Globale Schifffahrtskrise weit schlimmer als gedacht

Schiffscontainer im Hafen Ningbo Zhoushan, Provinz
Zhejiang, China, 9. Juni 2021. Dieser Hafen ist nach eigenen
Angaben der verkehrsreichste der Welt, was die Fracht-
tonnage angeht. (Bild keystone/EPA/Alex Plavevski)

von F. William Engdahl*

(23. September 2021) In den letzten Jahrzehnten hat sich der Welthandel über den Seeweg fast exponentiell ausgeweitet, da die Auslagerung grosser Teile der Produktion aus den USA und aus europäischen Unternehmen im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung aufgeblüht ist. Dies hat dazu geführt, dass Asien, insbesondere China, zur wichtigsten Produktionsquelle für alles geworden ist – vom iPhone zu den Antibiotika und allem, was dazwischen liegt.

Die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO), welche für den Handel neue Regeln aufstellt, war eine wichtige Triebkraft. Sie hat auch dazu geführt, dass die globalen Versorgungsketten für die Lieferung von Waren anfälliger sind als je zuvor in der Geschichte. Der Anstieg der Kosten für die Verschiffung von Seecontainern ist ein Zeichen für die wachsende Krise. Verschärft wird diese durch den enormen Arbeitskräftemangel, der auf die weltweiten Covid-Massnahmen zurückzuführen ist.

Ursprünge der Krise

Nach Angaben der in Deutschland ansässigen Forschungsabteilung von Statista werden etwa 80 Prozent aller Güter weltweit auf dem Seeweg befördert, darunter Öl, Kohle und Getreide. Davon entfallen wertmässig etwa 60 Prozent des gesamten Seehandels auf den globalen Containerhandel, der 2019 einen Wert von rund 14 Billionen US-Dollar hatte. Die Seeschifffahrt ist im Guten wie im Schlechten zur Hauptschlagader der Weltwirtschaft geworden.

Dies ist eine unmittelbare Folge der Gründung der WTO in den 1990er Jahren mit neuen Regeln, die die Auslagerung der Produktion in Länder begünstigten, in denen die Herstellung weitaus billiger und gleichzeitig der Seetransport günstig war. Nachdem China 2001 der WTO beigetreten war, wurde es zum grössten Nutzniesser der neuen Regeln, und wurde innerhalb eines Jahrzehnts als die «Werkstatt der Welt» bezeichnet. Ganze Industriezweige wie Elektronik, Pharmazeutika, Textilien, Chemikalien und Kunststoffe wurden zur Fabrikmontage nach China verlagert, wo damals die niedrigsten Löhne der Welt bezahlt wurden. Das funktionierte, weil die Kosten für den Transport zu den westlichen Märkten niedrig waren.

Als die Wirtschaftsleistung Chinas wuchs, wurde das Land zu einem weltweiten Versandriesen, der seine Waren billig an Orte wie Long Beach oder Los Angeles (in Kalifornien, USA) oder Rotterdam in Europa verschiffte. Der Einzelhandelsriese Walmart war das Ziel für einen grossen Teil der chinesischen Waren, denn 80 Prozent seiner Produkte stammen aus China. Das ist kein «kleines Bier», wie man in Texas sagt. Walmart ist gemessen an seinem Jahresumsatz von 549 Milliarden Dollar das grösste Unternehmen der Welt. Als Ergebnis dieser Globalisierung verfügt China heute über 8 der 17 grössten Häfen der Welt, um seine Exporte abzuwickeln.

Die Expansion des chinesischen Seeverkehrs bildet zusammen mit derjenigen Japans und Südkoreas den grössten Anteil am weltweiten Seecontainerverkehr. Dieser lebenswichtige Wirtschaftsfluss steht nun unter einem noch nie dagewesenen Druck, der schon bald katastrophale Folgen für die weltweiten Warenversorgungsketten haben könnte.

Als das von der WHO als neuartiges Coronavirus bezeichnete Virus – das erstmals in Wuhan auftrat – im März 2020 von der WHO zur globalen Pandemie erklärt wurde, hatte dies unmittelbare und enorme Auswirkungen auf den Welthandel. Die Länder riegelten ihre Volkswirtschaften ab, was für Friedenszeiten beispiellos ist. Aufträge für Produkte aus China und anderen asiatischen Ländern wurden von westlichen Käufern gestoppt. Die Fahrten von Containerschiffen wurden im Jahr 2020 fast überall gestrichen. Als die Regierungen der USA und der EU dann Billionen von Dollar in Form von beispiellosen Konjunkturpaketen freigaben, explodierte die Nachfrage nach Containern aus Asien im Vergleich zum Angebot. Die Menschen begannen, vor allem in den USA, die Konjunkturpakete zu nutzen und online das einzukaufen, was grösstenteils «Made in China» war.

