CH–EU
Mehr Demokratie für die Europäische Union!
Die EU-Verträge nüchtern betrachtet
von Thomas Scherr*
(19. Dezember 2025) Eine neblig-laue Berichterstattung prägt die schweizerische Debatte über die Europäische Union. Am 13. Juni 2025 wurden die Verträge mit der Europäischen Union nach Wochen der Geheimnistuerei zusammen mit einem 931 Seiten langen «Erläuternden Bericht» zur Vernehmlassung vorgestellt.
im Universum reisst Brüssel Kompetenzen seiner Mitgliedsstaaten
an sich.» (Bild wikipedia)
Nach Bekanntgabe hätte man eine lebhafte, argumentenreiche Debatte in den Medien erwartet. Stattdessen – es plätschert… und wenn berichtet wird, dann «sachlich», «positiv» und «neutral», so als gelte es, Positionen zu irgendeinem belanglosen Thema auszuloten. Im Grunde genommen könnte die Berichterstattung aus Brüssel selbst kommen, so friedlich und freundschaftlich stellt unser Medien-Mainstream die Sache dar.
Es erstaunt daher nicht, wenn Kritik an dem neuen Vertragswerk für übertrieben und überzogen erklärt wird – aber tatsächlich geht es um den Kerngehalt der Eidgenossenschaft. Deshalb zwei entscheidende Fragen:
- Können die Schweizer Bürger weiterhin über sich selbst bestimmen?
- Wer ist die Europäische Union heute?
Der Dreh- und Angelpunkt der Verträge mit der Europäischen Union ist, ob die Schweiz eigenständig bleiben kann. – Dies sei gelöst, so der Bundesrat. Doch nachdem das Vertragswerk veröffentlicht war, löste sich diese voreilige Behauptung in Luft auf. Nein, die Schweiz wird nicht mehr eigenständig sein! Im Gegenteil – nicht mehr der Wille der Schweizerinnen und Schweizer würde gelten, sondern in letzter Instanz immer «EU-Recht». Doch in dieser Deutlichkeit war in den Medien seit der Bekanntgabe kaum etwas zu hören.
Bei Uneinigkeiten mit der Europäischen Union wird laut Vertrag der Europäische Gerichtshof (EuGH) an letzter Stelle nach dem geltenden EU-Recht entscheiden!1 Die Schweiz wird sich dieser Rechtsprechung Stück für Stück unterordnen und nach und nach die Gesetze und Verordnungen der Europäischen Union übernehmen müssen.2
Gesetze aus Brüssel
Wer Abstimmungen hasst und lieber von oben geführt wird, wer das Gefühl hat, die da oben wissen es besser und handeln richtig, der könnte mit dem EU-Vertragsentwurf für das Erste gut leben. Er würde zunehmend immer weniger selbst entscheiden «müssen». Das würden andere gerne vermehrt für ihn besorgen. Doch diese «Freude» würde nicht lange dauern …
Der politische Preis für den Vertrag ist enorm hoch. Unsere Gesetze würden zukünftig kurz- und mittelfristig in Brüssel vorbestimmt. Nicht direkt. Es müsste nur ein EU-«Mitbewerber» oder die EU-Kommission selbst klagen: diese oder jene Schweizer Vorschrift würde am «freien Wettbewerb hindern, weil hier das EU-Recht nicht gilt» –, dann müssten die Schweizer Behörden gesetzlichen Nachvollzug an Brüssel melden oder das Land müsste horrende Strafen zahlen.3
Und die Grenzen sind eng gesetzt: Die Schweiz dürfte nicht gegen den acquis communautaire4 verstossen, jenes riesige Gesetzeswerk mit seinen über 80 000 Seiten EU-Gesetzen und EU-Verordnungen. Auch eine Initiative oder ein Referendum aus der Bevölkerung, egal ob auf Gemeinde-, Kantons- oder Bundesebene dürfte nicht gegen den acquis communautaire verstossen … und jedes Jahr kommen im Schnitt 2500 neue Gesetze dazu …
Wer erlässt Gesetze und Verordnungen in Brüssel?
Wer erlässt die Gesetze und Verordnungen in Brüssel? Wer regiert die Europäischen Union? Wer würde dann über die Schweiz bestimmen? – Nein, es sind nicht die Stimmbürger in der Europäischen Union selbst und es sind auch nicht jene 720 äusserst gut bezahlten Parlamentarier im Europäischen Parlament in Brüssel.
