Gefälschte Nachrichten, gefälschte Geschichte, gefälschtes Recht

Alfred de Zayas
(Bild zvg)

von Alfred de Zayas,* Genf

(4. April 2022) «Fake news» sind ein weit verbreitetes Phänomen – nicht nur in Kriegszeiten, sondern auch in den täglichen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen. «Fake news» werden nicht nur von Regierungen und ihren Bevollmächtigten verbreitet, sondern auch von der Privatwirtschaft, von Medienkonglomeraten, von Einzelpersonen in ihrer Korrespondenz, in Klatsch und Tratsch, in den sozialen Medien und über das Internet eingesetzt.

Gefälschte Nachrichten (Fake News)

Gefälschte Nachrichten sind in Europa ebenso weit verbreitet wie in den Vereinigten Staaten, in Lateinamerika, Afrika und Asien. Offensichtlich falsche Geschichten, Operationen unter falscher Flagge und fingierte Vorfälle werden von den Regierungen ausgeheckt, um ihre Politik zu rechtfertigen, wobei willfährige Konzernmedien als Echokammern der von den Regierungen verbreiteten Propaganda fungieren.

Vorgeblich unabhängige Journalisten (mit eigener Agenda) zögern nicht, beweislose Behauptungen zu drucken, die sich auf anonyme Beamte oder Zeugen berufen und von «geheimen Nachrichtendiensten» unterstützt werden. So entsteht eine «fragmentierte Wahrheit», und niemand weiss wirklich, was die Wahrheit ist; jeder hält an seinen eigenen Ansichten fest und weigert sich, alternative Versionen der Fakten in Betracht zu ziehen.

Was den Zugang zu zuverlässigen Informationen, die Meinungsfreiheit und die freie Meinungsäusserung betrifft, leben wir in einer zunehmend polarisierten, intoleranten und unnachgiebigen Welt.

Nur widerwillig müssen wir anerkennen, dass es «Fake News» schon immer gab, mit dem Unterschied, dass in der Vergangenheit nur Regierungen gefälschte Nachrichten verbreiteten, nur Regierungen die öffentliche Meinung erfolgreich manipulieren konnten, während heute jeder, der Zugang zum Internet hat, sich ebenfalls einmischen kann.

Aus Erfahrung wissen wir auch, dass alle Medien – CNN, BBC, DW, NYTimes, Washington Post, The Times, The Economist, Le Monde, Le Figaro, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung, El Pais, El Mundo, RT, Sputnik, CGTN, Asia Times, Telesur – die Nachrichten in eine bestimmte Richtung lenken. Sie zitieren ihre bevorzugten Spin-Doktoren und verdrehen die Tatsachen, lügen hier und da, unterdrücken unbequeme Fakten und Meinungen oder wenden schamlos doppelte Standards an.

Gefälschte Geschichte (Fake History)

Die Wahrnehmung von Zeitereignissen führt schliesslich zu einer «gefälschten Geschichte», die zwangsläufig auf dem ständigen Fluss von überprüfbaren Informationen und gefälschten Nachrichten aufbaut.

Als angehender Historiker, der Kurse an der Harvard Graduate School of Arts and Sciences belegte (zur gleichen Zeit, als ich meinen Abschluss in Jura machte), als Doktorand in Geschichte an der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen in Deutschland, lernte ich, historische Erzählungen zu hinterfragen, die Quellen zu prüfen und auf den sieben C's der Geschichtsschreibung zu bestehen: chronology, context, coherence, comprehensiveness, causality, comparison and cui bono [Chronologie, Kontext, Kohärenz, Vollständigkeit, Kausalität, Vergleich und cui bono (wer profitiert von einem Ereignis und einer bestimmten Interpretation)].

Mir wurde beigebracht, mich nie auf eine einzige Quelle zu verlassen, sondern proaktiv nach alternativen Sichtweisen zu suchen, zu prüfen, ob die gängige Darstellung in Frage gestellt werden kann, ob die nachträgliche Veröffentlichung von zuvor als geheim eingestuften Dokumenten, die Memoiren von Machern, Politikern und Diplomaten auf die Notwendigkeit hinweisen, die gängige Darstellung zu ändern.