Dies hatte folgenschwere Auswirkungen auf den Seecontainerverkehr der zuvor nur geringe Transportkosten verursachte. Neue Containerhäfen, vor allem die in China, sind hochmoderne, computergesteuerte Betriebe, die täglich Tausende von Containern über automatische Kräne verladen. In den Zielhäfen wie Long Beach oder Hamburg werden die Container dann auf Lkws oder Züge umgeladen und in ihre Zielstädte gebracht, bevor sie für den Rücktransport zum Hafen zurückgebracht werden. Diese komplizierte Versorgungskette befindet sich nun in der Krise.

Die Transportkosten explodieren

Im Jahr 2019, vor der Pandemiekrise, kostete der Transport eines 40-Fuss-Containers von China nach Europa auf dem Seeweg zwischen 800 und 2500 Dollar. Für die meisten Produkte wie Textilien, Arzneimittel oder Smartphones waren Seecontainer trotz der Möglichkeiten des Schienenverkehrs eindeutig die beste und kostengünstigste Option für den Handel zwischen Asien und Europa. Für den Asien-Nordamerika-Handel waren sie fast die einzige Option, da der Lufttransport eine kostspielige Alternative darstellte. Heute, da der Flugverkehr durch Corona um 50 Prozent reduziert wurde, sind Containerschiffe praktisch die einzige Option für den Langstreckenverkehr.

Die Hafen-zu-Hafen-Spotraten, beispielsweise von Shanghai, Chinas grösstem Containerhafen, nach Los Angeles, sind nach Angaben von Drewry Supply Chain Advisors von rund 1500 Dollar pro 40-Fuss-Container kurz vor der WHO-Pandemie Anfang 2020 auf 4000 Dollar im September 2020 und auf 9631 Dollar in der Woche zum 8. Juli 2021 explodiert. Das ist ein Anstieg von über 600 Prozent gegenüber Anfang 2020, also vor der Pandemie. Und das ist nur eine der Ursachen für die weltweite Inflation, die wir jetzt ausbrechen sehen.1

Das ist nicht das Schlimmste. Laut Drewry «haben wir Berichte über 15 000 Dollar Transportkosten von China zur amerikanischen Westküste gehört und wissen, dass die Spediteure zusätzliche Prämien verlangen, um die Verladung einer verspäteten Buchung vor normalen FAK-Ladungen (Freight All Kinds) zu priorisieren». Von 1500 Dollar auf 15 000 Dollar in zwei Jahren ist ein Anstieg um das Zehnfache. Und auch die Raten von Shanghai nach Rotterdam sind von unter 2000 Dollar Anfang 2020 auf über 12 000 Dollar im Juli, also um 600 Prozent, in die Höhe geschnellt.2

Nennen wir ein Produkt, bei dem es zu Beginn der Pandemie zu Panikkäufen kam: China ist mit 11 Prozent des weltweiten Angebots Weltmarktführer bei der Ausfuhr von Toilettenpapier. Bei einem Anstieg der Seefrachtkosten um 600 Prozent ist es unvermeidlich, dass der Preis für etwas so Alltägliches wie Toilettenpapier erheblich steigt oder an den wichtigsten Orten der Welt knapp wird. Wenn ein solcher Druck auf die gesamte Produktepalette ausgeübt wird, werden die Preise für Seecontainer zu einem bedeutenden Treiber der allgemeinen Inflation.

Containerschiff Ever Gifted im Hafen Hamburg. Es ist 400
Meter lang und trägt bis zu 20 000 Seecontainer.
(keystone/mauritius images/Rupert Oberhäuser)

Engpässe bei Containern

Anfang 2020, als Nationen auf der ganzen Welt wegen der Angst vor dem Coronavirus in eine beispiellose Panikstarre verfielen, kam der globale Schiffsverkehr zum Erliegen. Überall wurden Fabriken geschlossen. Später im Jahr 2020 wurden die Warenströme langsam wieder aufgenommen, als China sich öffnete. Als sich später im Jahr 2020 abzeichnete, dass die verschiedenen riesigen staatlichen Konjunkturprogramme die Nachfrage nach asiatischen Waren ankurbeln würden, insbesondere die Nachfrage über E-Commerce-Plattformen wie Amazon, kam es zu einer dramatischen Verknappung der verfügbaren Container. Allein in den USA wurden seit Anfang 2020 insgesamt 9 Billionen Dollar an fiskalischen und monetären Stimuli freigesetzt. Das ist weltweit einmalig.