Die Europäische Union ist definitiv keine Demokratie. Das tut weh, auch wenn man beschönigend nur von Demokratie-«Defiziten» spricht.5 Die Rechte der Legislative also des EU-Parlaments und damit der gewählten Volksvertreter sind nur sehr beschränkt.
Die Führung der Europäischen Union, die EU-Kommission, besteht aus der Präsidentin und 27 Kommissionsmitgliedern (aus jedem Staat ein Vertreter). Nur sie kann uneingeschränkt Gesetze und Verordnungen vorschlagen (das Parlament nicht). Sie kann auch gegen einzelne Staaten vor dem Europäischen Gerichtshof [EuGH] klagen (siehe unten).
Weil keine effektive demokratische Kontrolle da ist, füllen die Korruptionsfälle der Kommission Bücherbände. Aktuell stehen die Präsidentin, Ursula von der Leyen sowie zwei ehemalige Kommissionsmitglieder (Frederica Mogherini und Eva Kaili) im Blickfeld.6 Trotz alledem wird die Politik in den einzelnen Staaten zunehmend von der EU-Kommission bestimmt.
So wie das starke Gravitationszentrum eines «schwarzen Lochs» im Universum reisst Brüssel Kompetenzen seiner Mitgliedsstaaten an sich. Schon seit Jahrzehnten werden über 80% der nationalen Gesetze und Verordnungen nicht mehr in den einzelnen Mitgliedsstaaten selbst entschieden, sondern via Brüssel vorgeschrieben. Die EU-Kommission gemeinsam mit dem EuGH regieren immer weiter in die einzelnen Staaten hinein. Diese müssen nachvollziehen, was die Brüsseler Zentrale über Gesetze und Verordnungen vorgibt, ohne selbst viel Einfluss darauf nehmen zu können. In den einzelnen Parlamenten darf nur noch abgenickt werden. – Dies würde mit den neuen Verträgen auch der Schweiz blühen.
Die Gesamtzahl der Beamten und Angestellten der Europäischen Union wird von der EU-Personalauswahlbehörde (European Personnel Selection Office – EPSO) selbst mit über 60 000 Personen angegeben,7 nota bene, gut bezahlte Posten.
EU-Mitgliedstaaten, die nicht der Brüsseler Linie folgen, werden massiv unter Druck gesetzt. Obwohl zum Beispiel eine Mehrheit der polnischen oder der ungarischen Bevölkerung die Gender-Vorstellungen der EU nicht teilt, werden ihnen diese per Gerichtsurteil des EuGHs aufgezwungen. Druckmittel sind der Entzug von EU-Mittel (z.B. für die Landwirtschaft) oder der Ausschluss aus EU-Programmen (z.B. Erasmus+). Sollte dieser Druck nicht ausreichen, geht es hin bis zu politischem Mobbing (z.B. Österreich, 2000).
Finanzielle und politische Kompetenz werden jedoch von Brüssel selbst ständig überschritten. Brüssel nimmt über «Sondervermögen» gigantische neue Schulden auf («Next Generation EU» (NGEU), Ukraine «Reparationskredit»). Dies war nie so gedacht. Eine seriöse Gegenfinanzierung existiert nicht mehr.8
Gigantische Verpflichtungen (Schulden) einzelner EU-Staaten lasten bereits heute auf Deutschland als «EU-Bürgen», ohne dass das Land sie je tragen könnte (Target 2,9 Europäischer Stabilitätsmechanismus [ESM] und Bürgschaft für Euroclaer10). Es verwundert also nicht, wenn ein sehr starkes Interesse in Brüssel darin besteht, die «reiche» Schweiz an die Europäische Union anzubinden – Nur, dass dies in der Schweiz selbst noch kein Thema wurde …
Die EU ist bekannt für ihre ausufernde und überbordende Bürokratie, über die selbst die Bananenkrümmung, die Genderumsetzung oder die Pizzaherstellung reglementiert und sanktioniert wird.
Aber besonders die jüngsten Gesetzgebungsvorhaben, wie die totale Überwachung der Bürger (Digital Services Act [DAS]) und die Einführung einer digitalen Zentralbank, tragen geradezu orwellsche Züge11 und gehen weit über den Rahmen einer liberalen Gesellschaft hinaus … Aber in der Schweiz erfährt man darüber erstaunlich wenig …
Die Brüsseler Eliten koppeln sich von ihren Bürgern immer weiter ab und regieren in einer Blase ausserhalb jeder wirksamen demokratischen Kontrolle. Wuchernde Korruption und gigantische Verschuldung sind die Folgen.
