«Wie der Kampf um die Ukraine die Welt verändert»

Bericht zu einer Veranstaltung des «Schweizer Standpunkt»

von Tankred Schaer*

(31. Mai 2024) Der österreichische Historiker und Publizist Dr. Hannes Hofbauer referierte am 19./20. April auf Einladung des «Schweizer Standpunkt» im Seminarraum des Frauenfelder Vereins «Bildung Raum geben» zum Thema Ukraine.

Hannes Hofbauer im Gespäch. (Bild sv)

Hannes Hofbauer ist Verleger des Promedia Verlages. Dieser österreichische Verlag gibt jedes Jahr etwa zwanzig Bücher unter anderem zu Themen mit kulturhistorischem Hintergrund und zu Osteuropa heraus. Er gilt als ein Verlag, der sich als gesellschaftlich engagiertes Projekt begreift und sich zugleich am Buchmarkt behaupten kann. Hofbauer ist Herausgeber eines Buches mit dem Titel «Kriegsfolgen – wie der Kampf um die Ukraine die Welt verändert». Zu diesem Thema hielt er sein Referat.

Ursachen des Ukraine-Konfliktes

Hofbauer ging zunächst auf die Ursachen des Ukraine-Konfliktes ein. Er betonte, dass man diesen Konflikt nicht erst ab dem 24. Februar 2022, dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, betrachten dürfe. Er zeigte auf, dass in der Geschichte der Ukraine schon immer russlandfreundliche und russlandfeindliche Kräfte miteinander gerungen haben.

Ein wichtiges Datum in diesem Zusammenhang ist der 29. November 2013, an dem in Vilnius (Litauen) ein Kongress über die Assoziierung verschiedener osteuropäischer Staaten an die EU stattfand. Es war die Absicht der EU, mit der Assoziierung mehrere Ziele zu erreichen: einen Austausch der russlandfreundlichen Eliten durch EU-freundliche Kräfte, die Kündigung russischer Gaslieferungen und eine weitgehende Liberalisierung des Marktes für die europäischen Wirtschaftsunternehmen in den betreffenden Ländern.

Nachdem Russland Präsident Victor Janukowitsch ein milliardenschweres Angebot günstiger Gaslieferungen gemacht hatte, lehnte dieser die Assoziierung an die EU ab. Im Zuge der Maidan-Bewegung kam es zu dem verfassungswidrigen Sturz der Regierung und der neue Präsident Petro Poroschenko unterschrieb im Juni 2014 das EU-Assoziierungsabkommen. Nach dem Beginn der Unruhen wurden die verständlichen Proteste vieler Menschen gegen die Regierung Janukowitsch von rechten Gruppen schnell instrumentalisiert.

Bereits im Mai 2015 flog die ukrainische Regierung Angriffe mit Hubschraubern gegen die Stadt Slowiansk im Osten der Ukraine. Die militärische Konfrontation ging also hier von Kiew aus. Am 15. Februar 2015, dem Tag der Unterzeichnung des Minsker Friedensabkommens, waren bereits mehr als 10 000 Menschen in dem Konflikt gestorben.

Das Minsker Friedensabkommen, das von Angela Merkel, Petro Poroschenko, François Hollande und Wladimir Putin unterzeichnet wurde, hatte das Ziel, einen Waffenstillstand zu erreichen, eine entmilitarisierte Zone zu errichten, eine Wiederaufnahme von Sozialtransfers in den Osten der Ukraine zu ermöglichen und eine Föderalisierung nach bundesdeutschem Vorbild in Gang zu setzen. Nach Ansicht von Hannes Hofbauer ist es fraglich, ob Angela Merkel dieses Abkommen wirklich nur deswegen verhandelt hat, um der ukrainischen Seite Zeit für den Aufbau des Militärs zu verschaffen. Jedenfalls habe sie die Verhandlungen mit grossem Engagement geführt.

Folgen: Rechtsruck, Sanktionen, Entwestlichung

Hofbauer kam dann auf die Folgen des Konfliktes zu sprechen. Er beobachtet zunächst einen politischen Rechtsruck in verschiedenen Gesellschaften. Die ukrainische Gesellschaft sei nach rechts gerückt, ebenso wie die russische Gesellschaft und auch in Deutschland und Österreich habe sich ein Rechtsruck durchgesetzt. Er verwies dazu auf seine Analyse, derzufolge die heutige Rechte «grün» sei. Sie vereint dafür alle notwendigen Ingredienzen: Kriegsbegeisterung, Verbotskultur, geopolitischen und kulturellen Missionierungseifer, Affinität zum autoritären Staat und jede Menge erschaffene Feindbilder.

