Neuerscheinung
«Aufbau einer gerechten Weltordnung»
Ein neues funktionales Paradigma der Menschenrechte
von Johannes van Aggelen*
(14. Februar 2022) Alfred de Zayas' «Building a Just World Order» ist ein faszinierendes und gelehrtes Buch, das in vierzehn Kapiteln das Spektrum der Menschenrechtsfragen abdeckt, mit denen sich das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte befasst, in dem der Autor mehr als zwei Jahrzehnte lang als leitender Jurist tätig war und dem er auch als Berater und unabhängiger UN-Experte für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung (2012–2018) diente.
In seinen 14 Berichten, die er dem UN-Menschenrechtsrat und der Generalversammlung vorgelegt hat, beweist Professor Alfred de Zayas, dass UN-Berichterstatter mehr sein können als Bürokraten, Papierschieber, Ideologen, Politiker oder wortgewandte Manager.
Jeder Bericht hat einen Mehrwert, und dieses Buch, das auf diesen Berichten aufbaut, ist keine blosse Zusammenstellung von im Internet verfügbaren Informationen, sondern bietet eine kohärente Analyse der Herausforderungen, vor denen der UN-Generalsekretär, der Hohe Kommissar, der Menschenrechtsrat und die Zivilgesellschaft stehen, wenn es darum geht, Probleme zu erkennen und pragmatische und umsetzbare Lösungen zu entwickeln.
Bücher wie dieses geben uns Hoffnung, dass das manchmal schwerfällige und sklerotische System zum Schutz der Menschenrechte doch noch etwas bewirken kann und die Gesetzgeber dazu inspiriert, über Lippenbekenntnisse zu
den Menschenrechten hinauszugehen und die notwendigen Gesetze und Durchsetzungsmechanismen zu verabschieden. Die Vision des Autors ist, dass mit Beharrlichkeit und gutem Willen die Menschenrechte juristisch verankert, einklagbar und durchsetzbar gemacht werden können.
Ein neues Funktionsparadigma der Menschenrechte
Was dem Leser angesichts von 480 Seiten dichtem Text und Tausenden von Fussnoten auffällt, ist die logische Anordnung der einzelnen, aber miteinander verknüpften Themen, die der Autor methodisch angeht, indem er den Leser an die Hand nimmt, ihn durch die Menschenrechtsarena führt, die Realpolitik der Konfliktverhütung, der Friedensschaffung, der nachhaltigen Entwicklungsziele, der Verwirklichung von wirtschaftlicher und handelspolitischer Gerechtigkeit erläutert und mit einem neuen funktionalen Paradigma der Menschenrechte abschliesst.
Das Buch beschreibt die Aufgaben und Möglichkeiten der UN-Berichterstatter, geht auf die Mechanismen zur demokratischen Durchsetzung der Menschenrechte ein, schlägt konkrete Reformen für den Sicherheitsrat und das UN-Sekretariat vor, erklärt Frieden zum Menschenrecht, prangert überbordende Militärausgaben an, plädiert für Abrüstung für menschliche Sicherheit, stellt fest, dass die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker ein entscheidender Mechanismus zur Konfliktverhütung ist, fordert, dass sich die «Herrschaft des Rechts» zur Herrschaft des Rechts entwickelt, erklärt das Recht auf Information zusammen mit dem Recht auf Wahrheit zu einer «conditio sine qua non» für eine funktionierende Demokratie, schlägt eine Charta der Rechte von Hinweisgebern vor, die als Menschenrechtsverteidiger anerkannt werden sollten, bekräftigt das völkerrechtliche Verbot der Anwendung von Gewalt und der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, befasst sich mit dem Verhältnis zwischen Wirtschaft und Menschenrechten, erörtert das Für und Wider von öffentlich-privaten Partnerschaften, schlägt eine internationale Steuerbehörde vor, eine internationale Steuerbehörde, eine Finanztransaktionssteuer und die Kriminalisierung von Steueroasen vor, fordert die Abschaffung von Investor-Staat-Schiedsverfahren, da diese gegen Artikel 53 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge verstossen und «contra bonos mores» sind, empfiehlt eine Reform der Bretton-Woods-Institutionen und stellt sicher, dass Weltbank und IWF gemeinsam und nicht gegen Menschenrechte und Entwicklung arbeiten.
Prägnanz, Klarheit und kompromisslose Ethik
Zwei Kapitel dieses vielschichtigen Buches zeichnen sich durch ihre Prägnanz, Klarheit und kompromisslose Ethik aus:
• Kapitel 2, in dem 25 Prinzipien der internationalen Ordnung formuliert werden, und
• Kapitel 12, das der bahnbrechenden Mission des Autors nach Venezuela gewidmet ist, der ersten eines UN-Berichterstatters seit 21 Jahren.
Die de Zayas-Prinzipien der internationalen Ordnung (S. 46–60) wurden von der Präsidentin der UN-Generalversammlung 2018–19, Maria Fernanda Espinosa, als eine «moderne Magna Carta“ bezeichnet. Wenn sich die internationale Gemeinschaft darauf einigt, sie umzusetzen, und dabei über die Resolutionen 2625 und 3314 der Generalversammlung hinausgeht, könnte der gerechte Frieden im 21. Jahrhundert gewährleistet werden.
