Folgen der neoliberalen Globalisierung

von Thomas Scherr

(18. November 2021) Im Nachgang des Lockdowns 2020 sind viele wirtschaftliche Probleme entstanden, wie unter anderen «German Foreign Policy» Ende September in einem Artikel berichtete.1 Wer jedoch die aktuelle Versorgungskrise nur aus der Perspektive der vergangenen fünf Jahre betrachtet, greift zu kurz. Es müssen 30 Jahre neoliberale Globalisierung ins Auge gefasst werden.Wer nicht genügend Pflegekräfte im eigenen Land ausbildet, holt sich eben welche aus dem Ausland. – Wie es dort aussieht, ist nicht «unser» Problem. – Hauptsache, der Lohn bleibt niedrig. Lastkraftwagenfahrer wirbt man in Polen oder Rumänien oder holt sie aus Weissrussland. Nur der Lohn muss niedrig bleiben. So sieht die Personenfreizügigkeit im globalisierten Welthandel aus.

Eine vorübergehende Krise…

Doch zur Zeit geraten Lieferketten ins Stocken, die Ernte fällt schlechter aus. Facharbeiter fehlen. Preise steigen. Löhne müssten steigen. Es heisst, die Pandemie ist die Ursache, ohne sie wäre es weitergelaufen. Wirklich? Nun tauchen im Hintergrund neue Fragen auf: Was wird passieren, wenn wir die Löhne für die Lastkraftwagenfahrer anheben müssen, damit noch einer für uns fährt? Und was, wenn wir nicht mehr das Geld haben, die rumänische Krankenschwestern zu entlöhnen? Vielleicht werden sie in China, Saudi-Arabien oder Aserbaidschan besser bezahlt, um dort Kranke und Alte zu pflegen?

… oder 30 Jahre Globalisierung?

Offene Grenzen, Kapitalverkehrsfreiheit, globale Märkte – 30 Jahre Globalisierung. 30 Jahre Dominanz der USA, 30 Jahre schleichender Verlust an staatlicher Souveränität. Seit 2008 «Fiat Money», «Quantitative Easing», Niedrigzins. Wer hat profitiert, wer hat verloren?

Kaum jemand bestreitet, dass weltweiter Handel für alle vorteilhaft sein könnte. Dass dies aber nicht zwingend so sein muss, weiss man ebenso lange. Darauf verweisen Schlagworte wie «Kolonialismus», «Imperialismus» oder «Land Grabbing».

Globalisierung «top down»

Ende der 1980er Jahre – mit der Implosion der Sowjetunion – begann das, was man heute als «Globalisierung» bezeichnet. Das im kleinen Zirkel formulierte Ziel, einen weltweiten schrankenfreien Handel aller Waren und Dienstleistungen ohne regionale oder staatliche Regulierungen einzuführen, wurde Schritt für Schritt, «top down», in den anschliessenden Jahrzehnten konsequent über verschiedene multi- oder supranationale Institutionen durchgesetzt. Mit dem «Global Impact» wurde 1999 die UNO selbst Teil dieses Programms. Seitdem haben reiche Stiftungen und Konzerne direkten Einfluss auf die UNO.2 Versprochen wurde, dass alles für alle billiger würde und alle davon profitieren könnten. Die Globalisierung würde sogar zum weltweiten Frieden beitragen.

Frühe Warnungen

Schon von Beginn an wurde auf die negativen Konsequenzen hingewiesen.3 Hans-Peter Martin und Harald Schumann stellten bereits 1996 in ihrer inzwischen als Klassiker zu bezeichnenden Veröffentlichung, «Die Globalisierungsfalle. Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand», die Probleme eines neoliberalen Welthandels dar.4

Unübersehbar ist der Abbau demokratischer Rechte der Bürgerinnen und Bürger in den einzelnen Staaten zu Gunsten von supra- bzw. internationaler Vorgaben, in der Schweiz zum Beispiel die vielen EU-Bestimmungen,5 die Freihandelsabkommen6 oder die unzähligen OECD-7 und UN-Vorgaben.8 Obwohl die Abkommen tief in den Alltag hineinreichen, können die Betroffenen kaum über diese Vorgaben mitentscheiden.

Von Anfang an ein Bereicherungsprogramm

Auch der Reichtum der Erde wurde durch die Globalisierung nicht gerechter verteilt, sondern konzentriert sich immer stärker auf einige Wenige.9 Unübersehbar ist auch, dass die Globalisierung nicht mehr Frieden gebracht hat – im Gegenteil – erkennbar an den Kriegen und der weltweiten Aufrüstung (vgl. SIPRI-Report).10

Gerechte Globalisierung?