Die von der EU und den USA verhängten Sanktionen gegen Russland haben auf die europäische Wirtschaft negative Auswirkungen gehabt. Dabei wurde nicht nur das russische Zentralbankvermögen in Höhe von 300 Milliarden US-Dollar eingefroren, sondern sogar Sanktionen gegen – bisher – einen EU-Bürger verhängt.

Vom europäischen Parlament habe es Bestrebungen gegeben, Gerhard Schröder und die ehemalige österreichische Aussenministerin Karin Kneissl mit Sanktionen zu belegen. Es gebe sogar Sekundärsanktionen gegen chinesische, türkische und kasachische Firmen, die mit Firmen zusammenarbeiten, welche mit Russland Handel betreiben. Vor allem der Verlust des Vertrauens in westliche Finanzinstitutionen und die Vertragstreue westlicher Vertragspartner habe verheerende ökonomische Folgen für die westlichen Länder.

Als dritte Folge nannte Hofbauer die Entwestlichung. Wir würden dies in unserer transatlantischen Blase nicht in dieser Weise wahrnehmen. Aber der Verlust der Bedeutung des Dollars, der Aufbau von neuen Handelswegen («Neue Seidenstrasse») und das Zusammenwachsen der asiatischen Länder drängt die Bedeutung des Westens weltweit zurück.

Zur Neutralität von Österreich und der Schweiz

In der anschliessenden Diskussion ging es unter anderem um die Frage, ob die EU und die USA differierende Interessen haben. Nach Hofbauers Meinung kann man nicht davon ausgehen, dass die USA die EU immer vor sich hertreibt, denn oftmals habe die EU eine Vorreiterrolle in der Entwicklung des Konfliktes gespielt.

Des Weiteren ging es darum, welche Bedeutung die wachsende Kriegsbeteiligung des Westens auf die Schweizer und österreichische Neutralität hat. In beiden Ländern sei der allergrösste Teil der Bevölkerung für die Beibehaltung der Neutralität. Hingegen werde in beiden Ländern in den Medien kontinuierlich daran gearbeitet, die Stimmung in der Bevölkerung in Richtung einer Aufweichung der Neutralität zu verändern. Von der Seite Österreichs gebe es keine Beteiligung an Kampfhandlungen in der Ukraine, es würden seines Wissens auch keine Waffen geliefert. Hingegen sei man an den Sanktionen beteiligt.

In Bezug auf die Schweiz wurde die Frage aufgeworfen, ob die am 11. April mit über 130 000 Unterschriften eingereichte eidgenössische Volksinitiative mit dem Titel «Wahrung der schweizerischen Neutralität» sich nicht negativ auswirken könnte, sollte sie in der Volksabstimmung keine Mehrheit finden. Aus dem Publikum wurde dazu erläutert, dass bis zur Abstimmung noch etwa zwei Jahre vergehen werden. Aufgrund dieses anstehenden Volksentscheids werden sich die Befürworter der Aushöhlung der Neutralität – begleitet von einer schleichenden Annäherung an die Nato – äusserst zurückhaltend verhalten müssen, um den Befürwortern der Neutralitätsinitiative nicht ungewollt zusätzlichen Auftrieb zu geben. Im Übrigen seien die zukünftigen geopolitischen Entwicklungen noch weitgehend unbekannt.

Ein weiteres Thema in der Diskussion waren die deutlich zu beobachtenden totalitären Tendenzen in der EU und insbesondere auch in Deutschland. Hannes Hofbauer griff dabei auf seine Analyse im Buch «Zensur» zurück, indem er erklärte, dass die Zensur eine lange Tradition habe und immer umgangen werde. Es sei aber zu beobachten, dass man nicht nur mit direkter Zensur, sondern auch «der kleinen Schwester der Zensur» – totschweigen und diffamieren – und dem «grossen brutalen Bruder der Zensur» – umbringen und wegsperren – bestimmte Meinungen nicht mehr zulassen wolle.

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