbelebten Palästinensischen Autonomiebehörde, einer Friedenstruppe usw. beinhalten könnte, stiess bei Blinkens Treffen mit den arabischen Aussenministern – aus Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten – am Wochenende in Amman auf wenig Begeisterung.

Blinken reiste von Amman nach Ramallah, wo der Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, ihm ebenfalls eine Absage erteilte. Er erklärte, dass die Autonomiebehörde nur im Rahmen einer «umfassenden politischen Lösung», die das Westjordanland, Ostjerusalem und den Gazastreifen einschliesst, bereit sei, die volle Verantwortung für den Gazastreifen zu übernehmen, und dass Sicherheit und Frieden nur durch die Beendigung der Besetzung der Gebiete des «Staates Palästina» und die Anerkennung Ostjerusalems als dessen Hauptstadt erreicht werden können. Das Treffen dauerte weniger als eine Stunde und endete ohne öffentliche Erklärungen.

In der Zwischenzeit haben China und die Vereinigten Arabischen Emirate eine geschlossene Sitzung des UN-Sicherheitsrats gefordert,4 um einen sofortigen Waffenstillstand zu erreichen, was die Regierung Biden sicherlich ablehnen wird. Es genügt zu sagen, dass sich die Biden-Regierung in die Enge getrieben fühlt und der einzige Ausweg darin besteht, durch die Anwendung von Zwangsmassnahmen etwas zu erreichen.

Die USA beobachten mit Frustration, wie sich unter den muslimischen Nationen neue regionale Gleichgewichte herausbilden. Die Aussenminister des Irans und Saudi-Arabiens führten heute ein weiteres Telefongespräch. Später gab die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) bekannt, dass am 12. November in Riad ein ausserordentliches Gipfeltreffen auf Antrag des derzeitigen Vorsitzenden, Saudi-Arabien, stattfinden wird, um die Angriffe Israels auf das palästinensische Volk zu erörtern.

Die von Peking vermittelte Annäherung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien hat das regionale Sicherheitsumfeld tiefgreifend verändert. Die Staaten der Region ziehen es eindeutig vor, Lösungen für ihre Probleme ohne Einmischung von aussen zu finden, und die alten Spaltungen und die Fremdenfeindlichkeit, die von den USA gefördert werden, um ihre Vorherrschaft aufrechtzuerhalten, finden keine Abnehmer mehr.

Angesichts der mehr als 10 000 Todesopfer im Gazastreifen sind die Gemüter in der muslimischen Welt tatsächlich erhitzt. Der Oberste Führer des Iran, Ali Khamenei, sagte heute, dass «alle Beweise und Indizien auf eine direkte Beteiligung der Amerikaner an der Führung des Krieges» in Gaza hindeuten. Khamenei fügte hinzu,5 dass die Gründe für die direkte Rolle der USA im Laufe des Krieges immer deutlicher werden würden.

Die dem Korps der Islamischen Revolutionsgarden nahestehende Nachrichtenagentur Fars berichtete ausserdem,6 dass Khamenei kürzlich in Teheran mit dem Leiter des politischen Büros der Hamas, Ismail Haniyeh, zusammentraf und ihm mitteilte, dass die Unterstützung der Widerstandsgruppen durch Teheran seine «ständige Politik» sei.

Offensichtlich sieht Teheran kein Problem mehr darin, seine brüderlichen Beziehungen zu den Widerstandsgruppen anzuerkennen. Dies ist ein Paradigmenwechsel, der die Verschiebung der Machtdynamik verdeutlicht,7 die die USA und Israel zwingt, ihr mit Gewalt zu begegnen, da es Washingtons Diplomatie nicht gelungen ist, den Iran zu isolieren.

Der Chef des israelischen Generalstabs, Herzi Halevi, sagte am Sonntag [5. November] während einer Sitzung des Nordkommandos: «Wir sind jederzeit bereit, im Norden zuzuschlagen. Wir verstehen, dass es passieren kann... Wir haben das klare Ziel, eine deutlich bessere Sicherheitslage an den Grenzen wiederherzustellen, nicht nur im Gazastreifen.»

Keine Macht der Welt kann Israel jetzt noch aufhalten. Seine Stabilität und seine Verteidigung sind untrennbar mit diesem Krieg verbunden, der auch das dauerhafte Engagement der USA für seine Sicherheit als ein zentrales Element amerikanischer globaler Strategien für die absehbare Zukunft gewährleistet. Israels beste Überlebenschance liegt daher in der Ausweitung des Krieges im Gazastreifen auf den Libanon – und möglicherweise sogar auf Syrien – im Schulterschluss mit den Amerikanern.

Es steht ausser Frage, dass die Stationierung des US-Atom-U-Boots östlich von Suez ein Versuch ist, den Iran von einem Eingreifen abzuhalten, während Israel mit Unterstützung der USA eine zweite Front im Libanon eröffnet. Die israelischen Behörden haben die Evakuierung von Menschen aus Siedlungen angekündigt, die sich in einer Zone bis zu fünf Kilometern von der Grenze zum Libanon befinden.

Im Nahen Osten bahnt sich ein Krieg von unbestimmter Dauer an. Wenn der Ruf des Dschihad ertönt, weiss man nicht, wie der achtzigjährige amerikanische Präsident darauf reagieren wird.

Nein, das wird kein Weltkrieg werden. Er wird nur im Nahen Osten ausgetragen werden, aber sein Ausgang wird die Schaffung einer neuen multipolaren Weltordnung massgeblich beeinflussen. Der vergangene Monat hat den rapiden Rückgang des US-Einflusses und das äusserst unbeständige globale Umfeld seit Beginn des Krieges in der Ukraine im Februar letzten Jahres gezeigt.

* M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, Iran und Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst «Indian Punchline».

Quelle: https://www.indianpunchline.com/us-israel-to-open-second-front-in-lebanon/, 6. November 2023

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://www.aa.com.tr/en/middle-east/us-navy-an-nounces-sending-nuclear-submarine-to-middle-east/3044926

2 https://www.nytimes.com/2023/11/05/us/politics/william-burns-israel-middle-east-trip.html

3 https://www.indianpunchline.com/hezbollah-takes-to-the-high-ground/

4 https://tass.com/world/1702115

5 https://www.presstv.ir/Detail/2023/11/06/714111/Iran-Iraq-Leader-Islamic-Revolution-Ayatollah-Khamenei-Prime-Minister-Mohammed-Shia-al-Sudani-Gaza-Israel-Palestine-

6 https://www.farsnews.ir/en/news/14020815000130/Spreme-Leader-All-O-Sppr-fr-Palesine-Iran’s-Permanen-Plicy

7 https://www.farsnews.ir/en/news/14020815000190/Iran’s-Defense-Chief-US-Be-Hi-Hard-in-Case-f-N-Gaza-Ceasefire

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