Das nukleare Wettrennen beschleunigt sich

Manlio Dinucci (Bild zvg)

von Manlio Dinucci*

(9. August 2022) Auf dem Stützpunkt Redzikowo in Polen wurde mit der Installation des «Aegis-Ashore»-Systems begonnen, das mehr als 180 Millionen Dollar kostet. Es handelt sich um den zweiten US-Raketenstützpunkt in Europa, nachdem der Stützpunkt Deveselu in Rumänien 2015 in Betrieb genommen wurde.

Die offizielle Funktion dieser Stützpunkte besteht darin, die US-Streitkräfte in Europa und die der europäischen Nato-Verbündeten mit dem «Schutzschild» der SM-3-Abfangraketen vor «aktuellen und aufkommenden Bedrohungen durch ballistische Flugkörper von ausserhalb des euro-atlantischen Raums» zu schützen.

Zusätzlich zu den beiden Landanlagen sind vier mit demselben Aegis-System ausgestattete Schiffe der US-Marine auf dem spanischen Stützpunkt Rota stationiert, die das Mittelmeer, das Schwarze Meer und die Ostsee befahren können. Die US-Marine verfügt über etwa 120 Zerstörer und Kreuzer, die mit diesem Raketensystem ausgerüstet sind.

Sowohl die Schiffe als auch die landgestützten Aegis-Anlagen sind mit den vertikalen Mk 41-Werfern von Lockheed Martin ausgestattet: vertikale Rohre (im Schiffskörper oder in einem unterirdischen Bunker), aus denen die Raketen gestartet werden. Lockheed Martin selbst weist auf die technischen Merkmale hin und dokumentiert, dass damit Raketen für alle Missionen gestartet werden können: Raketenabwehr, Luftabwehr, Schiffsabwehr, U-Bootabwehr und Angriff auf Landziele. Jedes Abschussrohr kann für jede Art von Rakete verwendet werden, auch für «Langstreckenraketen» wie den Tomahawk-Marschflugkörper. Es kann auch mit einem Nuklearsprengkopf bestückt werden.

Es ist daher unmöglich zu wissen, welche Raketen sich tatsächlich in den vertikalen Abschussrampen der bodengestützten Aegis-Basis in Rumänien befinden und welche in der polnischen Basis installiert werden. Ebenso wenig weiss man, welche Raketen sich an Bord der Schiffe befinden, die in der Nähe der russischen Hoheitsgewässer kreuzen. Da Moskau nicht in der Lage ist, dies zu überprüfen, geht es davon aus, dass auch nukleare Angriffsraketen vorhanden sind.

Dasselbe Szenario finden wir in Ostasien, wo die Aegis-Kriegsschiffe der Siebten Flotte im Südchinesischen Meer kreuzen. Die wichtigsten Verbündeten der USA in der Region – Japan, Südkorea und Australien – verfügen ebenfalls über Schiffe, die mit dem US-Aegis-System ausgerüstet sind.

Dies ist nicht das einzige Raketensystem, das die USA in Europa und Asien stationieren. In seiner Rede an der George Washington School of Media and Public Affairs erklärte General McConville, Stabschef der US-Armee, im März letzten Jahres, dass die US-Armee eine «Task Force» mit «Langstrecken-Präzisionsfeuerkapazitäten, die überall eingesetzt werden können, bestehend aus Hyperschallraketen, Mittelstreckenraketen und Präzisionsschlagraketen» vorbereite und dass «diese Systeme in der Lage sind, den Sperrbereich der Luftabwehr zu durchdringen». Der General hob hervor, dass «wir planen, eine dieser Task Forces in Europa und wahrscheinlich zwei im Pazifik einzusetzen».

In einer solchen Situation ist es nicht verwunderlich, dass Russland die Entwicklung neuer Interkontinentalraketen mit nuklearen Sprengköpfen beschleunigt, die nach einer ballistischen Flugbahn Tausende von Kilometern mit Hyperschallgeschwindigkeit gleiten. Ebenso wenig überrascht die von der Washington Post veröffentlichte Nachricht, dass China über hundert neue Silos für Interkontinentalraketen mit Nuklearsprengköpfen baut.

Das Wettrüsten findet nicht so sehr auf quantitativer Ebene (Anzahl und Stärke der Atomsprengköpfe) als vielmehr auf qualitativer Ebene (Geschwindigkeit, Durchschlagskraft und geografische Lage der Atomträger) statt. Die Reaktion im Falle eines Angriffs oder eines mutmasslichen Angriffs wird zunehmend der künstlichen Intelligenz anvertraut, die in wenigen Sekunden über den Start von Atomraketen entscheiden muss. Dies erhöht die Möglichkeit eines irrtümlichen Atomkriegs, der während des Kalten Krieges mehrfach riskiert wurde.

