Die Schweiz plant ihr Wahrheitsministerium

Ein neues Gesetz will Ordnung in digitaler Debatte – wie die EU: Freies Denken kontrollieren, statt Bürger, die denken: Demokratie ade!

von Hanspeter Gautschin*

(14. November 2025) (CH-S) Der Bundesrat will die «Rechte» der Nutzerinnen und Nutzer im digitalen Raum «stärken» und sehr grosse Kommunikationsplattformen sowie Suchmaschinen zu «mehr Fairness und Transparenz verpflichten». Dies soll mit einem Bundesgesetz durchgesetzt werden. Die Vernehmlassung dazu läuft bis zum 16. Februar 2026.1 Das Vorbild ist der «Digital Services Act» der Europäischen Union. Dieses top-down durchgesetzte Gesetz verspricht nun auch für die Schweiz obrigkeitsstaatliche Zustände. Hanspeter Gautschin zeigt in der Folge die Parallelen auf.

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Hanspeter Gautschin.
(Bild www.gautschin.com)

Es heisst unscheinbar «Bundesgesetz über Kommunikationsplattformen und Suchmaschinen» (KomPG) – klingt nach Technik, bedeutet aber: Der Staat mischt künftig bei der Meinungsfreiheit mit. Offiziell natürlich nur, um Hass und Fake News zu bekämpfen. Inoffiziell, um das Denken zu lenken.

Das KomPG ist die Kopie des EU-Gesetzes «Digital Services Act» (DSA), ein Bürokratiemonster, das vorgibt, Ordnung ins Netz zu bringen, tatsächlich aber ein Zensurapparat mit Verwaltungslogo ist.

Dort müssen Plattformen Inhalte löschen, wenn jemand sie meldet. Was als illegal oder irreführend gilt, entscheiden Behörden, NGOs oder sogenannte «Trusted Flaggers». Das sind staatlich zertifizierte Wahrheitsverwalter. Das Resultat: Die Plattformen löschen lieber zu viel als zu wenig. Denn wer nicht löscht, zahlt: bis zu sechs Prozent des weltweiten Umsatzes. So funktioniert Zensur heute – nicht mit Stasi, sondern mit Strafen.

Nun will der Bundesrat dasselbe Spiel, einfach auf Schwiizerdütsch. Die grossen Plattformen sollen Meldeverfahren einführen, Beschwerdestellen betreiben und Nutzer sperren, wenn sie «rechtswidrige Inhalte» verbreiten. Was rechtswidrig ist, sagt das Gesetz natürlich nicht. Das klärt dann eine «vertrauenswürdige» Stelle.

Heute schon reicht in der Schweiz ein empörter Klick, um juristischen Ärger zu bekommen, wenn man öffentlich sagt, dass es Mann und Frau gibt. Und dieser Irrsinn soll jetzt gesetzlich verankert werden? Das ist kein Schutz der Bürger – das ist Schutz vor Bürgern.

Hinter dem freundlichen Etikett «Vertrauensstelle» steckt ein gefährlicher Gedanke: Ein kleiner Kreis von Organisationen entscheidet, was gesagt werden darf. NGOs, Behörden, vielleicht irgendwann auch Medienhäuser – alle dürfen melden, was ihnen nicht passt.

Plattformen reagieren reflexartig: löschen, sperren, tilgen. Ein Missbrauch ist programmiert. Denn wer die Macht hat, zu melden, bestimmt, was bleibt. Das ist nicht Demokratie, das ist digitale Planwirtschaft.

Im EU-Vorbild gibt es sogar einen Notfall-Paragrafen. Im Krisenmodus darf die Kommission direkt Anweisungen an Plattformen erteilen. Was eine Krise ist, definiert sie selbst. Gesundheitskrise? Krieg? Falsche Meinungen vor einer Abstimmung? Einmal aktiviert, ist dieser Hebel der Traum jedes Kommunikationsstrategen. Und die Schweiz?

