Buchbesprechung

Kulturzerstörung – ein wenig beachtetes Verbrechen

ISBN 978-3-406-76484-4

Zum Buch «Verdammt und vernichtet»

von Robert Seidel

(17. Juli 2021) Der international renommierter Archäologe Hermann Parzinger beschäftigt sich in seiner jüngsten Veröffentlichung, «Verdammt und Vernichtet. Kulturzerstörung vom Alten Orient bis zur Gegenwart», systematisch mit der Plünderung, dem Raub und der Zerstörung von Kulturdenkmälern.

Ehrfürchtig staunend steht man vor Gegenständen aus längst vergangenen Zeiten. Der Besuch in einem Museum kann dem Betrachter die eigene Vergangenheit oder vielleicht sogar die Vergangenheit der Menschheit nahebringen. Manchmal sind es unscheinbare, mehrere hunderttausend Jahre alte Faustkeile, manchmal ist es ein reich verzierter Kelch oder es sind Fotografien von Gebäudeanlagen längst vergangener Hochkulturen.

Geschichte wird ausradiert

Wie schmerzhaft ist es zu erleben, wenn diese Schätze geraubt oder gar zerstört werden? Einzigartige Gegenstände aus der menschlichen Geschichte verschwinden. Wie kriminell muss jemand sein, der in einem Kriegsgebiet den Diebstahl aus einem Museum in Auftrag gibt? Dies im Wissen darum, dass die Gegenstände nicht mehr ausreichend geschützt werden können und ein Raub in den Wirren des Kriegsgeschehens untergeht. Skrupellos wurden beispielsweise während des Irak-Krieges systematisch und akribisch vorbereitet Museen geplündert und jahrtausendalte Gegenstände der ersten Hochkulturen geraubt und unter der Hand verkauft.

Gewaltsame, kriminelle Vorgänge

Diese gewaltsamen Vorgänge versucht der renommierter Ur-und Frühgeschichtler Hermann Parzinger zu erfassen. Er, der in der ganzen Welt daran beteiligt ist, uralte Zeugnisse menschlichen Lebens auszugraben, zu erforschen und letztendlich der Öffentlichkeit zu erschliessen, muss immer wieder miterleben, wie Denkmäler zerstört oder geplündert werden. Solche Verluste berauben uns eines Teils unserer menschlichen Identität. Die Zerstörung von kulturellem Erbe stellt einen radikalen Eingriff in unser Wissen um uns selbst dar.

Ohne Schwarz-Weiss-Denken

Hermann Parzinger versucht in seiner jüngsten Veröffentlichung anhand von einigen Beispielen, die Motive und die Umstände solcher Kulturzerstörungen näher zu erfassen. Dazu greift er bis ins Altertum zurück. An ausgewählten Beispielen arbeitet er heraus, dass sowohl die bewusste Auslöschung einer kulturellen Identität, purer Vandalismus, als auch Profitgier, Motive für Zerstörung und Plünderung sein können. Parzinger beschreibt die Ausgangslagen jeweils sehr differenziert, so dass der Leser nicht in einen einfachen Schwarz-Weiss-Dualismus verfällt, aber ohne dass dabei der Tatbestand an sich relativiert wird. So erfährt man beispielsweise, dass während der Reformationszeit nicht nur eine Seite brandschatzte und raubte. Kirchenschätze wurden von beiden Seiten auch zur Finanzierung kriegerischer Auseinandersetzungen verkauft, fern ab von jedem Glaubensbekenntnis.

Differenziert beschreibt Hermann Parzinger die Umstände während der Zürcher Reformationszeit. Wie nicht nur religiöse sondern auch politische Motive das Handeln der reformierten Obrigkeit gegenüber dem Volk bestimmten. Für den Leser sind die Ausführungen eine gewinnbringende Lektüre, die auf viele Geschehnisse einen anderen Blick erlaubt.

Internationales Bemühen um verbesserte Schutzmechanismen

So führt der Autor den Leser durch verschiedene Jahrhunderte. Neben den Wirren und den Zerstörungen während der Französischen Revolution, verweist er auf das gleichzeitige Entstehen von Museen für die Allgemeinheit. Kulturgüter, auch diejenigen der verhassten Obrigkeit, wurden nach einiger Zeit aus den geheimen Lagern in eigens eingerichtete Orte geschafft (zum Beispiel in den dafür umfunktionierten Louvre-Palast in Paris). Durch diese neu eingerichteten Museen entstand ein neues Bewusstsein, dass auch diese Gegenstände Teil der eigenen Kultur sind.

So erfährt man als Leser, wie überhaupt ein modernes Bewusstsein über das kulturelle Erbe entstand und wie dies schliesslich zum Bemühen um den ausreichenden Schutz der je eigenen Kulturgüter führte. So wurden in den vergangenen 160 Jahren verschiedene internationale Vereinbarungen getroffen, um Kulturgüter weltweit zu schützen. Dabei denkt Hermann Parzinger angesichts der fortschreitenden Plünderungen über verbesserte internationale Schutzmechanismen nach. Ein leider vernachlässigtes Thema, nicht nur weil heute das Bewusstsein über die Einzigartigkeit der Kulturen gerne relativiert wird, sondern weil kaum ein Bewusstsein darüber besteht.

Parzinger, Hermann. «Verdammt und Vernichtet. Kulturzerstörung vom Alten Orient bis zur Gegenwart». C.H.Beck, München 2021. 368 Seiten.

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