Zur Abhängigkeit von ausländischen Waffensystemen

Bewaffnete Neutralität und Schweizer Armee

von Ralph Bosshard*

(28. Juni 2024) Aus einer Diskussion über den sorglosen Umgang mit der Neutralität der Schweiz – welchen Departementsleitung VBS und Armeeführung seit Mitte der Neunzigerjahre pflegten – sei ein Aspekt herausgegriffen, der viele Zuhörer bewegte, nämlich jener der bewaffneten Neutralität.

Vortrag und Diskussion fanden im Rahmen der Veranstaltung «Vom sorglosen Umgang mit der Neutralität» des «Schweizer Standpunkt» am 7./8. Juni 2024 in Frauenfeld statt.

Ralph Bosshard. (Bild sv)

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Neutralität bewaffnet sein muss, wenn der Neutrale einer fremden Macht keine militärische Option offenlassen will, um sich Zugriff auf die Ressourcen des Landes oder Zugang zu Territorium und Luftraum zu verschaffen. Ein neutraler Staat darf in einer Krisenregion nicht selbst zum Element der Instabilität werden, zu welcher insbesondere eine schwankende Haltung eines Unbeteiligten werden würde.

Auch Gegenmassnahmen gegen Erpressung sind angezeigt, wenn die Entscheidungsprozesse eines Landes nicht durch gewaltsame Methoden beeinflusst werden sollen. Wenn sich ein Staat nicht eine minimale Selbstständigkeit in der Entschlussfassung bewahren kann, wird seine Neutralität ohnehin nicht lange währen. Gerade in einer Krisensituation würden sich die Kontrahenten wohl ein Wettrennen darum liefern, wer als erster einen bislang unbeteiligten Staat auf seine Seite zieht.1

Abhängigkeit durch Rüstung

Mit der Beschaffung von Ausrüstung für seine Armee begibt sich ein Land ein Stück weit immer in Abhängigkeit von einem Hersteller, dessen Entscheidungsprozesse oftmals nicht transparent und durch den Kunden kaum zu beeinflussen sind. Damit geht auch eine Abhängigkeit von jenem Land einher, in welchem das Material produziert wird, denn heutzutage pflegen Staaten den Handel mit Kriegsmaterial zu kontrollieren und zu regeln. Dazu kommt, dass sich auch Staaten in den Beschaffungsprozess einschalten können, die zwar nicht Herstellerland, aber möglicherweise durch Verträge und Vorschriften, wie zum Beispiel Patentrechte damit verbunden sind.2

Bei Flugzeugen ist die Abhängigkeit von Herstellern besonders gross, denn aus Sicherheitsgründen müssen gewisse Unterhaltsarbeiten periodisch durchgeführt, Kontrollen vorgenommen und Verschleissteile ausgetauscht werden, wobei beinahe zwingend Original-Ersatzteile verwendet werden müssen, damit die Flugtauglichkeit gewährleistet bleibt.3 Bei Ausfall essentieller Systeme kann man mit einem Fahrzeug mal eben rechts ranfahren, bei einem Flugzeug entsteht im Gegensatz dazu schnell Absturzgefahr.

Mit der Verwendung von mittlerweile fast omnipräsenten Computer-Systemen hat die Abhängigkeit von Herstellern eine neue Dimension angenommen: Nicht nur bei Flugzeugen sind regelmässige Software-Updates zwingend, sondern auch bei Waffensystemen am Boden und bei Fahrzeugen. Heutzutage sind Einsatzplanung, Navigation, Aufklärung, Waffeneinsatz und Kommunikation ohne Unterstützung durch Software schon fast nicht mehr denkbar – mit allen Auflagen im Bereich der Datensicherheit, die hier dazukommen. Das führt dazu, dass oftmals auch Personal des Herstellers eingespannt werden muss und damit in militärischen Einrichtungen anwesend ist. Beim Antrieb von Schiffen – auch Kriegsschiffen – ist das schon seit Jahrzehnten Usus.4

Entsprechende Zweifel in Bezug auf den Betrieb der von der Schweiz bestellten Tarnkappen-Kampfflugzeuge des Typs F-35, die von verschiedener Seite geäussert wurden, sind deshalb nicht ganz unberechtigt. Das Problem würde aber bei so gut wie jedem beliebigen anderen Flugzeugtyp auch auftauchen. Ob es aber klug war, sich nach der F/A-18 ein zweites Mal von einem US-amerikanischen Hersteller und der US-Regierung abhängig zu machen, ist eine sehr berechtigte Frage.