Wozu die Vergangenheit wählen?
Wie sähe die Zukunft der Schweiz mit den EU-Verträgen und dem Europäischen Gerichtshof als letzter gesetzlichen Instanz aus? Die Entscheidungen werden dann weder vom Volk, noch von den Kantonen oder in Bern getroffen. Schwarze Limousinen und Privatjets aus aller Welt treffen in Brüssel ein. Die Verkehrssprache ist Englisch.
In den Lobbyhallen von Brüssel mit Tausenden von Lobbyisten werden die Deals über Gesetze und Verordnungen zwischen EU-Kommission, Abgeordneten und Bürokraten sowie transnationalen Konzernen, Schattenbanken oder Einflussagenten ausgehandelt. Diese Deals würden aber am Ende als Gesetze oder Verordnungen direkt jeden Bürger in der Schweiz treffen.
Möglichkeiten, Einsprache gegen (unsinnige) Entscheidungen oder (schwachsinnige) Vorschriften einzureichen, werden sich dann auf «zahnlose» EU-Petitionen12 beschränken – ähnlich wie die Bittbriefe der deutschen Bauern an ihren Kaiser, dass er ihnen helfen möge… – Brüssel ist weit weg und alle Entscheidungen müssen sich dem acquis communautaire beugen. «Initiative» und «Referendum» sind in Brüssel Fremdwörter.
Die Bevölkerung wird in Brüssel nicht als Souverän wahrgenommen. Sie gilt eher als möglicher Störfaktor beim Durchregieren, bestenfalls wird sie als «Human Ressource» für allfällige Geschäfte einkalkuliert.
Demokratiegeschichtlich ist die Europäische Union gegenüber der Schweiz mindestens 200 Jahre im Rückstand. In der Europäischen Union entmündigt ein abgehobener Machtapparat seine Bürger, verteilt deren Geld grosszügig und nimmt ausserdem in ihrem Namen noch neue Schulden auf.
Es ist ein Skandal, dass der Bundesrat unter Federführung von Ignazio Cassis solch ein «Vertrag» überhaupt zur Vernehmlassung vorlegen konnte. Es ist das krasse Gegenteil des von Cassis 2018 vollmundig versprochenen «Resetknopfs» in den Verhandlungen mit der Europäischen Union. Es sieht eher aus wie der Versuch, die Eigenständigkeit des Landes versteckt loszuwerden.
Besser leben ohne diesen Vertrag
Diese Verträge sind eine Ohrfeige für jede Schweizerin und jeden Schweizer! Es braucht sie nicht. Der bestehende eigenständige Weg lässt der Schweiz weiterhin offen, Verträge mit allen Staaten der Welt zu den eigenen Bedingungen zu schliessen. Das hat nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sondern dient dem Wohle aller. Vor Ort selbst können die Bürger weiterhin Entscheidungen treffen, die für sie vor Ort stimmen. Wirtschaftliche Abkommen bleiben an die Bedingungen des Landes geknüpft und passen letztendlich für alle Menschen im Land. Selbstverständlich können EU-Vorschriften freiwillig übernommen werden – aber nicht «automatisch».
Der Schweiz steht nicht nur die Europäische Union als Verhandlungspartner offen, sondern die ganze Welt. Abkommen mit Brasilien, Indien, China, den USA oder Südamerika sind heute ohne die Vorgabe aus Brüssel möglich –, passgenau für das Land.
Natürlich wird Brüssel verhandeln müssen! Es ist pleite, im wirtschaftlichen Abwärtstrend, von sozialen Problemen geschüttelt und zunehmend in einen kostspieligen Krieg verwickelt. Selbst der «grösste Feldherr aller Zeiten» hat vor über 80 Jahren zähneknirschend mit der Schweiz verhandeln müssen.
Mehr Demokratie in die EU!
Nicht weniger Demokratie in der Schweiz, sondern mehr Demokratie in der EU! Das würde für die Bürger der Europäischen Union endlich mehr Mitsprache bedeuten, auf die sie trotz aller Verspechen über 30 Jahre immer noch warten.