Meine Recherchen für meine Veröffentlichungen über den Spanischen Bürgerkrieg und über den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen haben mich davon überzeugt, dass Geschichtsbücher nicht sehr zuverlässig sind, dass einige von ihnen im Wesentlichen zu starke Vereinfachungen verbreiten, die entscheidende Fakten ignorieren, dass längst entlarvte Schreckgespenster ihren Weg in das Mainstream-Narrativ gefunden haben und manchmal zu einer Karikatur der Ereignisse führen.

Die Punkte miteinander verbinden

Meine Recherchen in öffentlichen und privaten Archiven in den USA, Kanada, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Deutschland, der Schweiz und Spanien sowie meine Fähigkeit, die Originaldokumente in Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Niederländisch und Russisch zu lesen, haben meinen Horizont weit über die akzeptierten Darstellungen hinaus erweitert.

Andererseits wurde mir klar, dass Archive unvollständig und unbequeme Dokumente vernichtet sein können, dass relevante Informationen weiterhin geheim gehalten werden.

Persönliche Interviews mit Schlüsselfiguren wie George F. Kennan, Robert Murphy, James Riddleberger, Lord Strang, Lord Paget, Lord Weidenfeld, Lord Thomas, Sir Geoffrey Harrison, Sir Denis Allen, Telford Taylor, Benjamin Ferencz, Howard Levie, Albert Speer, Karl Dönitz, Otto von Habsburg, Kurt Waldheim, fügten fehlende Verbindungen und Nuancen hinzu. Ich war in der Lage, die Punkte miteinander zu verbinden.

Ich erkannte auch, dass die optimistische Erwartung, dass die historische Darstellung mit der Zeit und dem Abklingen der Emotionen objektiver wird, eine traurige Illusion ist.

Häufig geschieht genau das Gegenteil, denn wenn die Eingeweihten verschwinden, wenn Zeugen sterben und niemand mehr übrig ist, der die politisch nützliche Erzählung bestreiten könnte, wird die Pseudogeschichte zementiert und setzt sich als gesellschaftlich akzeptierte Erzählung durch.

Ausgehend von meinen Erfahrungen bei der Erforschung historischer Ereignisse des 20. Jahrhunderts bin ich überzeugt, dass unser Wissen über die griechische und römische Zeit, unsere Wahrnehmung des Mittelalters, der Renaissance und der napoleonischen Ära erschreckend unvollständig sein muss. Mir ist auch klar, dass es sehr schwierig sein wird, die etablierten Erzählungen zu ändern – es sei denn, es kommt zu einer aussergewöhnlichen Entdeckung von bisher unbekannten Manuskripten der diplomatischen oder kommerziellen Korrespondenz, von Papyrus- oder Keilschrifttafeln.

Gefälschtes Recht (Fake Law)

Was mich erstaunt, ist, dass anscheinend niemand über «gefälschtes Recht» spricht. In der Tat «erfinden» Politiker und Journalisten häufig das Recht nach Belieben und behaupten, dass das, was eine Lobby oder eine Interessengruppe als Recht bezeichnet, tatsächlich Rechtskraft besitzt, als ob Recht und rechtliche Verpflichtungen spontan entstehen könnten, ohne dass alle Gesetze, Verträge und Konventionen ausgearbeitet, verhandelt und angenommen oder von den Parlamenten ratifiziert werden.

Wir müssen uns vor dem lockeren Gebrauch von Rechtsbegriffen hüten, der die Autorität und Glaubwürdigkeit des Rechts untergräbt. Nicht jede militärische Auseinandersetzung ist eine «Aggression», nicht jedes Massaker ist ein «Völkermord», nicht jede sexuelle Belästigung kann als «Vergewaltigung» bezeichnet werden. Auch ist nicht jeder inhaftierte Politiker ein «politischer Gefangener» und nicht jeder Migrant ein «Flüchtling».

Und doch wird in dieser pseudo-juristischen Arena viel übertrieben und politisch agitiert, viel politische Erpressung auf der Grundlage von gefälschtem «Recht» praktiziert, viel Propaganda vom Durchschnittsbürger tatsächlich geglaubt. Mundus vult decepi (die Welt will getäuscht werden).

Unilaterale Zwangsmassnahmen?

Politiker, die Sanktionen verhängen wollen, bestehen darauf, dass diese legal sind, ohne jedoch die Rechtsgrundlage zu erläutern. Im klassischen Völkerrecht sind unilaterale Zwangsmassnahmen nicht legal. Die einzigen legalen Sanktionen sind diejenigen, die vom UN-Sicherheitsrat gemäss Artikel VII der Charta verhängt werden. Alle anderen einseitigen Zwangsmassnahmen stellen in Wirklichkeit eine rechtswidrige «Anwendung von Gewalt» dar, die nach Artikel 2 Absatz 4 der Charta verboten ist und im Widerspruch zu Artikel 2 Absatz 3 steht, der Verhandlungen nach Treu und Glauben verlangt.