Die Welthandelsströme können mit dem Blutkreislauf des menschlichen Körpers verglichen werden. Wenn es zu Engpässen kommt, weil Häfen überlastet sind oder der Suezkanal blockiert ist, dann ist das wie ein Blutgerinnsel im menschlichen Kreislauf. Die Blockade des Suezkanals durch das riesige Containerschiff Ever Given der taiwanesischen Evergreen Co. im März 2021 brachte den Schiffsverkehr auf einer der wichtigsten Wasserstrassen der Welt zwischen China und Europa fast eine Woche lang zum Erliegen und verursachte Engpässe bei den Containerlieferungen, die noch nicht vollständig behoben sind. In China führten neue Coronatests im grossen Containerhafen Yantian – der zum viertgrössten Containerhafen der Welt, Shenzhen, gehört – zu weiteren erheblichen Unterbrechungen des Schiffsverkehrs, die den Preisanstieg weiter verschärften. Diese Unterbrechungen werden wahrscheinlich anhalten.

Als sich die Lockdowns im April 2020 weltweit ausgebreitet hatten, sassen plötzlich Millionen von Containern in verschiedenen Häfen fest und konnten nicht mehr nach China zurückkehren. Leere Boxen wurden an Orten zurückgelassen, wo sie nicht gebraucht wurden, und eine Neupositionierung war nicht geplant. Die massiven Arbeitsunterbrechungen aufgrund der Lockdowns in den USA im Jahr 2020 und bis ins Jahr 2021 hinein betrafen nicht nur die Häfen, sondern auch die Containerdepots im ganzen Land und die Binnenschifffahrtslinien. Es gab keine Möglichkeit, die Container zurück nach China zu bringen, als China seine Industrie wieder in Gang setzte. Darüber hinaus wurde das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage nach leeren Containern durch die Einführung von Leerfahrten oder das Auslassen von Hafenanläufen durch die Reedereien noch verschärft, da leere Boxen zurückblieben und nicht in die chinesischen Häfen zurückgebracht werden konnten. Es bildeten sich globale «Transport-Gerinnsel».

Das dänische Beratungsunternehmen Sea-Intelligence schätzt, dass bis zu 60 Prozent des heutigen Ungleichgewichts im Containerverkehr in Asien auf Nordamerika zurückzuführen sind, vor allem auf fehlende Investitionen in Kalifornien und anderen Häfen der Westküste, die die grössten Probleme mit der Überlastung der Häfen haben.

Ein japanisches Beratungsunternehmen schätzte, dass die Produktivität der Terminals in Nordamerika bis zu 50 Prozent hinter den asiatischen Pendants zurückbleibt, was zum Teil auf die kürzeren Arbeitszeiten und den Widerstand der Gewerkschaften gegen eine weitere Automatisierung zurückzuführen ist, was sicher Arbeitsplätze kosten würde. Die Aussage, dass die US-Regulierungsbehörde, die Federal Maritime Commission, die Frage der Verfügbarkeit von Ausrüstung im Rahmen einer umfassenden Untersuchung des Lieferkettenchaos, das die Häfen, Einzelhändler und Exporteure des Landes in den letzten acht Monaten heimgesucht hat, «untersucht», ist wenig beruhigend. Die Engpassprobleme in den US-Containerhäfen sind seit mindestens 2015 chronisch und ernsthaft. Die Aufgabe der Seeverkehrskommission ist es, genau solche Engpässe zu überwachen, bevor sie problematisch werden. Das tut sie aber offensichtlich nicht.3

Als sich die Nachfrage nach Produkten aus China Ende 2020 erholte, wirkte sich das auf die Containerpreise aus. Verschärft wurde die Containerknappheit durch die weltweiten Lockdowns, die enorme Volumen des Welthandels zum Erliegen brachten. Auch der Bau von benötigten neuen Containern wird wegen des Mangels an Stahl und Holz sowie an Arbeitskräften aufgrund der Pandemiemassnahmen stark eingeschränkt.

Die erdrückende weltweite Abhängigkeit von Warenlieferungen aus China hat sich in den letzten Jahren angesichts der Lockdowns zu einer Achillesferse der Weltwirtschaft entwickelt. Eine solche globale Verflechtung war kein Faktor in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, ganz im Gegensatz zu dem Wirtschaftsmythos, dass der Smoot-Hawley Tariff Act die Hauptursache war. Damals ging es um die auf New Yorker Banken konzentrierten internationalen Schuldenstrukturen.