Der Vertrag über das Verbot von Atomwaffen, der 2017 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde und 2021 in Kraft trat, wurde bisher von 86 Staaten unterzeichnet und von 54 ratifiziert. Keiner der 30 Nato- und 27 EU-Staaten (ausser Österreich) hat ihn ratifiziert oder gar unterzeichnet. In Europa haben nur Österreich, Irland, Malta, San Marino und der Heilige Stuhl das Abkommen unterzeichnet und ratifiziert. Keines der neun Nuklearländer – USA, Russland, Frankreich, Grossbritannien, Israel, China, Pakistan, Indien und Nordkorea – hat es ratifiziert oder auch nur unterzeichnet.

*  Manlio Dinucci ist ein preisgekrönter Autor, geopolitischer Analyst und Geograf aus Pisa in Italien. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des kanadischen Centre for Research on Globalization (CRG).

Quelle: https://www.globalresearch.ca/nuclear-race-accelerates/5750135, 15. Juli 2022
Dieser Artikel wurde ursprünglich in Italienisch auf Il Manifesto veröffentlicht.

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

Die B61-12 Mini-Atombomben «Made in America» für den «nuklearen Erstschlag» – bald auch in Europa

von Manlio Dinucci*

«Die Produktion der Atombombe B61-12 hat begonnen», teilten die «Sandia National Laboratories» in den Vereinigten Staaten mit.

Die B61-12, die die bisherige B61 ersetzt, die von den USA in Aviano, Ghedi und anderen europäischen Stützpunkten eingesetzt wird, ist ein neuer Waffentyp.1 Sie verfügt über einen nuklearen Sprengkopf mit vier Leistungsoptionen, die je nach dem zu zerstörenden Ziel ausgewählt werden können. Sie wird nicht senkrecht abgeworfen, sondern in einem gewissen Abstand zum Ziel, auf das sie über ein Satellitensystem gelenkt wird. Diese Bombe kann tief in den Boden eindringen und in der Tiefe explodieren, um bei einem nuklearen Erstschlag Bunker von Kommandozentralen zu zerstören.

Die als «nicht-strategische Kernwaffen» eingestuften B61-12 werden in Europa – in Italien, Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Grossbritannien und wahrscheinlich auch in anderen Ländern – in genügend naher Distanz stationiert, um Russland zu treffen. Sie haben also ähnliche Offensivfähigkeiten wie die strategischen Waffen.

Ein weiteres nukleares Waffensystem, das die USA in Europa gegen Russland einzusetzen gedenken, sind bodengestützte Mittelstreckenraketen. Sie können auch von den Anlagen des «Raketenabwehrschildes» abgefeuert werden, die die USA auf den Stützpunkten in Deveselu in Rumänien und Redzikowo in Polen sowie an Bord von fünf Kriegsschiffen stationiert haben, die im Mittelmeer, im Schwarzen Meer und in der Ostsee in der Nähe Russlands kreuzen.

Dass diese Anlagen über offensive Fähigkeiten verfügen, wird von Lockheed Martin selbst bestätigt. In der Beschreibung der Merkmale des Mk 41-Vertikalstartsystems, das sowohl land- als auch seegestützt eingesetzt wird, heisst es, dass es «Raketen für alle Missionen, sowohl für die Verteidigung als auch für den Langstreckenangriff, einschliesslich Tomahawk-Marschflugkörper» starten kann. Diese können mit Nuklearsprengköpfen bestückt werden.

Europa wird somit von den USA in die vorderste Front einer nuklearen Konfrontation mit Russland verwandelt, die noch gefährlicher ist als die des Kalten Krieges.

Quelle: https://www.globalresearch.ca/the-b61-12-mini-nukes-made-in-america-to-be-used-in-a-nuclear-first-strike-coming-soon-to-italy-belgium-germany-netherlands/5786765?utm_campaign=magnet&utm_source=article_page&utm_medium=related_articles, 15. Juli 2022

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 Siehe auch https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-international/die-us-bombe-ist-bereit-bald-auch-in-der-eu.html und https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-international/ein-nuklearer-gruener-pass-im-mai-wird-die-bombe-fuer-italien-lieferbar.html

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