Darüber hinaus verstösst die extraterritoriale Anwendung nationalen Rechts (z.B. das Helms-Burton-Gesetz1) gegen zahlreiche Grundsätze der Vereinten Nationen, darunter die souveräne Gleichheit der Staaten, die Selbstbestimmung der Völker, die Handelsfreiheit und die Freiheit der Schifffahrt. Jeden Tag erfinden Politiker und Medien ihr eigenes Recht – aber es ist ein falsches Recht. Leider verbreiten die Medien das «falsche Recht» einfach als eine Art «Fake news» – und die Menschen glauben es.Menschenrecht auf Migration?

Einige Politiker geben vor, dass es ein «Menschenrecht auf Migration» gibt, nennen aber weder einen Vertrag noch eine Lehrmeinung. Natürlich kann jeder souveräne Staat seine Grenzen grosszügig öffnen und sowohl Wirtschaftsmigranten als auch Flüchtlinge aufnehmen, aber diese Öffnung der Grenzen wird nirgendwo vom internationalen Recht gefordert. Seit dem Westfälischen Frieden besteht die eigentliche Ontologie eines souveränen Staates darin, dass er seine Grenzen kontrolliert und bestimmt, wer sein Territorium betreten darf und wer nicht. Dies ist Völkergewohnheitsrecht, das in jedem Lehrbuch anerkannt wird.

Natürlich gibt es auch die UN-Konvention über die Rechte der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen (MWK), aber diese Konvention gilt nur für Wanderarbeitnehmer, die bereits in das Hoheitsgebiet eingereist sind und über ordnungsgemässe Papiere verfügen. Ausserdem begründet die Konvention kein Recht auf Migration, sondern legt nur die Rechte von Wanderarbeitnehmern fest, die im Hoheitsgebiet des Staates leben. Es ist auch anzumerken, dass nur 56 Länder die MWK ratifiziert haben – nicht die USA, Kanada, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, die Niederlande, Norwegen, Schweden, Dänemark, Spanien usw.

Gefälschte Diplomatie (Fake Diplomacy)

Allzu oft werden wir mit einer Kombination aus gefälschten Nachrichten, gefälschter Geschichte und gefälschtem Recht konfrontiert – ein sehr giftiger Cocktail für jede Demokratie.

Leider ist das gefälschte Recht zu einer Lieblingswaffe von Demagogen und falschen «Experten» und «Diplomaten» geworden, die sich genüsslich an dem beteiligen, was man als «gefälschte Diplomatie» bezeichnen könnte. Das Ziel besteht in diesem Fall nicht darin, eine vernünftige Verhandlungslösung zu erreichen, sondern vielmehr darin, in der Gladiatorenarena der Machtpolitik zu punkten, unter pflichtbewusster Mitwirkung einer launischen Konzernpresse.

Die erfolglosen Begegnungen zwischen Putin und Biden, zwischen Lawrow und Blinken gehören in diese Kategorie der «gefälschten Diplomatie». In der Tat wird es sehr schwierig sein, mit echter Diplomatie im Sinne von George F. Kennan voranzukommen, wenn wir nicht mit Fake news, Fake history und Fake law aufräumen.

So geht das Spiel des Säbelrasselns und der Sanktionen weiter, das die Welt in eine Situation des bewaffneten Konflikts gebracht hat, die sogar in einen Dritten Weltkrieg ausarten könnte. Dabei wird viel Geld verdient, denn nichts ist so lukrativ wie das Waffengeschäft, und der militärisch-industrielle Finanzkomplex hat ein wirtschaftliches Interesse daran, Spannungen und Krieg zu schüren.

Inquisition und Zensur?

Gibt es eine Lösung für die gefälschten Nachrichten? Demagogen würden ein Orwellsches «Wahrheitsministerium» einrichten, andere würden «Fake news» kriminalisieren (aber nur unpassende «Fake news»), wieder andere würden vorgeben, Fakten und Meinungen mit selbstgebastelten Instrumenten zu filtern, um zu bestimmen, was wahr ist und was nicht.

