Das Sandkorn

Der Schweizer Bundesrat hat Recht, ausser ...

Suzette Sandoz. (Bild
https://blogs.letemps.ch/suzette-sandoz/)

von Suzette Sandoz,* Lausanne

(29. November 2022) Der Schweizer Bundesrat erlaubt Deutschland nicht, der Ukraine Munition schweizerischer Herkunft zu übergeben, weil dies gegen die Neutralität verstossen würde. Dies käme einer Bevorzugung einer der beiden Kriegsparteien gleich.

Während die Regeln zur Neutralität im wirtschaftlichen Bereich – Beispiel: internationale Sanktionen – einen gewissen Spielraum für politische Ermessensentscheidungen lassen, sind die Regeln im militärischen Bereich viel genauer und dulden keine flexible Auslegung, auch wenn das Kriegsmaterialgesetz «aussergewöhnliche Umstände» vorbehält.

Die Tatsache, dass Deutschland der Schweiz droht, keine Aufträge für Militärmaterial mehr zu erteilen, wenn sie nicht die Erlaubnis erhält, Schweizer Munition in die Ukraine zu schicken, macht deutlich, dass der wirtschaftliche Aspekt bei der Entscheidung den militärischen Aspekt überwiegen könnte, was der Glaubwürdigkeit unserer Neutralität einen tödlichen Schlag versetzen würde.

Auf militärischer Ebene gibt es keine Ausnahmen, es sei denn, es handelt sich um einen direkten Angriff oder eine Bedrohung des Landes. Möge der Bundesrat nicht den Sirenen der Kämpfer des «absolut Guten» gegen das «absolut Böse» nachgeben.

Vielleicht will Deutschland mit dem aktuellen Eifer gegen die Schweiz seine Nato-Verbündeten vergessen machen, dass es bis zum Einmarsch in die Ukraine keine besonderen militärischen Anstrengungen unternommen, sondern sich vor allem auf den Nato-Schutzschirm verlassen hat. Schliesslich könne man ja jetzt «auf die Schweiz einprügeln, um sich zu entlasten!».

Aber kann man im gleichen Atemzug tolerieren, dass der Schweizer Bundesrat den Iran für die Lieferung von Drohnen an Russland bestraft? Seit wann ist es Aufgabe der Schweiz, für weltweite Disziplin in militärischen Konflikten zu sorgen?

Ihre ureigene Aufgabe besteht darin, nie aufzuhören, den Kriegsparteien eine «Waffenstillstands»-Lösung anzubieten, und nicht darin, die einen zu bestrafen und die anderen zu loben. Sie wird nicht den geringsten Nutzen daraus ziehen, den einen Waffen zu liefern und diejenigen zu bestrafen, die den anderen Waffen liefern. Sie wird lediglich den Eindruck vermitteln, sich endlich in die Riege der «edlen Seelen» eingereiht zu haben.

Es bedarf einer grossen geistigen Unabhängigkeit und viel Mut, um den Werten der Neutralität treu zu bleiben. Das «Was wird man wohl denken» hasst diese Werte.

* Suzette Sandoz ist 1942 geboren. Sie ist Honorarprofessorin für Familien- und Erbrecht, ehemalige Abgeordnete des Grossen Rates des Kantons Waadt und ehemalige Nationalrätin.

Quelle: https://blogs.letemps.ch/suzette-sandoz/2022/11/04/le-conseil-federal-a-raison-sauf, 4. November 2022

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