De Zayas stützt sich auch auf die wichtige Arbeit von Virginia Dandan, die als unabhängige UN-Sachverständige für internationale Solidarität eine einschlägige Erklärung verfasst hat, die noch immer auf die Annahme durch die UN-Generalversammlung wartet.
Die Menschenwürde, die Quelle aller Menschenrechte
Professor Carlos Correa, Exekutivdirektor des South Centre, lobt das Buch dafür, dass es ein neues funktionales Paradigma der Menschenrechte vorschlägt, das die künstliche Unterteilung der Rechte in solche der so genannten ersten, zweiten und dritten Generation aufgibt.
Was die Welt braucht, ist die Anerkennung, dass es Grundrechte wie das Recht auf Frieden, Nahrung, Wasser, Unterkunft, Gesundheitsversorgung und Bildung gibt, die zwangsläufig Vorrang vor bestimmten bürgerlichen und politischen Rechten haben.
Letzten Endes dient das gesamte Gebäude des Menschenrechtsschutzes dazu, sicherzustellen, dass wir alle gleiche Voraussetzungen haben, um unsere Persönlichkeit zu entwickeln und unser Potenzial zu entfalten, frei von rassischer, religiöser oder sprachlicher Diskriminierung, ohne künstlichen Druck durch staatliche oder private Zensur und «politische Korrektheit» ertragen zu müssen.
Auf Seite 447 definiert de Zayas das Konzept wie folgt: «Die universellen Menschenrechte stellen ein ganzheitliches System von voneinander abhängigen Ansprüchen und Freiheiten dar. ‹Universell› bedeutet jedoch nicht homologiert oder unempfindlich gegenüber kulturellen Eigenheiten. […] Die Menschenwürde, die Quelle aller Menschenrechte, diktiert notwendigerweise Prioritäten – eine Hierarchie, die auf gesundem Menschenverstand und gegenseitigem Respekt beruht. [...] Die Kodifizierung ist noch nicht abgeschlossen, da eine fortgesetzte Normsetzung notwendig bleibt, um den praktischen Ausdruck und die Ausübung der Menschenwürde besser zu schützen.»
De Zayas’ Mission in Venezuela
Das Kapitel über die de Zayas Mission in Venezuela zeigt, dass die illegalen einseitigen Zwangsmassnahmen der USA gegen Venezuela die Hauptursache für das Leid in diesem Land sind. Die zweite UN-Berichterstatterin, die Venezuela besuchte, Professor Alena Douhan, bestätigte in ihrem Bericht, der dem UN-Menschenrechtsrat im September 2021 vorgelegt wurde, die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen des Zayas-Berichts von 2018, der zur Freilassung Hunderter politischer Gefangener, zur Stärkung der venezolanischen Zusammenarbeit mit UN-Organisationen, darunter FAO, UNDP, UNHCR und WHO, und zur Eröffnung eines Büros des Hochkommissars für Menschenrechte in Caracas führte.
Durch den nicht-konfrontativen Ansatz von de Zayas gelang es, Vertrauen aufzubauen und die Freilassung eines in El Helicoide inhaftierten deutschen Journalisten, Billy Six, im März 2019 zu ermöglichen (S. 438)
«Audiatur et altera pars»
De Zayas glaubt an das Prinzip «audiatur et altera pars» (alle Seiten anhören) – in diesem Buch und in all seinen 14 Berichten holt de Zayas proaktiv die Fakten von allen Seiten ein und bewertet die Argumente pro und contra. Manche halten de Zayas für einen emblematischen, ja geradezu quixotischen Berichterstatter, der sich nicht scheut, vom Mainstream-Narrativ abzuweichen, und bereit ist, wegen seiner Kühnheit, Tabus zu brechen, ernsthaftes Mobbing von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen (S. 429) und sogar vom Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR) (S. 188) zu ertragen. Dies mag auch erklären, warum er von der, wie er es nennt, «Menschenrechtsindustrie» (S. 447) ignoriert wurde, die genauso gut den Status quo verteidigen würde.
Abschliessende Bemerkung
Dieses Buch dürfte viele Leser ansprechen, nicht nur die «Experten». Es gehört in jede juristische Fakultät und jeden politikwissenschaftlichen Lehrstuhl. Benutzerfreundlich in Ansatz und Inhalt, eignet es sich ohne weiteres als Lehrbuch für Menschenrechte und veranschaulicht die Maxime «si vis pacem cole justitiam» – wenn du Frieden willst, kultiviere soziale Gerechtigkeit. Wie Professor Carlos Villán Duran, Präsident der Spanischen Gesellschaft für internationales Menschenrecht, schrieb: «Diese klare, praktische, unabhängige und pragmatische Studie ist ein ‹mode d'emploi› für die Verwirklichung einer auf Regeln basierenden internationalen Ordnung im Rahmen der UN-Charta». Dieser Einschätzung können wir uns anschliessen.
* Dr. Johannes van Aggelen hat an der McGill University promoviert. Von 1980 bis 2007 war er Mitarbeiter der Menschenrechtsabteilung der Vereinten Nationen in Genf, Schweiz. Er hat über 200 Briefings zum Menschenrechtsprogramm in Englisch, Französisch, Deutsch, Niederländisch, Spanisch und Arabisch gehalten. Darüber hinaus hat er Gastvorträge an Institutionen auf der ganzen Welt gehalten und ist ein produktiver Autor über das Völkerrecht in verschiedenen Sprachen. |
(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)