Natürlich «übernimmt» sie nur das, was nötig ist. Heisst übersetzt: Sobald Brüssel hustet, werden auch hierzulande Masken für Gedanken verteilt. Der Bundesrat verkauft das KPSG als «milde Regulierung». Er wolle nur Transparenz schaffen, Missbrauch verhindern, Fairness fördern. Das klingt nach Schulaufsatz, riecht aber nach Kontrolle. Man will nicht zensieren, nur «moderieren». Man will nicht bestrafen, nur «reagieren». Man will nicht bestimmen, was stimmt, nur «prüfen». Doch jeder, der weiss, wie Macht funktioniert, erkennt das Spiel: Zuerst kommen Meldeknöpfe. Dann Algorithmen. Dann der Stillstand.

Die Plattformen haben Angst vor Millionenbussen. Also löschen sie. Nicht, weil sie wollen, sondern weil sie müssen. Das nennt man Overblocking: lieber hundert legale Beiträge löschen als einen unliebsamen zu viel stehen lassen.

So entsteht eine neue, subtile Form der Zensur. Nicht durch Gesetze allein, sondern durch Angst, Konformität und den Reflex, Konflikte zu vermeiden. Das ist der Punkt, an dem Demokratie leise zu sterben beginnt.

Natürlich klingt alles schön: Schutz vor Hass, Schutz vor Diskriminierung, Schutz vor Falschinformationen. Nur: Wer definiert das alles? Und wer schützt uns vor den Beschützern?

Die WHO spricht inzwischen von einer «Infodemie»: zu viel Widerspruch gegen die offizielle Wahrheit. Brüssel, Berlin, Bern nicken brav. Und als wäre das nicht grotesk genug, eröffnet Bundesrat Albert Rösti im Verkehrshaus eine Ausstellung über «Fake News» – ausgerechnet produziert von der SRG.

In überlebensgrossen Videowänden erklären SRF-, RTS- und RSI-Gesichter, wie Manipulation in den Medien funktioniert. Man möchte applaudieren: Endlich reden sie über sich selbst. Die Schau heisst «Wirklich» und will laut Eigenwerbung «für Medienkompetenz sensibilisieren». In Wahrheit ist sie eine Messe des Selbstlobs – ein Beichtstuhl für Journalisten, die ihre Sünden in Dauerschleife wiederholen.

Wenn der grösste Empfänger von Zwangsgebühren als Wahrheitslehrer auftritt, ist das kein Beitrag zur Aufklärung, sondern zur Ironiegeschichte der Schweiz. Freiheit stirbt selten im Donner der Kanonen. Sie stirbt im Applaus der Gutmeinenden. Erst heisst es, man müsse den Diskurs zivilisieren. Dann heisst es, man müsse ihn moderieren. Und am Schluss ist er weg.

Das KPSG ist kein Kommunikationsgesetz – es ist ein Misstrauensgesetz. Misstrauen gegenüber dem Bürger, der selbst denkt, redet und zweifelt. Der «Digital Services Act» der EU hat gezeigt, wohin der Weg führt: Bürokratie, Angst, Schweigen. Wenn Bern nun denselben Pfad geht, wird der digitale Marktplatz zur staatlich kontrollierten Fussgängerzone.

Wer glaubt, das diene der Demokratie, hat sie nicht verstanden. Demokratie ist Streit, Widerspruch, Reibung. Man kann das nicht moderieren wie eine Fernsehsendung. Die Schweiz braucht kein Gesetz, das das Denken beaufsichtigt. Sie braucht Bürger, die es benutzen.

Wer dem Staat das Recht gibt, Meinungen zu prüfen, darf sich nicht wundern, wenn er am Schluss selbst auf dem Prüfstand steht.

* Hanspeter Gautschin ist in Oberdorf BL (Schweiz) aufgewachsen, und ist nach mehr als 40 Jahren dorthin zurückgekehrt. Sein beruflicher Weg führte ihn durch vielfältige Stationen im Kulturbereich – vom Konzertveranstalter und Kulturförderer bis hin zum Museumsdirektor. Das Erzählen von Geschichten, das Festhalten besonderer Erlebnisse und das reflektierende Nachdenken über das Leben fasziniert ihn. https://www.gautschin.com/

Quelle: https://insideparadeplatz.ch/2025/10/31/die-schweiz-plant-ihr-wahrheitsministerium/, 31. Oktober 2025

1 vgl. https://www.bakom.admin.ch/de/newnsb/6TmEAde4htulaWG9CWYtK

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