Muss die Globalisierung gestoppt werden? Das Rad muss nicht zurückgedreht werden. Aber ein «Weiter so» kann es nicht geben. Für viele stellt sich die Frage, wo findet ein weltweiter Handel seine Grenzen und wo muss der einzelne Staat für seine Bevölkerung handlungsfähig bleiben und wo sollten die Bürgerinnen und Bürger in ihren Staaten wieder selbst über ihre Angelegenheiten bestimmen können.

Und – wer seine Profite aus Hungerlöhnen in Asien oder Afrika und den schlechten Arbeitsbedingungen dort schöpft, ohne die mit der Schweiz vergleichbaren Sozialabgaben und Steuern leisten zu müssen, profitiert ungerechtfertigt. Parallel wird unser eigenes Gewerbe nicht (mehr) durch eine ausgewogene Zollpolitik vor globalem Sozialdumping geschützt. Viele Schutzbestimmungen wurden in der Globalisierungseuphorie abgeschafft.

Fehlentwicklungen korrigieren

Schlimm trifft es die Staaten der Dritten Welt, die genötigt wurden ihre Grenzen für multinationale Unternehmungen zu öffnen. Eine kleine einheimische Oberschicht – meistens in Oxford, Paris oder Harvard ausgebildet – bereichert sich am «Wachstum», während die Bevölkerung (ver)hungert.

Nicht das Gemeinwohl – das Wohlergehen der eigenen Bevölkerung – steht im Mittelpunkt neoliberalen staatlichen Handelns, sondern eine kurzfristige Gewinnmaximierung. Diese Fehlentwicklungen gilt es heute zu korrigieren.

1 German Foreign Policy. Die Versorgungskrise am Horizont. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8719/, 30.9.21

2 «Global Compact oder auch United Nations Global Compact ist der englische Name für einen weltweiten Pakt (deutsch: Globaler Pakt der Vereinten Nationen), der zwischen Unternehmen und der UNO geschlossen wird, um die Globalisierung sozialer und ökologischer zu gestalten. […] Am 31. Januar 1999 wurde der Pakt offiziell von UN-Generalsekretär Kofi Annan in einer Rede anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos allen interessierten Unternehmensführern angeboten.»
https://de.wikipedia.org/wiki/Global_Compact. (Download 11.10.21). Z.B. https://www.swr.de/swr2/wissen/who-am-bettelstab-was-gesund-ist-bestimmt-bill-gates-100.html, (Download 10.10.21)

3 z.B: Ritter, Manfred; Zeitler, Klaus. Armut durch Globalisierung – Wohlstand durch Regionalisierung. Graz 2000.
Ziegler, Jean. Wie kommt der Hunger in die Welt? Ein Gespräch mit meinem Sohn. München 2000.
Brühl, T; Debiel, T; Hamm, B; Hummel, H; Martens, J; (Hg.). Die Privatisierung der Weltpolitik. Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess. Bonn 2001.
Mander, Jerry; Goldsmith, Edward (Hrsg.). Schwarzbuch der Globalisierung. München 2002.
George, Susan. WTO: Demokratie statt Dracula. Für ein gerechtes Welthandelssystem. Hamburg 2002.
Mies, Maria. Krieg ohne Grenzen. Die neue Kolonisierung der Welt. Köln 2004.

4 Martin, Hans-Peter, Schumann, Harald. Die Globalisierungsfalle. Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand. Reinbek 1996.

5 Die allermeisten EU-Verordnungen und Regelungen werden stillschweigend in nationales Gesetz umgesetzt. Sie werden letztendlich nachvollzogen, um nicht mit der EU in Konflikt zu geraten (Guillotineklausel).

6 vgl. de Zayas 2016 in einem Interview: https://www.swissinfo.ch/ger/direktedemokratie/alfred-de-zayas_macht-des-volkes-ist-gut-fuer-die-durchsetzung-von-menschenrechten/42506312, (Download 10.10.21)

7 Die Schweiz als Mitglied der OECD übernimmt sowohl im wirtschaftlichen, aber auch finanz- und bildungspolitischen Bereich die Vorgaben der OECD.

8 Als UNO-Mitglied übernimmt die Schweiz unzählige Konventionen ins Schweizer Recht.

9 https://de.wikipedia.org/wiki/Verm%C3%B6gensverteilung, (Download 10.10.21)

10 https://www.dw.com/de/sipri-globaler-r%C3%BCstungsboom-trotz-corona-krise/a-57285378, (Download 10.10.2021)

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