Wozu ein Tarnkappen-Bomber?

Streitkräfte, die in weit entfernten Weltgegenden Aufstände unterdrücken sollen oder die im Rahmen eines Bündnisses weit entfernt von der Heimat operieren sollen, schauen aber anders aus, als solche, die auf heimischen Boden die Neutralität schützen und gegebenenfalls militärische Aggressionen abwehren sollen. Das gilt insbesondere auch für Luftstreitkräfte. Organisation, Einsatzverfahren, Ausbildung und Ausrüstung einer Luftwaffe, welche gegnerische Luftstreitkräfte bekämpfen,5 die Luftüberlegenheit erringen, eigene See- und Landstreitkräfte unterstützen und gegebenenfalls direkt strategisch relevante Effekte erzielen soll, unterscheiden sich massiv von jenen einer Luftwaffe, welche den eigenen Luftraum verteidigen soll.6

Auch in dieser Hinsicht darf der Kaufentscheid für die F-35 durchaus hinterfragt werden. Dieses Kampfflugzeug wurde primär für die offensive Rolle konzipiert, es soll gegnerische Flieger, ihre Einrichtungen am Boden und die Luftabwehr bekämpfen, was im Fall der Schweiz einen Einsatz weit ausserhalb schweizerischen Luftraums bedeutet.7 Es genügt eben nicht, für eine starke Armee zum Schutz der Neutralität der Schweiz zu plädieren: zweckmässig sollte sie dann auch noch sein.

* Am 7./8. Juni 2024 hielt Ralph Bosshard den Vortrag «Vom sorglosen Umgang mit der Neutralität» im Rahmen einer Veranstaltung des «Schweizer Standpunktes» in Frauenfeld. Der vorliegende Artikel vertieft einen der Aspekte der Diskussion.
Ralph Bosshard, geboren 1966, ist Schweizer mit Appenzeller Wurzeln. Er hat zuerst Allgemeine Geschichte, osteuropäische Geschichte und Militärgeschichte studiert. Danach absolvierte er die Militärische Führungsschule der ETH Zürich sowie die Generalstabsausbildung der Schweizer Armee. Im Anschluss daran folgte eine Sprachausbildung in Russisch an der Staatlichen Universität Moskau und ein Ausbildungskurs an der Militärakademie des Generalstabs der russischen Armee.
Er kennt die Regionen Osteuropa und Zentralasien aus eigener Anschauung und aufgrund seiner sechsjährigen Tätigkeit bei der OSZE. Unter anderem war Ralph Bosshard als militärischer Sonderberater des Ständigen Vertreters der Schweiz bei dieser Organisation tätig. Auch im Rahmen seiner aktuellen Tätigkeit erstellt er Expertisen über die militärische Lage im Ukraine-Konflikt und zuvor schon zur Lage in Kasachstan und in Armenien/Bergkarabach.
Für Kontaktaufnahme mit dem Autor: ralph.bosshard@bkosoft.ch / https://bkostrat.ch

Quelle: https://bkostrat.ch/2024/06/20/bewaffnete-neutralitaet-und-schweizer-armee/, 20. Juni 2024

1. Zu den militärischen Absprachen zwischen der Schweiz und den kriegführenden Mächten im Ersten Weltkrieg siehe H.R. Kurz: Von Monat zu Monat; die Schweiz und Frankreich im Ersten Weltkrieg, ein Beitrag zur Frage der Vorbereitung von Kriegsbündnissen neutraler Staaten in: Der Fourier, offizielles Organ des Schweizerischen Fourier-Verbandes und des Verbandes Schweizerischer Fouriergehilfen, Band 49 (1976), Heft 11, online unter https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=arl-001%3A1976%3A49%3A%3A826. Vgl. Hermann Böschenstein: Bundesrat und General im Ersten Weltkrieg, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 10 (1960), S. 515–532, online unter https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=szg-006:1960:10::786. Der sogenannten «Säbelrasslerbrief», in welchem der damalige Oberbefehlshaber der Schweizer Armee, Ulrich Wille, einen Kriegseintritt auf Seiten der Mittelmächte in Betracht zog, findet sich auf S. 521.

