Zur schweizerischen Neutralität

Die neuen Kriege und die Neutralität

Guy Mettan
(Bild zvg)

von Guy Mettan,* Genf

(30. November 2023) Die Neutralität hat in der Schweiz schon immer für Diskussionen gesorgt, und das ist auch gut so. Zwei Jahrhunderte, nachdem sie durch den Wiener Kongress formalisiert wurde, hat uns die Neutralität während der beiden Weltkriege und des Kalten Krieges gute Dienste geleistet. In den letzten drei Jahrzehnten, die von der Hegemonie der USA geprägt waren, hat sie einfach nicht mehr gedient, da die Schweiz die amerikanischen Ansichten ohne Probleme übernommen hat, da es keine Alternative dazu gab.

Ausgehend von dieser Feststellung waren die liberale Linke und die liberale Rechte nach und nach davon überzeugt, dass die Neutralität nur noch ein alter Hut sei, ein Überbleibsel aus der Vergangenheit, das man wegwerfen könne, weil es unsere Beziehungen zu einer Europäischen Union, die selbst in die Nato integriert und neutralen Ländern gegenüber misstrauisch ist, erschweren würde.

Das hat sich geändert, seit vor unserer Haustür zwei Kriege ausgebrochen sind, in der Ukraine und in Palästina. In den letzten zwanzig Monaten hat sich die Lage plötzlich verkompliziert.

In der Ukraine hat sich die Mehrheit des Landes, abgesehen von der SVP, auf die Seite der Atlantiker geschlagen und sich wie ein Mann hinter die Ukraine und gegen Russland gestellt, unter dem zweifelhaften Vorwand, dass die sogenannte kooperative Neutralität eine solche Parteinahme zulasse. Glaubt man dieser Gelegenheitsmehrheit, kann sich die Schweiz mit einseitiger humanitärer Hilfe (die ebenfalls im krassen Widerspruch zum Geist Henry Dunants steht) und dem Verbot von Waffenlieferungen an Kriegsparteien begnügen. Im gleichen Geist glaubt sie, das Recht zu haben, einseitige Sanktionen gegen Russland zu verhängen, obwohl diese nicht mit dem Völkerrecht vereinbar sind, da sie nicht von den Vereinten Nationen beschlossen wurden.

Doch plötzlich brachten die Ereignisse in Palästina diese schöne Ordnung durcheinander. Die Linke, die einstimmig pro-ukrainisch war, sieht sich nun zwischen ihrer Verurteilung des Antisemitismus und ihren propalästinensischen Sympathien zerrissen. Die liberale Rechte, die ebenfalls vollständig auf die Ukraine ausgerichtet ist, hat sich für Israel eingesetzt, obwohl dieses Land im Donbass und auf der Krim die gleiche Politik wie Russland verfolgt, indem es die Golanhöhen illegal besetzt und eine Quasi-Annexion des Westjordanlandes sowie eine faktische ethnische Säuberung in Gaza praktiziert. Ebenso findet sie keine genug harten Worte, um Putin zu geisseln, hat aber nichts gegen Netanjahu einzuwenden, der der Korruption und des Totengräbers der israelischen Demokratie beschuldigt wird. Die Mehrheit der SVP, die für eine strikte Anwendung der Neutralität eintritt, hat diese im Palästinakonflikt aufgegeben und sich auf die Seite Israels gestellt.

Das Ergebnis: Moralische Schwächen und opportunistische Haltungen treten offen zutage. Wen interessieren die Hunderttausenden von Toten, die in der Ukraine umsonst gestorben sind, da Kiew den Konflikt verliert? Wer kümmert sich um das Schicksal der von der Hamas entführten israelischen Geiseln? Wer kümmert sich um die Übergriffe – leider! – die von israelischen Truppen begangen wurden, die laut UNHCR in 30 Tagen mehr unschuldige Zivilisten und Kinder getötet haben als der Krieg in der Ukraine in 550 Tagen!

Wo bleibt da die Moral? Wo ist die Logik? Wo bleiben die Achtung des Rechts und der Schutz Unschuldiger? Alles ist im emotionalen Sturm der Ereignisse verschwunden.

Um diese erbärmlichen moralischen und politischen Niederlagen zu vermeiden, die unser Land spalten und es auf der internationalen Bühne machtlos machen – und die auch das IKRK, das humanitäre Recht und den Geist des Roten Kreuzes, die Teil unserer nationalen DNA sind, diskreditieren –, ist es dringender denn je, neutral zu bleiben.

Mut, Modernität und die Zukunft bestehen darin, neutral zu bleiben und den Frieden zu fördern. An allen Fronten.

*  Guy Mettan (1956) ist Politologe, freischaffender Journalist und Buchautor. Seine journalistische Karriere begann er 1980 bei der «Tribune de Genève» und war von 1992 bis 1998 deren Direktor und Chefredaktor. Von 1997 bis 2020 war er Direktor des «Club Suisse de la Presse» in Genf. Guy Mettan ist seit 20 Jahren Mitglied des Genfer Kantonsparlaments.

(Übersetzung aus dem Französischen «Schweizer Standpunkt»)

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  • Gute bilaterale Beziehungen zu allen Staaten pflegen

Detaillierte Informationen und Unterschriftenbogen auf: https://www.neutralitaet-ja.ch

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