Unternehmen im Griff der «Cancel Culture»

Guy Mettan (Bild zvg)

von Guy Mettan, freiberuflicher Journalist und Schriftsteller

(25. Mai 2021) Müssen sich Unternehmen der Diktatur des Guten unterwerfen? Wie alle menschlichen Aktivitäten muss auch die Wirtschaft grundlegende moralische Prinzipien respektieren. «Primum non nocere», zuerst niemandem schaden, dann niemanden betrügen.

Wir können nicht dulden, dass Unternehmen, wie Tabak- und Ölkonzerne sowie weitere Hersteller gesundheitsgefährdender Produkte, pseudowissenschaftliche Studien finanzieren, um das Vertrauen der Menschen zu missbrauchen und sie in tödliche Gefahr zu bringen. Zu begrüssen ist, dass die Banken nicht länger ein Auge zudrücken können, wenn es um Steuerbetrug oder die möglicherweise kriminelle Herkunft der Gelder geht, für die sie verantwortlich sind.

Die Wirtschaft ist auch an eine Ethik gebunden. Aber soll die Wirtschaftswelt deshalb die Diktate akzeptieren müssen, die ihr bestimmte zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Mächte im Namen eines unbegrenzten Verantwortungsbewusstseins aufzwingen wollen? Das bezweifle ich stark.

Dies passiert jedoch fast überall im Westen. Die «Cancel Culture» oder «Säuberungs-Kultur» verlässt den privaten Bereich (persönliche Angriffe auf Einzelpersonen, die als rassistisch oder sexistisch eingestuft werden, in Universitäten und sozialen Netzwerken), auf den sie sich bisher beschränkte, um wie ein Krebsgeschwür über die wirtschaftliche Sphäre herzufallen.

Einen Vorgeschmack auf diese Missstände gaben die USA bereits Ende der 1990er Jahre mit der Affäre um die nachrichtenlosen jüdischen Gelder, dann Ende der 2000er Jahre mit dem Angriff auf das Bankgeheimnis und der Verallgemeinerung von Wirtschaftssanktionen gegen Länder und Staatschefs, die ihnen missfielen. In jüngster Zeit hat die ebenfalls an amerikanischen Universitäten entstandene BDS-Bewegung [Boykott-Desinvestitionen-Sanktionen] – die den Boykott von in israelisch besetzten Gebieten hergestellten Produkten zum Ziel hat – diese Praxis auf die Zivilgesellschaft ausgedehnt.

Wirtschaftliche Sanktionen, die durch das internationale Recht – das heisst die UNO – gestützt sind, müssen respektiert werden. Was ist aber mit all jenen, die einseitig unter Verletzung des Völkerrechts und mit Gewalt verhängt wurden, wie es bei den Sanktionen gegen den Iran, Russland, China, Venezuela, Kuba und so vielen anderen Ländern der Fall ist?

Heute, unter dem Einfluss der Verwalter des uigurischen Narrativs angelsächsischer Herkunft, neigt diese Jagd nach den sogenannten Schuldigen im Westen dazu, hysterisch zu werden. Jeden Tag gibt es in den Zeitungen und im Äther in Europa und den USA eine Flut von Reportagen, Berichten und Leitartikeln, die alle in die gleiche Richtung weisen. Es ist keine Spur von Widerspruch oder einer anderen Meinung zu erkennen. Es wird als feststehende Tatsache angesehen, dass China einen «Völkermord» an den Uiguren begeht. Unter diesem Vorwand werden unsere Unternehmen aufgefordert, Produkte aus Xinxiang zu boykottieren, wie wir dies kürzlich in unseren Medien lesen konnten, die sich selbstgefällig zu Wortführern der antichinesischen «Menschenrechts»-Netzwerke gemacht haben.

Diese politische Einmischung in Angelegenheiten, die nicht in der direkten Verantwortung der Wirtschaft liegt, ist umso ungerechtfertigter, als dieser «Völkermord» nicht bewiesen ist und (zumindest vorläufig) nicht stattgefunden hat. Zahlreiche von seriösen amerikanischen Enthüllungsjournalisten durchgeführte Gegenuntersuchungen1 zeigen auf, dass es sich um eine äusserst aktive und geschickt orchestrierte Propagandakampagne gegen China handelt, die geführt wird, seit die Trump-Administration Peking den Krieg erklärt hat.

Es besteht kein Zweifel daran, dass China ein hartes Vorgehen gegen uigurische Islamisten verfolgt, die übrigens jahrelang und bis 2017 auf der Liste der von den USA bekämpften terroristischen Organisationen standen. Aber der Vorwurf des Völkermordes ist eindeutig eine Desinformationskampagne.1 Man kann darauf wetten, dass die Aufregung sich legen wird, sobald die Olympischen Spiele 2022 in Peking von den USA und den unterwürfigsten europäischen Ländern boykottiert worden sind.

Es wird in dieser Affäre gleich herauskommen, wie im Fall der angeblichen russischen Einmischung in die US-Wahl 2016, die die gesamte westliche Mainstream-Presse bis 2019 in Atem hielt, bis sie durch den Mueller-Bericht auseinandergenommen und widerlegt wurde; oder die Verteufelungskampagne von 1999 zur Rechtfertigung der illegalen NATO-Bombardierung Serbiens; oder die frei erfundene Geschichte der kuwaitischen Babys, die 1991 von irakischen Soldaten aus den Brutkästen gerissen worden seien, um den Golfkrieg zu rechtfertigen; oder diejenige der nichtexistenten Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein, um 2003 die Invasion des Irak zu rechtfertigen; oder die Saga von den syrischen Weisshelmen, diesen vermeintlich liebenswürdigen Rettungskräften, die in den Jahren 2015–2018 den von den Golfmonarchien finanzierten islamistischen Terroristen als Deckung dienten.

Es ist bemerkenswert, dass in Europa kein Medium dieses künstlich aufgebaute, antichinesische Narrativ hinterfragt hat – und sei es auch nur, um die Mechanismen, die Finanzierung und die Netzwerke offenzulegen sowie die verborgenen Interessen dieses geopolitischen Kampfes zu beleuchten, bei dem das uigurische Volk nur das unfreiwillige Instrument und das Kollateralopfer ist – ohne damit das chinesische Regime weisswaschen zu wollen.

Auf jeden Fall sollten die Unternehmen und die Wirtschaft nicht in Geiselhaft genommen werden in einem Krieg, in dem sie – jedenfalls dieses Mal – keinerlei Verantwortung tragen.

* Guy Mettan ist Politologe und Journalist. Seine journalistische Karriere begann er 1980 bei der Tribune de Genève und war von 1992 bis 1998 deren Direktor und Chefredaktor. Von 1997 bis 2020 war er Direktor des «Club Suisse de la Presse» in Genf. Heute arbeitet er als freischaffender Journalist und Buchautor.

1 Siehe zum Beispiel Ajit Singh, The «Independent» Report Claiming Uyghur Genocide, The Grayzone, 21. März 2021, sowieGareth Porter und Max Blumenthal, The US «Genocide» Accusation Against China, Consortium News, 21. Februar 2021

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

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