Schweiz

E-Voting – eine Gefahr für die Demokratie

Marita Brune. (Bild zvg)

Software-Panne bei Auszählung der Stimmen bei der Nationalratswahl

von Marita Brune

(16. November 2023) Am 22. Oktober 2023 ist dem schweizerischen Bundesamt für Statistik ein folgenschwerer Fehler unterlaufen, folgenschwer weniger für die Ergebnisse der Schweizer Nationalratswahlen als vielmehr für das Vertrauen der Bürger in die Demokratie. Damit stellt sich wieder einmal die grundlegende Frage nach den Risiken des E-Votings. Denn das falsche Ergebnis entstand durch ein Software-Problem: Drei Kantone arbeiteten mit einer älteren Version, bei der Übermittlung der Ergebnisse an den Bund entstand der Fehler.

Marcel Joppa sprach darüber in «Radio Kontrafunk» mit Claudio Zanetti,1 ehemaliger Nationalrat und Schweizer PR-Unternehmer.

Für Claudio Zanetti macht diese Panne ein grundlegendes Problem beim E-Voting deutlich. Der Bürger müsse sich auf die Zahlen verlassen können. «Merkel sagte vor Jahren einmal, Demokratie sei die Staatsform des Vertrauens. Und sie dachte natürlich, vor allem ihr müsse man vertrauen. Das halte ich für Unsinn. Demokratie ist die Staatsform des Misstrauens, des organisierten Misstrauens.»

Er spricht hier eines der Grundprinzipien der Demokratie an: Dem König oder Regenten sollten die Untertanen vertrauen, er hatte seine Macht von Gott verliehen bekommen. Doch die Untertanen realisierten, dass man den Mächtigen nie trauen kann, allzu leicht missbrauchen sie ihre Macht. Also entwickelte man mit der Zeit eine Staatsform, mit der die Machthaber kontrolliert und ihre Macht beschränkt werden konnte: Die Demokratie.

Zanetti fährt fort: «Deshalb haben wir nämlich auch Wahlen, deshalb haben wir ‹Checks and Balances›, deshalb haben wir Gewaltenteilung, haben wir Amtszeiten und so weiter. Aber, wo der Bürger vertrauen können muss, ist in das Verfahren. Das ist ein verfassungsmässiger Anspruch, auch in Deutschland, in jeder Demokratie. Das eruierte Ergebnis muss richtig sein und ich muss nicht mit irgendwelchen Überraschungen rechnen.»

Stimmzettel aus Papier sind nachzählbar im Prinzip für jedermann. (Bild zvg)

«E-Voting sollte man überhaupt nicht machen»

Für Zanetti ist die Schlussfolgerung klar: «E-Voting sollte man überhaupt nicht machen.» Die Verwaltung wolle das unbedingt, das sei deren Steckenpferd. Man würde argumentieren, dass nur auf diese Weise viele Auslandschweizer und -schweizerinnen an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen könnten. Zanetti meint dazu grundsätzlich: «Aber ich bin nicht bereit, dieses Risiko zu akzeptieren, denn die Gefahren sind einfach zu gross.» Am Wahlabend müssten die Bürger darauf vertrauen können, «dass es nicht zu irgendeiner Computerpanne gekommen ist. Oder selbst, wenn man sagt, ja da war etwas, aber wir haben es in Ordnung gebracht – es darf nicht sein, dass der Bürger darauf vertrauen muss. Wenn ich einen ganz normalen Stimmzettel ausfülle, den in die Urne werfe oder per Post einschicke, dann könnte ich diese zur Not nachzählen, sie sind physisch vorhanden. Aber wenn das elektronisch geht, dann habe ich meine ganze Macht an die Verwaltung abgegeben und das halte ich für höchstproblematisch.»

Zum Argument der Verwaltung meint er: «Nehmen wir die Auslandschweizer. Da haben wir Schweizer in Afrika und Südamerika, und wir kriegen von dort dann irgendwelche Daten geschickt und dann müssen wir glauben, dass das alles stimmt. Dann würden wir unsere Demokratie verwundbar machen in einem Bereich, wo sie eben nicht verwundbar ist. Es tut mir leid für die Leute, die so weit weg wohnen, dass sie die Post zum Teil zu spät erhalten, aber das kann nun wirklich nicht das Problem der ganzen Schweiz sein.»

Überprüfbarkeit ohne spezielle Vorkenntnisse

Marcel Joppa hält seinen Argumenten entgegen, dass die Befürworter das E-Voting mit mehr Personal und mehr Kontrollen sicherer machen wollten. Dem entgegnet Zanetti, das sei typisch, man fordere mehr Personal, alles würde teurer. Stattdessen fordert er: «Es muss einfacher sein und die Prozesse müssen transparent sein, damit diese auch von einem Bürger ohne spezielle Vorkenntnisse überprüft werden können. Das hat übrigens auch das deutsche Verfassungsgericht mal in einem ähnlich gelagerten Fall festgehalten, es hat gesagt, nein dieses elektronische Zeug braucht es nicht, denn der Souverän muss nachvollziehen können, auch ohne besondere Fähigkeiten, was da passiert. Und das scheint mir einfach eine unglaublich wichtige Voraussetzung, dass eine Demokratie funktionieren kann, weil sonst sind wir einfach darauf angewiesen, dass die uns nicht belügen, und wir wissen ja, wie gerne Politiker lügen.»

1 Marcel Joppa interviewt Claudio Zanetti, Kontrafunk aktuell, 31. Oktober 2023
https://kontrafunk.radio/de/sendung-nachhoeren/politik-und-zeitgeschehen/kontrafunk-aktuell/kontrafunk-aktuell-vom-31-oktober-2023

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