Nicht weniger Demokratie in der Schweiz, sondern mehr Demokratie in der EU! Das heisst für alle, weniger top down und mehr bottom up; mehr Vernunft, weniger Bürokratie! Das heisst Abstimmungen zu Sachfragen; Initiativen, Referenden, Subsidiarität, Föderalismus. Das sind in der Schweiz mehr als nur Schlagworte. Sie verbessern das menschliche Zusammenleben und erhöhen die Zufriedenheit. Das wünscht man allen Menschen in der Europäischen Union!
| * Thomas Scherr arbeitet als unabhängiger Autor für den «Schweizer Standpunkt». |
1 Vgl. Carl Baudenbacher. https://insideparadeplatz.ch/2025/09/28/bundesrat-verheimlicht-macht-des-eu-gerichts/, 28. September 2025 oder
vgl. Paul Richli. «Das verändert unser Land.» NZZ am Sonntag. 15. November 2025
2 Ebda.
3 EU aktuell, z.B. Österreich, https://tkp.at/2025/11/24/weitere-eu-vertragsverletzungsverfahren-gegen-oesterreich/, 24. November 2025
4 «Acquis communautaire» meint sämtliche geltenden Rechtsvorschriften in der Europäischen Union, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich sind. Er besteht aus dem Primärrecht der EU-Verträge, dem Sekundärrecht, (sämtliche Rechtsakte wie Verordnungen und Richtlinien) und den Urteilen des Gerichtshofes sowie allen internationalen Verträgen über Angelegenheiten der EU.
Um Mitglied der Europäischen Union zu werden, sind beitrittswillige Staaten verpflichtet den «Acquis» anzunehmen, den gemeinschaftlichen Rechtsbesitzstand vorab in nationales Recht umzusetzen und ihn nach dem Beitritt anzuwenden. In der Regel wurden neue Rechtsvorschriften oder Änderungen einfach den bestehenden Texten hinzugefügt.
Die Kommission schätzt den Gesamtbestand des acquis communautaire (Sekundärrecht) auf gegenwärtig etwa 80 000 Seiten. Jährlich kommen rund 2500 neue Rechtsakte hinzu.
5 Selbst im schönfärberischen Wikipedia kommt man nicht umhin «Defizite» festzustellen. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki Demokratiedefizit_der_Europ%C3%A4ischen_Union
6 Vgl. Ursula von der Leyen: https://tkp.at/2025/09/29/eu-parlament-dreht-pfizer-untersuchung-ab/, 29. September
vgl. Frederica Mogherini: https://www.tagesschau.de/ausland/belgien-bruessel-razzia-korruption-100.html, 2. Dezember 2025
vgl. Eva Kaili: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/kaili-hausarrest-eu-korruptionsskandal-101.html, 12. April 2023
7 Vgl. https://www.bundestag.de/resource/blob/914902/4d182b180acf0836792c7acbdaf0d96d/PE-6-045-22-pdf.pdf, 2022
8 Nur noch die wenigsten Staaten der Europäischen Union genügen den EU-Stabilitätskriterien des Maastrichter Vertrags.
9 Vgl https://www.finanztrends.de/wissen/die-wahrheit-ueber-die-target-2-salden-verstaendlich-erklaert/
10 vgl. ESM und Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-europalexikon/309405/europaeischer-stabilitaetsmechanismus-esm/ aktuell die deutsche Bürgschaft für das bei Euroclaer entwendete russische Staatsvermögen:
https://tkp.at/2025/12/13/die-rechnung-fuer-die-illegale-beschlagnahmung-russischer-gelder-durch-die-eu-zahlen-die-buerger/
11 Vgl. zur Überwachung: https://tkp.at/2025/11/27/eu-rat-beschliesst-chatkontrolle/, 27. November 2025
vgl. https://overton-magazin.de/top-story/die-informationsmauer-oder-das-europaeische-demokratieschild-der-eu-kommission/, 17. November 2025
vgl. https://netzpolitik.org/2025/lobbyismus-palantir-mitarbeiterin-sass-beim-souveraenitaetsgipfel-mit-macron-und-merz-am-tisch/, 27. November 2025
vgl. https://journalistenwatch.com/2025/11/12/totalitaere-eu-ueberwachung-chatkontrolle-soll-durch-die-hintertuer-doch-kommen-und-von-der-leyen-plant-auch-noch-eigenen-geheimdienst/, 12. November 2025
vgl. zum Digitalgeld: https://tkp.at/2025/11/11/bargeldlose-eu-in-847-tagen-nein-aber-es-ist-schlimmer/, 11. November 2025
vgl. https://www.epochtimes.de/politik/ezb-macht-tempo-beim-digitalen-euro-was-das-fuer-die-zukunft-des-bargeldes-bedeutet-a5300012.html
12 vgl. https://www.europarl.europa.eu/at-your-service/de/be-heard/petitions