Krise der Arbeitskräfte auf See

Neben der Krise bei der Verfügbarkeit von Containern und den Staus in den wichtigsten Häfen der Welt verschärft sich auch die Krise bei den Arbeitskräften in der Seefahrt. Die meisten nichtoffiziellen Seeleute für die Containerschifffahrt werden aus Asien angeworben. Nach Angaben der Internationalen Schifffahrtskammer sind die Philippinen der grösste Lieferant von Ratings (qualifizierten Seeleuten), gefolgt von China, Indonesien, der Russischen Föderation und der Ukraine. Die weltweiten Lockdowns und in jüngster Zeit die Beunruhigung über die so genannte «indische» oder «Delta»-Variante haben trotz fehlender Daten über deren Letalität zu einer immer katastrophaleren Situation für die Schiffsarbeiter geführt. Schon vor der Ausrufung der Corona-Pandemie im Jahr 2020 war das Angebot an Arbeitskräften auf Schiffen sehr knapp. Dieses Arbeitskräfteproblem beeinflusst auch die Schiffsfrachtquoten negativ.

Im Juli sassen schätzungsweise 9 Prozent oder 100 000 Seeleute auf Containerschiffen und anderen Schiffen über ihre gesetzlich festgelegte Zeit hinaus fest, da Länder von China bis zu den USA ihnen aufgrund der Corona-Pandemie-Beschränkungen verboten, an Land zu gehen. Das bedeutet, dass die Besatzungen nicht ausgetauscht werden und die auf See gestrandeten Besatzungen unter wachsendem psychischem und physischem Stress stehen, was sogar zu Selbstmorden führt.

Darüber hinaus sind schätzungsweise 100 000 oder mehr Seeleute in verschiedenen Ländern gestrandet, weil sie wegen der Pandemie nicht arbeiten können. Die maximal zulässige Vertragsdauer beträgt 11 Monate, wie in einem UN-Seefahrtsübereinkommen festgelegt ist. Normalerweise kommen und gehen monatlich etwa 50 000 Seeleute an und von Bord. Jetzt ist es nur noch ein Bruchteil davon. Nach Angaben der Gewerkschaft International Transport Federation kommen bis zu 25 Prozent weniger Seeleute auf die Schiffe als vor der Pandemie. Der Generalsekretär der Gewerkschaft erklärte: «Wir haben davor gewarnt, dass die globalen Marken auf den Moment vorbereitet sein müssen, in dem ein Teil dieser müden und erschöpften Menschen schliesslich zusammenbrechen werden4

An Land hielten die Lockdowns insbesondere in Kalifornien Tausende von Arbeitnehmern von den grossen US-asiatischen Häfen in Los Angeles und Long Beach fern, so dass es nicht möglich war, den sehr grossen Rückstau an Containern abzubauen, bevor weitere ankamen – ein bisschen wie die Plage des Zauberlehrlings. In Nordamerika besteht derzeit ein Ungleichgewicht von 60 Prozent, d. h. von 100 ankommenden Containern werden nur 40 exportiert. Sechzig von 100 Containern stauen sich weiter an.5

Drewry schätzt, dass diese negativen Faktoren in den nächsten Jahren auch zu einem im Verhältnis zu den Mannschaften so grossen Mangel an Offizieren in der Welthandelsflotte führen wird, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. All dies unterstreicht, wie extrem anfällig und brüchig das Liefersystem der globalisierten Weltversorgungsketten heute ist. Die globalen Covid-Lockdowns haben weitaus schwerwiegendere langfristige Auswirkungen, als den meisten bewusst ist. Die Weltwirtschaft ist ein dynamisches, hochkomplexes Netz, das sich nicht wie ein Lichtschalter aus- und einschalten lässt.

Quelle: https://journal-neo.org/2021/07/21/global-shipping-crisis-far-worse-than-imagined/, 21. Juli 2021

(Übersetzung « Schweizer Standpunkt«)

* F. William Engdahl ist strategischer Risikoberater und Dozent, er hat einen Abschluss in Politik der Princeton University und ist Bestseller-Autor über Öl und Geopolitik, exklusiv für das Online-Magazin «New Eastern Outlook» (NEO).

1 https://wolfstreet.com/2021/07/09/container-freight-rates-hit-new-extremes-up-6x-asia-to-us-europe-peak-shipping-season-still-ahead/

2 https://wolfstreet.com/2021/07/09/container-freight-rates-hit-new-extremes-up-6x-asia-to-us-europe-peak-shipping-season-still-ahead/

3 https://splash247.com/north-america-responsible-for-the-worlds-container-shortages/

4 https://www.reuters.com/world/sos-stranded-shattered-seafarers-threaten-global-supply-lines-2021-07-20/

5 https://www.hillebrand.com/media/publication/where-are-all-the-containers-the-global-shortage-explained

Zurück