Niemand braucht diese Art von Inquisition und Zensur, denn weder Regierungen noch der private Sektor können die Wahrheit bewachen. Die einzige Lösung besteht darin, den Zugang zu pluralistischen Informationen und offenen Debatten zu gewährleisten.

Die Gesellschaft muss eine grössere Transparenz auf allen Ebenen fordern und proaktiv nach der Wahrheit suchen, indem sie mehrere Quellen konsultiert und eine neue Synthese erstellt, die keine «offenbarte Wahrheit» oder «unveränderliche Wahrheit» ist, sondern eine sich ständig weiterentwickelnde Wahrheit, die die Komplexität und die Nuancen der Realität vor Ort berücksichtigt.

Scheindemokratie (Fake Democracy)?

All dies wirft die Frage auf, ob wir nicht bereits in einer Scheindemokratie leben? Welche Art von Zusammenhang besteht zwischen dem Willen und den Bedürfnissen des Volkes und den Gesetzen und Vorschriften, die es regieren? Gibt es nicht eine grosse Diskrepanz zwischen den Regierungen und dem Volk?

Gibt es überhaupt demokratische Regierungen, in denen das Volk tatsächlich in vollem Umfang an der Führung der öffentlichen Angelegenheiten teilnehmen kann, wie es in Artikel 25 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vorgesehen ist? Wo wird das Initiativrecht und das Recht auf Volksabstimmungen anerkannt?

Die Bedeutung der Demokratie muss mehr umfassen als den rituellen Akt, alle zwei oder vier Jahre an die Urne zu gehen. Der demokratische Prozess muss echte Wahlmöglichkeiten bieten und nicht nur eine Pro-forma-Wahl für einen von zwei Kandidaten. In meinen Berichten an die UNO-Generalversammlung und den Menschenrechtsrat habe ich darauf hingewiesen, dass diejenigen, die gewählt werden, nicht wirklich regieren, während diejenigen, die regieren, nicht gewählt werden.

Ich habe bedauert, dass die «repräsentative Demokratie» nur dann als demokratisch bezeichnet werden kann, wenn die Parlamentarier die Wählerschaft repräsentieren, wenn sie die Wählerschaft proaktiv informieren und sich proaktiv mit ihr beraten.

Als Amerikaner habe ich festgestellt, dass die Wahlen in den USA keine wirkliche Wahl zulassen und dass wir nur das vorgetäuschte Recht ausüben können, für A oder B zu stimmen, wenn wir wissen, dass sowohl A als auch B dem militärisch-industriellen Finanzkomplex verpflichtet sind, dass beide die «Wall Street» [die Finanzwelt] und nicht die «Main Street» [Welt der Kleinbürger] unterstützen, dass beide für einen schnörkellosen Kapitalismus sind und dass beide in auswärtigen Angelegenheiten Falken sind, beide Interventionisten sind und beide lieber militärisch intervenieren als in gutem Glauben zu verhandeln.

Diese ontologische Diskrepanz hat mich zu dem Schluss gebracht, dass das Zweiparteiensystem, das wir in den Vereinigten Staaten kennen, nur doppelt so demokratisch ist wie das Einparteiensystem, das in China herrscht. Demokratie bedeutet Herrschaft durch und für das Volk. Leider kommen wir nicht in den Genuss der Demokratie und müssen uns mit dem Anstrich, mit der Pro-Forma-Rhetorik, mit den Insignien der Demokratie begnügen.

Es ist an der Zeit, dass das amerikanische Volk den Mut aufbringt, ein Ende der gefälschten Nachrichten, der gefälschten Geschichte, des gefälschten Rechts, der gefälschten Diplomatie und der gefälschten Demokratie zu fordern.

Um dies zu erreichen, müssen wir jedoch zunächst den Informationskrieg gewinnen und diejenigen besiegen, die die Öffentlichkeit systematisch einer Gehirnwäsche unterziehen. Es wird Zeit brauchen, das System zu reformieren, aber wir können uns dieser Aufgabe nicht entziehen. Das sind wir den künftigen Generationen schuldig.

* Alfred de Zayas ist Professor für Völkerrecht an der Genfer Hochschule für Diplomatie und war von 2012–2018 unabhängiger Experte der Vereinten Nationen für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung.

Quelle: https://www.counterpunch.org/2022/03/21/fake-news-fake-history-fake-law/, 21 März 2022

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://amerika21.de/2022/02/256921/eu-helms-burton-kuba-voelkerrechtswidrig

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