2. Das gilt insbesondere im Bereich Technologie, wie sich beispielsweise bei der Beschaffung von Nutzlasten für die in Österreich gefertigten Drohnen zeigte, mit welchem die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) den Waffenstillstand in der Ukraine zu überwachen beabsichtigte. Eine in Kanada gefertigte Infrarot-Kamera beispielsweise durfte nur mit einer Bewilligung der US-Regierung exportiert werden. Der Verfasser nahm an diesem Beschaffungsprozess im Auftrag der Ständigen Vertretung der Schweiz bei der OSZE teil.

3. In diesem Zusammenhang tauchten verschiedentlich Probleme bei der Beschaffung von Ersatzteilen für die Kampfflugzeuge F/A-18 der Schweizer Luftwaffe auf, welche der Verfasser in seiner Eigenschaft als Chef der Operationsplanung im damaligen Führungsstab der Armee mitbekam.

4. Einem breiteren Publikum heute bekannt ist die Guarantee Group der Werft Harland & Wolff an Bord der «Titanic», welche das neu in Dienst gestellte Schiff begleitete und deren Mitglieder alle ums Leben kamen, als das Schiff sank. Siehe «Guarantee Group» auf der Homepage von Fandom, online unter https://titanic.fandom.com/wiki/Guarantee_Group und «Titanic Heritage Plaques – the Guarantee Group» auf der Homepage von Maritime Belfast, online unter https://www.maritimebelfast.com/case-studies/titanic-heritage-plaques-the-guarantee-group/. Renommierte Hersteller von Schiffsmotoren wie beispielweise Wärtsilä unterstützen ihre Kunden auch mit sogenannten On-Site-Repair und In-Situ-Machining. Vgl. die Homepage von Wärtsilä unter https://www.wartsila.com/marine/services/maintenance-and-repair und https://www.wartsila.com/docs/default-source/Service-catalogue-files/Engine-Services—4-stroke/wartsil%C3%A4-in-situ-machining.pdf?sfvrsn=0. Dabei ist die Anwesenheit von Technikern auf den Schiffen auf der Fahrt keine Seltenheit.

5. Im Sprachgebrauch der Luftwaffen-Doktrin als Offensive Counter Air bezeichnet. Siehe «Counterair Operations», bei Air Force Doctrine Publication 3-01, 15.06.2023, online unter https://www.doctrine.af.mil/Portals/61/documents/AFDP_3-01/3-01-AFDP-COUNTERAIR.pdf, S. 4f. Seit einigen Jahren wird auch über den Einsatz unbemannter Fluggeräte für diese Aufgabe nachgedacht, wie bspw. Osman Aksu: Offensive Counter-Air Operations, bei Joint Air Power Competence Centre Kalkar (DEU), Januar 2021, online unter https://www.japcc.org/chapters/c-uas-offensive-counter-air-operations/.

6. Auch als Defensive Counter Air bezeichnet. Siehe «Counterair Operations», a.a.O., S. 5f.

7. Siehe Micah Garbarino: Hill AFB Airmen bring F-35A’s vital capabilities to Red Flag’s modern fight, auf der offiziellen Website der United States Air Force, online unter https://www.af.mil/News/Article-Display/Article/3660622/hill-afb-airmen-bring-f-35as-vital-capabilities-to-red-flags-modern-fight/#:~:text=As%20a%20multi%2Drole%20stealth,enemy%20aircraft%20before%20they%20attack: «As a multi-role stealth fighter, the F-35A’s primary job in many of these missions is Offensive Counter Air. This could mean escorting and protecting stealth bombers or other fighters by detecting and picking off enemy aircraft before they attack. Or, tracking down and eliminating surface-to-air threats with a combination of technology and tactics that are unique to the F-35.»

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